"Money throne x10" – Eine Million Dollar stecken in diesem Kunstwerk des russischen Künstlers Alexey Sergienko und des Unternehmers Igor Rybakov.

Foto: TATYANA MAKEYEVA

Sollte Bertolt Brecht tatsächlich geäußert haben: "Kunst kostet Geld, und Geld ist teuer!", so ist es der zweite Halbsatz, der die Pointe des Ausspruchs enthält. Der Shutdown des öffentlichen Lebens hat unzählige Kulturschaffende um ihre sicher geglaubten Erwerbsmöglichkeiten gebracht. Nicht nur guter Rat ist angesichts von Quarantänemaßnahmen teuer. Längst müssen Notgroschen herhalten, um in Zeiten von Corona dasjenige zu ersetzen, was die Künstlerinnen und Künstler wenigstens den Angehörigen des Prekariats gleichstellt.

Künstler und Intellektuelle nehmen derweil mit der Verkleinerung ihrer Darstellungsformen vorlieb. Auch die pfiffigste Streaming-Möglichkeit wirkt oft nur wie ein Zwergen-Elixier. Kunststücke werden im Zeitalter ihrer digitalen Reproduzierbarkeit wie Vertreterware herumgereicht. Ihr Wert, so er aktuell nicht in Begriffen des Tauschs bestimmt werden kann, bleibt als Idee sichtbar. Der mit Töpfen klappernde Musiker im Eigenheim macht die Probe aufs Exempel. Er präsentiert seine Kunst in Rindsuppenwürfelform.

Lückenbüßer Staat

Für die Kulturschaffenden ist der Appell an die Vertreter der Allgemeinheit überlebensnotwendig. Die Politik muss schleunigst dafür einstehen, das der Kunst- und Kulturmarkt die Masse der schöpferisch Tätigen nicht mehr so schlecht behandelt, wie sie es von ihm ohnedies gewöhnt waren.

Es ist noch schlimmer: Der Markt, seinerseits Opfer behördlicher Schließung, lässt sie links liegen. Wer nicht auftritt, wird nicht schlecht, sondern gar nicht bezahlt. Der Staat springt in die Bresche. Er drückt, indem er den Grunderwerb sichert, die Wertschätzung aus, die Kunst genießt. Die Annahme, sie sei uns unermesslich viel wert, begleitet uns auch durch den neoliberalen Kapitalismus. Sie bildet eine stillschweigende Voraussetzung.

Irgendwann einmal sollen die Künste bürgerlichen Individuen den Spiegel vorgehalten haben: mit dem Hauch der Verklärung beschlagen. Nur hat der Markt dasjenige, was ihn an den Künsten verwertbar dünkt, längst hinüber in die Kreativwirtschaft verlagert.

Künstler und Kreative, überhaupt Intellektuelle, auf die man hört, sind eingebunden in ein Gefüge aus Institutionen und Orten, an denen sie sich artikulieren. Das klaglose Funktionieren dieses Medienverbunds hat der marxistische Denker Antonio Gramsci einst als die Ausübung von "Hegemonie" beschrieben. Auch dadurch werden Künste und kulturelle Praktiken vielfach um ihr Bestes gebracht: Man hindert sie wirksam daran, widersetzlich zu sein. Man heißt sie in der gewerblichen Wirtschaft willkommen. Ihre Bedeutung bildet Besinnungsstoff für Sonntagsreden.

Lauter Prestigeobjekte

Was sich die Wohlhabenden unter den Bürgern einst leisten konnten, um sich von den hässlichen Seiten der Profitwirtschaft abzulenken, soll nunmehr allen gehören. Doch mit Erbaulichkeit allein ist es nicht getan. Der selektive Zugang zu Kulturgütern soll das Prestige ihrer Nutzer erhöhen. "Kulturell" ist an solchen Gütern der Zwang, sie zu valorisieren: Wer Kunst konsumiert, erfährt sich, soziologisch gesprochen, als "Singularität". Er macht Erfahrungen, die er mit anderen vor allem deshalb teilt, um sich von ihnen zu unterscheiden.

Der Staat muss nunmehr retten, was der Rabenvater Markt in Corona-freien Zeiten an den Künstlern verbrochen hat. Er soll über einen Kamm scheren. Er soll den Produzenten symbolischer Güter ersetzen, womit der Markt auch dann knausert, wenn er widerwillig zahlt. Die Wut der Kulturschaffenden richtet sich nicht nur gegen die Unbedarftheit von Politikern, die von der Beschaffenheit künstlerischer Produktionsmittel und Ausdruckszwänge , wie sich gezeigt hat, nicht die geringste Ahnung haben. Ungenutzt verstreicht die Frist zur Besinnung: ob die freiwillige Unterwerfung unter die Logik der Warenform nicht auch dann ein Übel ist, wenn man gerade keinen Kleinelefanten zwischen sich und seine Mitmenschen presst.

Man könnte sich mit Adorno/Horkheimer wieder stärker auf die Widersprüche von Kunst besinnen: dass sie als löblicher Bestandteil der Freizeitkultur daran mitwirkt, auch diejenigen leidlich zu unterhalten, die in unserer Gesellschaft ohnehin schlecht wegkommen, etwa kleine Dienstleister. Doch dafür brauchte sie die Allgemeinheit nicht teuer zu stehen zu kommen. Sie wäre bloß Reklame. Dabei kann sie dem Markt die Zunge herausstrecken. Sie vermag "Magie" zu sein, "befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein" (Theodor W. Adorno). (Ronald Pohl, 5.5.2020)