Öffentliche Auftritte konnte sie nie leiden – das erklärt vielleicht auch Maria Lassnigs Liebe zu großen Sonnenbrillen.

Foto: Imago/SKATA

Mit der Kunst zusammen: da verkommt man nicht", schreibt Maria Lassnig in ihrem letzten Brief an Hans Ulrich Obrist ein paar Monate vor ihrem Tod 2014. Sie wird ihn nicht mehr abschicken, den Stift einfach daneben liegen lassen. Mehr als 20 Jahre lang pflegten der Schweizer Kurator und die große österreichische Malerin einen regen Briefwechsel, beginnend 1993. Obrist ist erst Mitte 20, Lassnig bereits über 70 Jahre alt. Sie tauschen sich über den Kunstbetrieb aus, Lassnig beantwortet seine Fragen und bittet um Hilfe dabei, ihre Arbeiten auszustellen. Später berichtet sie ihm von ihren körperlichen Beschwerden. Beide verbindet sowohl eine berufliche als auch eine freundschaftliche Beziehung. Manchmal wirkt sie auch wie jene zwischen Großmutter und Enkel.

"Maria Lassnig. Briefe an Hans Ulrich Obrist". € 29,80 / 296 Seiten. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2020

Die erstmals veröffentlichten handgeschriebenen Briefe Lassnigs an Obrist sind nun gesammelt im Verlag der Buchhandlung Walther König erscheinen. Als abgedruckte Dokumente stehen sie neben den transkribierten Texten, die auch ins Englische übersetzt wurden. Abbildungen von Lassnigs Bildern ergänzen Vernissage-Einladungen und Postkarten, die sie ihm zukommen ließ. Dass der Band auch Fotografien enthält, "mag auf den ersten Blick paradox erscheinen", schreibt Obrist im Vorwort – stand die 1919 geborenen Malerin der Fotografie doch zeitlebens skeptisch gegenüber. Oftmals machte sie aber Selbstporträts, "also gewissermaßen Snapshots und Selfies avant la lettre", so der Kurator. In Kombination mit den Briefen erzeugen die Fotos eine ungewohnte Unmittelbarkeit: Lassnig im Dirndl mit Gartenzwergen, Lassnig mit Grimasse vor ihren Bildern, Lassnig als Reh verkleidet.

Auf einem der Fotos ist sie gemeinsam mit Obrist und dem deutschen Galeristen Kasper König bei der Präsentation ihrer 2000 veröffentlichten Tagebuchnotizen (Die Feder ist die Schwester des Pinsels) zu sehen. Anfangs hinterfragte Lassnig die Publikation: "Ich glaube, es ist zu früh, an das Textbuch zu denken, weil ich nicht berühmt genug bin", schreibt sie besorgt. Die Selbstzweifel der erst spät bekanntgewordenen Künstlerin quellen zwischen den Zeilen der Briefe nahezu hervor. Hätte man sie doch früher entdeckt, klagt sie und bezeichnet sich selbst als "Häuferl Zweifel". Selbst als Obrist 2008 als Leiter der Londoner Serpentine Gallery ebendort eine Einzelausstellung mit Lassnigs Werken kuratiert, möchte sie kurz vor der Eröffnung absagen. Diese Angst vor der Öffentlichkeit wird sie ihr Leben lang begleiten. "Es ist schon merkwürdig, dass mich die Öffentlichkeitsarbeit fast umbringt", schreibt sie 2009 an Obrist.

Kampf um Anerkennung

In dem Band erfährt man viel über ihre Ausstellungen und den dauernden Kampf um Anerkennung im österreichischen Kunstbetrieb: "Die ganze Welt kommt, um meine Ausstellung zu sehn, das ist wunderbar für mich – aber die Österreicher wissen gar nix davon!" Die bis ins hohe Alter leserliche Handschrift – die erst kurz vor ihrem Tod krakeliger wird –, kleine Zeichnungen, gestrichene Textpassagen und Eigenheiten ihrer Schrift wirken persönlich und intim. Dadurch scheint man der Künstlerin als Betrachter näherzukommen, sie zu verstehen, dennoch verbleibt man komischerweise an der Oberfläche – vielleicht weil die Antwortbriefe von Obrist fehlen?

Auch wenn Lassnig direkt auf seine Korrespondenz eingeht, kommt es nicht zu einem Dialog. Manches bleibt unbeantwortet, Fragen scheinen ins Leere zu fallen. Das ist schade, gerne hätte man von den Reaktionen des Kurators gelesen. Immer wieder lädt Lassnig Obrist an ihren Rückzugsort ins Kärntner Feistritz ein, wo sie den Sommer über lebt. "Es ist etwas kompliziert zu finden", schreibt sie – besucht hat er sie leider nie. (Katharina Rustler, 4.5.2020)