Wer will, kann in Online-Kursen, mittels Handy-App, Youtube-Videos oder ganz in Eigenregie meditieren.

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"Konzentriere dich nur auf deinen Atem", so führt mich die sympathische Stimme aus meinem Handy in die heutige Meditation ein. Ich atme ein, ich atme aus. Na bitte. Geht doch! Gedanken, die nun kommen, soll ich akzeptieren und wie Wolken am Himmel vorbeiziehen lassen, heißt es weiter.

Aber meine Gedanken sind hartnäckig. Sie wollen nicht wie fluffige Wolken davonschweben. Sie brauen sich eher wie finstere Gewitterwolken zusammen. Zirpen bei der Dame in meinem Handy im Hintergrund echte Zikaden?, frage ich mich. Wann war noch einmal die Deadline für diesen Artikel? Und was gibt es zum Abendessen? Um mir die Sache mit der Entspannung noch schwerer zu machen, tut mir vom Sitzen auf der Yogamatte im Wohnzimmer außerdem langsam der Rücken weh. Dann läutet es an der Haustür. Ich gebe auf. Und bleibe vorerst unentspannt.

Drei bis vier Wochen

Peter Sedlmeier kennt meine Probleme. Der Psychologe von der TU Chemnitz beschäftigt sich beruflich und privat schon lange mit Meditation. In Thailand hat er im Rahmen eines Meditationsprogramms in einem Kloster einmal drei Tage ohne Schlaf abwechselnd im Sitzen und Gehen meditiert. Er sagt: "Meditation ist nichts, was man schnell lernt." Mit der richtigen Atmung muss man sich zum Beispiel erst vertraut machen. Drei bis vier Wochen müsse man schon durchhalten, bis man erste stabile Effekte erkennt. Was nicht heißt, dass man sich nicht auch vorher schon bei den Übungen entspannen kann. Zumindest, wenn man sich darauf einlässt.

Sedlmeier beruhigt mich: Dass bei Ungeübten erst einmal die Gedanken davongaloppieren, sei ganz normal. Viele schlafen bei den Meditationsübungen anfangs sogar ein – ein gutes Zeichen, meint der Psychologe. So wisse man wenigstens, dass man ganz entspannt sei.

Besonders in der Corona-Krise wirkt Meditation verheißungsvoll. Viele Menschen sitzen gerade gestresst zu Hause. Sie werden von Zukunfts- und Existenzängsten, Sorgen um die Familie geplagt. Da klingen ein paar ruhige Minuten, in denen all das vergessen ist, großartig.

Online meditieren

Auch Giulia Tamiazzo, die das Yoga- und Meditationsstudio Retreat in Wien-Neubau betreibt, bemerkt derzeit ein verstärktes Interesse an Meditation. Sie bietet seit dem Corona-Lockdown Onlinekurse an. Oft sogar eigens für Unternehmen, die ihre Mitarbeiter im Homeoffice unterstützen möchten. Onlinemeditation funktioniere sogar besser als Yoga, weil es weniger um die körperliche Ausführung gehe, sagt sie. Eine Meditationsleiterin führt via Zoom-Call durch die Übungen. Manche Teilnehmer und Teilnehmerinnen lassen die Kamera an, andere verzichten darauf. Erlaubt ist beides.

Ob mittels Onlinekurs, in Eigenregie, dank einer der zahlreichen Apps oder mithilfe von Youtube-Videos: Wichtig ist, beim Meditieren eine Routine zu entwickeln und es regelmäßig zu machen. Eine Viertelstunde sollte man sich dafür am Tag schon Zeit nehmen. "Am einfachsten gelingt der Einstieg, wenn man einen Kurs macht", sagt Sedlmeier. Er empfiehlt, sich eine fixe Tageszeit anzugewöhnen, zu der meditiert wird. Zum Beispiel in der Früh, gleich nach dem Zähneputzen. Meditiert werden kann – je nach Technik – nicht nur im Sitzen oder Liegen, sondern auch im Gehen.

Warum das Ganze? Über die Effekte von Meditation wurde schon viel geforscht. Viele Studien seien vielversprechend, aber die Anzahl der Probanden war relativ klein, meint der Grazer Kardiologe Rainer Picha, der sich seit Jahrzehnten mit Meditation beschäftigt: "Einige Studien haben aber schon einen Evidenzgrad erreicht, der bemerkenswert ist."

Unterschiedliche Meditationsarten

Erschwerend kommt hinzu: Meditation wirkt nicht bei jedem gleich, wie Sedlmeier betont. Und unterschiedliche Meditationsarten könnten unterschiedliche Effekte haben. So gibt es laut Rainer Picha etwa Hinweise darauf, dass sich durch die sogenannte Transzendentale Meditation der Blutdruck und das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, senken lässt und sich diese Technik langfristig auf die Lernfähigkeit und sogar auf den Intelligenzquotienten auswirken könnte.

Andere Meditationstechniken, wie etwa die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion, könnten Angst und Depression reduzieren. Meditation kann außerdem die Stressresilienz erhöhen. Das bedeutet, dass man mit gleichbleibendem Stress besser umgehen kann, was sich wiederum auf das Immunsystem auswirkt. Nicht unwesentlich in Zeiten der Corona-Krise. Für den wissenschaftlichen Beleg braucht es aber weitere Studien.

Raus aus der Eso-Ecke

In den letzten Jahren sei Meditation aus der Esoterikecke herausgekommen, freuen sich die Experten. Immerhin meditiert heute sogar der amerikanische TV-Star Oprah Winfrey regelmäßig. Ratsam ist die Technik dennoch nicht für alle. Vorsichtig sollten beispielsweise Menschen mit psychischen Erkrankungen – etwa Schizophrenie – sein. Auch bei Depressionen rät Sedlmeier zu professioneller Begleitung.

Für Neulinge gilt: Man sollte sich mit und in der Übung wohlfühlen – und diese mit Bedacht auswählen. Kritisch sieht Yoga-Studio-Besitzerin Giulia Tamiazzo etwa Vergangenheitsreisen, die psychisch etwas auslösen können. Sie sollten daher nur unter Anleitung von Profis stattfinden – und nicht mittels Handy-App.

Ich werde das mit der Entspannung zu Hause jedenfalls weiter probieren. Und hoffen, dass es nicht im falschen Moment an der Haustür klingelt. (Franziska Zoidl, 5.5.2020)