"Room with My Soul left Out, Room That Does Not Care" titelt Bruce Naumanns begehbare Skulptur (1984), die 2010 eigens am Ende der Rieckhallen realisiert wurde und bis in das Untergeschoß reicht. Theoretisch würde sie mit dem Abriss verschwinden, ob sich praktisch eine andere Lösung findet, ist derzeit unbekannt.

Foto: Roman März / VG Bild-Kunst, Bonn

Berlin – Berlin verliert eine der wichtigsten Privatsammlungen, meldeten die deutschen Feuilletons vor zehn Tagen in hellster Aufregung. Seit 2003 gastierte die rund 2000 Werke umfassende Sammlung Friedrich Christian Flicks als Leihgabe in den Rieckhallen, die bald Geschichte sind. Sie sollen, so hat die CA Immo als Eigentümerin des Areals entschieden, abgerissen werden.

Die Botschaft zwischen den Zeilen war hörbar: Ein österreichischer Investor vertreibt eine international bekannte Sammlung zeitgenössischer Kunst aus der hipsten deutschen Kunstmetropole. Tatsächlich ist der Hintergrund komplexer, und das "Aus" kam weniger überraschend, als es jetzt den Anschein hat. Schon im November 2019 hatte die deutsche Tageszeitung Die Welt auf kulturpolitische Versäumnisse hingewiesen, da weder Bund noch Land und auch die Stadt Berlin keine Ambitionen gezeigt hatte, "eines der interessantesten, ungewöhnlichsten Gegenwartskunstmuseen Deutschlands für die Zukunft zu sichern".

Einst eine lohnende Investition

Die Misere nahm schon vor Jahren ihren Lauf. Als Standort hatte man die Lagerhallen der seinerzeitigen Reichsbahn neben dem Hamburger Bahnhof, in dem die Nationalgalerie beheimatet ist, erkoren. Für den Ausstellungsbetrieb waren sie nicht ausgelegt, weshalb sie Flick vom Architekturbüro Kühn-Malvezzi sanieren ließ, inklusive einer Gangverbindung zum historischen Bahnhofsgebäude: 8,25 Millionen Euro verschlang das Projekt, eine lohnende Investition, da weiterhin nur der Mietpreis für eine Lagerhalle anfiel.

2004 erfolgte die Eröffnung. Damaliger Eigentümer des Areals war das Unternehmen Vivico, das die Veräußerung von Liegenschaften aus ehemaligen Eisenbahnbeständen zur Aufgabe hatte. Ende 2007 wurde es privatisiert und samt zahlreichen Grundstücken in großen Städten Deutschlands an die österreichische CA Immobilien Anlagen AG verkauft.

Dazu gehörte auch das Europacity genannte Areal in Berlin, das laufend entwickelt wird. Erst 2019 wurde das monströse "Bürogebäude am Kunstcampus" fertiggestellt. Gezielt wird also mit der Nähe zum Standort des Hamburger Bahnhofs schräg vis-à-vis geworben. Der Bebauungsplan sei erst 2015 nach einem mehrjährigen Verfahren festgelegt worden, erklärt Markus Diekow, Sprecher der deutschen CA Immo Gesellschaft. Der Senat hatte ein Mischquartier aus Wohnen und Büro beschlossen. Eine Kulturnutzung war seither nicht vorgesehen.

Nur Teilabriss

Während es am Standort Hamburger Bahnhof nichts zu rütteln gibt, sind die Rieckhallen im wahrsten Sinn des Wortes im Weg. Sie verlaufen quasi quer durchs Areal. Laut Diekow habe man sich intensiv um eine bauliche Lösung bemüht, die dem Vernehmen nach auch realisiert werden soll: Dabei geht es um einen Teilabriss der Rieckhallen, die um einen Kopfbau ergänzt werden. Von dieser Alternative ist in der offiziellen Erklärung von Flicks Contemporary Art Limited (Guernsey/GB) und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Leihnehmer nicht die Rede. Darin informiert man nur, dass der bis Ende September 2021 laufende Vertrag nicht verlängert wird.

Ob Flicks Entscheidung auch noch andere Gründe hat, wird sich weisen. Eine künftige Präsentation in Zürich, Sitz seiner "F. Ch. Flick Kunstverwaltung GmbH", scheint ebenso wenig ausgeschlossen wie Verkäufe. Im Laufe der Jahre hat er sich schon mehrmals von Kunstwerken getrennt: 2012 ließ er bei Sotheby’s in London drei Arbeiten auf Papier von Sigmar Polke zugunsten des von Christoph Schlingensiefs initiierten Projektes Operndorf Afrika (Burkina Faso) versteigern. Im Umfeld der Retrospektive von Bruce Nauman (Disappearing Acts) im Schaulager Basel und dem Museum of Modern Art in New York 2018/2019 wechselten laut Berliner Tagesspiegel zumindest zwei weitere Flick-Leihgaben den Besitzer. Der 75-Jährige wäre nicht der erste Sammler, dessen Kinder seine Leidenschaft nicht teilen.

Als Trostpflaster verbleiben 268 Kunstwerke, die der Milliardär und Enkel des NS-Rüstungsunternehmers 2008 und 2014 der Nationalgalerie schenkte, in Berlin. (Olga Kronsteiner, 4.5.2020)