In Deutschland hat sich VW mit mehr als 230.000 Klägern des Musterfeststellungsverfahrens verglichen. Die Österreicher warten noch.

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Wien – Der Schlussantrag von Eleanor Sharpston könnte ein Beben in der Autobranche auslösen. Folgt der Europäische Gerichtshof (EuGH) der Ansicht der EuGH-Generalanwältin, wäre es amtlich: Nicht nur der Einsatz von Schummelsoftware bei der Abgasreinigung ist illegal, sondern auch die sogenannten Thermofenster, mittels derer die Motorsteuerung so programmiert wird, dass Abgasreinigung auf Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad eingeschränkt wird.

Es sei wohl Sache der nationalen Gerichte, im Einzelnen festzustellen, ob die fragliche Vorrichtung notwendig sei, "um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten". Sharpston lässt aber keinen Zweifel daran, dass Ausnahmebestimmungen eng auszulegen sind: Das Ziel, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verzögern, rechtfertige ihrer Ansicht nach nicht den Einsatz einer Abschalteinrichtung, so die Generalanwältin in ihrem Schlussplädoyer (Az: C-693/18).

Nicht nur Volkswagen

Folgt der EuGH in seinem in einigen Monaten erwarteten Urteil seiner Generalanwältin, dann gilt das nicht nur für den Anlassfall Volkswagen, sondern für alle Autohersteller. Pflichtrückrufe wie jene für Euro-5- und Euro-6-Diesel von VW, Audi, Škoda, Seat und Porsche gab es, wie berichtet, zuhauf. Auch Modelle von Daimler, Renault, Opel und Fiat wurden in die Werkstätten gerufen, um nur einige Hersteller zu nennen. Teilweise bekämpfen die Autobauer die Bescheide der Zulassungsbehörden, auch Klagen von Fahrzeughaltern sind anhängig. Volkswagen betonte, die rechtliche Bewertung durch die Generalanwaltschaft spiele in der Aufarbeitung des Dieselskandals keine Rolle mehr. Allerdings sind in Österreich noch rund 9.000 Dieselklagen des VKI anhängig.

Ausnahme für die Hälfte des Jahres

Der Oberste Gerichtshof steht der EuGH-Generalanwältin übrigens nicht nach. Er sagt sinngemäß, es sei widersinnig, dass die Ausnahme "Thermofenster" die Hälfte des Jahres im Einsatz ist, und hat die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. "Wenn der EuGH den Schlussantrag bestätigt, wird es eng für die gesamte Autobranche", ist der auf Dieselklagen spezialisierte Anwalt Michael Poduschka überzeugt. Klagen auf Rückabwicklung oder Minderwert seien bis zum Erstzulassungsdatum September 2018 möglich, und zwar gegen zahlreiche Hersteller.

Runder Tisch

Die Arbeiterkammer (AK) nimmt den Ball der Generalanwältin auf und fordert die Autohersteller und die Politik zum Handeln auf. "Ich erwarte ein klares Signal für den Konsumentenschutz in Österreich", sagt der Verkehrs- und Umweltexperte der Arbeiterkammer, Franz Greil. Da fast alle Dieselhersteller ähnliche Motorsteuerungssoftware eingebaut haben, dürfte das drastische Konsequenzen für alle in Europa haben. "Dann müssen rund eine Million Diesel-Pkws in Österreich mit einem wirksamen Katalysator auf Kosten der Autohersteller nachgerüstet werden", sagt Greil und regt eine rasche Rückrufaktion an.

Nachrüstung auf Kosten der Hersteller

Darüber hinaus schlägt die AK einen runden Tisch mit den Sozialpartnern und Konsumentenschützern vor: "Die Rechte der Autofahrerinnen und Autofahrer müssen gewahrt werden." Als Lösung biete sich eine Nachrüstung der Euro-5- und Euro-6-Dieselmotoren (außer jener der modernsten Abgasklasse Euro 6d-temp) mit SCR-Katalysatoren an. Die Kosten für diese Hardware-Nachrüstung taxiert Greil auf bis zu 3.000 Euro pro Pkw, diese müssten dann die Hersteller tragen. Wo ein Katalysator-Einbau nicht möglich sei, "muss es faire Entschädigungslösungen geben", fordert der AK-Mann.

Karlsruhe tagt

Was die Gerichte betrifft, geht es im fünften Jahr des Dieselskandals Schlag auf Schlag. Am Dienstag tagt der Bundesgerichtshof in Karlsruhe über die Schadenersatzforderung eines Käufers aus Rheinland-Pfalz, der für seinen 2014 gekauften Gebrauchtwagen den vollen Preis von rund 31.500 Euro erstattet haben will. Davon erwarten Dieselkläger richtungsweisende Hinweise für die generelle Höhe von Schadenersatzleistungen und vor allem, ob Nutzungsentgelt in Abzug zu bringen ist und: in welcher Höhe. In Österreich wird das besonders restriktiv gehandhabt, bei einem acht Jahre alten Auto mit Schummelmotor frisst das Nutzungsentgelt den Schadenersatz meist zur Gänze auf.

De facto erledigt ist der Vergleich im deutschen Musterfeststellungsverfahren. 235.000 Autobesitzer erhalten 750 Millionen Euro – pro Fall zwischen 1.350 und 6.250 Euro. (Luise Ungerboeck, 4.5.2020)