Die deutschsprachige Übersetzung ist nur wenige Monate nach der hier besprochenen Originalausgabe erschienen.
Foto: Heyne

Mit Madeleine Puljics "Zweite Heimat" hatten wir vergangenen Monat wieder einmal einen Roman aus der Schiene "Aliens sitzen über den Wert der Menschheit zu Gericht". In Zack Jordans "The Last Human", einem wilden Ritt von einer Space Opera, wurde das Urteil schon längst gefällt und vollstreckt: Homo sapiens ist als Bedrohung für die galaktische Gemeinschaft identifiziert und ausgelöscht worden – so lesen wir es bereits im Klappentext. Das Buch selbst drückt sich dann überraschend lange darum herum, dieses heikle Thema explizit anzusprechen. Und noch länger müssen wir gebannt warten, bis wir endlich erfahren, was denn damals genau passiert ist.

Mit der Wut im Spinnenbauch

Gleich zu Beginn wird uns aber der im Titel versprochene letzte Mensch vorgestellt. Die junge Sarya lebt auf einer Raumstation, die von Angehörigen hunderter Völker bewohnt ist – ein winziger Ausschnitt der 1,4 Millionen intelligenter Spezies, die es in Jordans strange and crowded galaxy gibt. Und allen gilt der Mensch als leibhaftiger Gottseibeiuns.

Sarya kommt nur deshalb unerkannt durch den Tag, weil ihre Adoptivmutter sie der Öffentlichkeit als Angehörige einer äußerlich menschenähnlichen, aber völlig harmlosen Spezies verkauft. Diese Adoptivmutter, Shenya die Witwe, ist übrigens ein furchterregendes klingenbewehrtes Spinnenwesen, dem sich niemand in den Weg stellen sollte. Sie war einst eine Jägerin, die unzählige Wesen zerfetzt hat – doch mit der gleichen Verve verteidigt sie nun ihre Tochter. Auch wenn die sich mitunter hüten muss, nicht selbst Shenyas Killerinstinkte zu wecken.

Dass Sarya als "Witwe" (so die offizielle Bezeichnung von Shenyas Spezies) sozialisiert wurde, hat ihr eine gewisse Grundaggression verliehen. Dazu kommt noch eine gehörige Portion Wut im Bauch ob der Schmach, die sie täglich hinnehmen muss. Denn Sarya muss nicht nur ihr wahres Wesen verleugnen, ihr ist auch jeder gesellschaftliche Aufstieg verwehrt. Weil sie bei einer medizinischen Untersuchung sofort auffliegen würde, kann sie sich nicht das Netzwerk-Implantat einsetzen lassen, das fast jeder Bürger der Galaxis in sich trägt. Sie wird daher als gering intelligent eingestuft – und das in einer Gesellschaft, in der Intelligenz ein Statussymbol ist. Kein Wunder, dass Sarya einen Ausweg sucht. Als jedoch jemand auf den Plan tritt, der ihr einen solchen Ausweg anbietet, setzen sich Ereignisse in Gang, die die gesamte Galaxis erschüttern werden. Zack Jordan bäckt hier keine kleinen Brötchen, so viel sei gesagt!

Die Hierarchie der Intelligenz

Jedem Volk und jedem Einzelwesen ist ein bestimmter Rang (tier) zugeteilt, der durch Intelligenztests ermittelt wird. Die meisten kreisen um die 2 herum – und da jeder Wert 12-mal so hoch ist wie der nächstniedrigere, hat man es auf den Stufen 4 bis 6 schon mit mythischen Wesen von gottgleicher Macht zu tun; in der Regel sind dies Kollektivintelligenzen. Seinen Status lässt man gegenüber niedriger Eingestuften nicht nur gerne heraushängen, man benutzt ihn auch dazu, sie zu manipulieren. Ein strukturbestimmendes Element des Romans ist der Umstand, dass lowtiers in für sie nicht durchschaubare Pläne von hightiers verstrickt werden ... die ihrerseits nur die Schachfiguren von Entitäten sind, die noch komplexer denken.

Selbst Sarya macht bei diesem unsympathischen Spiel mit – auch wenn unter ihr nur noch die sublegals angesiedelt sind: Maschinen, die zwar ein Ich-Bewusstsein haben, aber nur einen bescheidenen Verstand, der ganz auf ihre jeweilige Aufgabe fokussiert ist. Mit diesem Merkmalsmix ähneln sie den Droiden von "Star Wars", vor allem aber sind sie ein kapitalistischer Traum: Arbeiter, die ihr Job mit einprogrammiertem Glück erfüllt; selbst eine Smart-Toilette ist unheimlich stolz auf ihre Aufgabe. Je tiefer man in das galaktische System eintaucht, desto suspekter wird es einem.

Das Cover der US-Ausgabe.
Foto: Del Rey

Kampf der Prinzipien

Die höchste Ausformung dieses Systems – bzw. das System selbst – ist Network, eine Art milchstraßenweites Super-Internet, das neben dem Informationsaustausch auch überlichtschnelles Reisen und vieles mehr ermöglicht. Network ist aber nicht einfach nur eine Infrastruktur, sondern auch eine denkende und lenkende Entität höchsten Ranges. Und es ist eine Ideologie (Network tends towards order, wie es einmal heißt).

Wir kennen die Szenen von Events in den USA, bei denen ein Saal voller aufgekratzter Menschen klatscht und johlt, weil die Welt um ein neues Smartphone bereichert wurde. Die ideologische Überhöhung von Technologie ist in Jordans Welt Usus, folgerichtig sind die Infodumps in "The Last Human", die uns den Aufbau der galaktischen Gesellschaft erklären, in einem PR-Ton geschrieben, den man beizeiten ein bisschen zu hassen beginnt. Und das soll man auch, reibt doch diese gönnerhaft vereinfachende Form der Informationsvermittlung Dummies wie Sarya (und ihren dieses Buch lesenden Artgenossen) immer wieder unter die Nase, wie man sie einschätzt. Lieb dumm, aber eben dumm.

Kein Wunder also, dass Sarya empfänglich für die Einflüsterungen eines Kollektivwesens wird, das sich als Observer bezeichnet. Indem der Observer individuelle Freiheit und Anarchie propagiert, wird er zum Herausforderer des Systems. Man muss kein ausgemachter Bibelfex sein, um in Network und Observer die Dualität von Gott und Satan wiederzuerkennen: hier die Ordnung, die aber auch Unterordnung bedeutet – da die Freiheit, die mit Chaos einhergeht. Aber könnte Satan in dieser Welt die bessere Wahl sein? Zieht man all die Effekte, die Jordan hier zündet, einmal ab, läuft der Roman auf die uralte moralische Frage hinaus, für welches Prinzip sich Sarya – als letzter Mensch und damit stellvertretend für alle Menschen – entscheiden wird.

Vielleicht noch kein Feinschliff, aber jede Menge Gefunkel

"The Last Human" ist der typische Romanerstling eines Autors, der schreiben kann und auch wild dazu entschlossen ist, das zu demonstrieren. Nach einem furiosen ersten Viertel geht die Erzählung in einen Psychotrip über, als Sarya in die gespeicherten Erinnerungen ihrer Adoptivmutter eintaucht – ähnlich intensiv wie die Action davor, nur eben anders. Und auch innerhalb der Abschnitte wechselt der Erzählmodus mitunter so schnell, dass ein Peitschenschlagsyndrom droht: Eben noch wird mit dem Schlachtenpathos einer Saga beschrieben, wie sich Shenya die Witwe in Kampfstellung begibt ... da legt auch schon wieder das unselige PR-Gesabbel los.

Von Perspektivwechseln bis zu Exkursen, deren Bedeutung sich erst später erschließt, wird jeder erzählerische Trick aus der Kiste gezogen. Besonders wichtig ist dabei das Erzeugen starker Bilder. Wenn etwa der aus abertausenden Einzelkörpern bestehende Megaschwarm des Observers in kollektives Lachen ausbricht, sieht man unwillkürlich den vervielfältigten Agent Smith aus dem Abschlussteil der "Matrix" vor sich. Und der Weg führt immer weiter nach oben: Der von SF-Fans so geschätzte Sense of Wonder schlägt spätestens dann an, wenn Sarya eine Kolonne aus Billionen Raumschiffen durch einen Hyperraumtunnel ziehen sieht – und das ist bloß der Alltagsverkehr in einem von unzähligen Verkehrsknotenpunkten der Milchstraße. Zu guter Letzt erklimmen wir sogar eine Ebene, die derart überdrüber ist, dass der alte Songtitel "He's Got The Whole World In His Hand" wörtliche Bedeutung annimmt.

Zack Jordan ist hier klar nach der Maxime "When in doubt, do" vorgegangen. In reiferen Jahren würde er auf das eine oder andere Element wohl verzichten, um eine bessere erzählerische Balance zu wahren. Aber lieber einen Autor, der wild um sich schießt, als einen, der gar kein Pulver in der Büchse hat. "The Last Human" war jedenfalls ein beeindruckendes Schaulaufen, das Zack Jordan auf die Liste der Autoren setzt, deren weitere Karriere man im Auge behalten wird. Und noch eine gute Nachricht für diejenigen, die vor englischsprachigen Werken zurückscheuen: Die Übersetzung wird bereits im Oktober bei Heyne erscheinen.