Der Erfolg gibt ihr recht: Die 21-jährige Mathea macht Musik für die Generation Influencer. Das ist gleichermaßen authentisch wie hohl.

Foto: Kidizin Sane

"Wart’ schon zehn Minuten lang und keiner kommt hier abservier’n", sprechsingt Mathea in der Nummer Medium Rare, die sich im hinteren Mittelfeld ihres gerade erschienenen Debütalbums M befindet. Die junge Frau ist angezipft, denn sie befindet sich auf einem Date, das laut Eigenaussage "echt, echt, echt scheiße" ist.

Hobbysoziologin Mathea will auch bei ihren Freundinnen beobachtet haben, dass deren Rendezvous oft unter den Erwartungen bleiben. Es dürfte sich also um ein Phänomen handeln, das nun endlich seine Chronistin gefunden hat. Gute Geschichtsschreibung braucht Atmosphäre, weswegen wir auch darüber informiert werden, was das Gegenüber isst (fettes Philly-Cheesesteak-Sandwich) und dass das Service mit zehn Minuten Wartezeit unter jeder Sau ist. Alarmstufe Rot, das sind die Leiden des jungen Influencers, hier werden die richtig schlimmen Traumata verarbeitet.

Man sieht sich immer zweimal

Willkommen in der Welt von Mathea Elisabeth Höller, 21 Jahre jung, Österreichs gerade wohl meistgehörte Sängerin. Bekannt mag sie manchem aus der Castingshow The Voice of Germany sein, aus der sie relativ schnell rausflog. Einen ersten, dafür umso größerer Erfolg fuhr sie 2019 mit ihrem Hit 2x ein, der Platz eins der Austria Top 40 belegte.

Mathea

Es handelt sich bei ihrer Musik um minimalinvasiven Deutsch-Pop, den sie mit idiomatischen Anleihen an den großen Nachbarn kühl abspult. Ihre Songs tragen generische Titel wie Haus, Welle, Jaja oder 2:46 – subversiverweise dauert diese Nummer 2:47 Minuten. Das angerichtet auf Beats, die man aus Ermangelung an Alternativen wohl "urban" nennen darf, drei Akkorde dazu, glatt ausproduziert, sitzt, fertig.

Erfahrungshorizont: gering

Man wird Mathea keinen Strick daraus drehen können, in ihren Songs keine staatstragenden Themen zu verhandeln. Auch dass sich ihr Album vor allem um Beziehungen dreht, wie gefühlt 90 Prozent aller Popmusik, ist nicht das Problem. Popmusik darf ruhig auf den eigenen Erfahrungen beruhen; unangenehm wird das nur, wenn deren Horizont den Screen des nächst verfügbaren Endgeräts nicht überschreitet.

Mathea

Man muss kein großer Kapitalismuskritiker sein, um es durchaus befremdlich zu finden, wenn ein junger Mensch daran laboriert, in einem Lokal zehn Minuten nicht bedient zu werden. Aber auch bei anderen Tracks auf dem Album, die zumindest versuchen, irgendeine Art von Bedeutung zu vermitteln – zum Beispiel Haus, wo Mathea sich bei ihren Eltern für deren Unterstützung bedankt –, bleibt immer ein schaler Beigeschmack. Die Art, wie die Musikerin singt, mit einer Fadesse, die wohl cool wirken soll, sich aber sich anhört, als würde sie währenddessen durch Tinder swipen, schafft es, jedes Aufflackern einer Emotion, eines Gefühls im Keim zu ersticken.

Musik aus besserem Hause

Dabei wären die Anlagen eigentlich gut. Mathea weiß, wie Popsongs funktionieren, wie ein Refrain geschrieben sein muss, damit er beim Hörer hängen bleibt. Auch ist sie technisch keine schlechte Sängerin. Sie biegt mal leise und zerbrechlich um die Ecke, schmettert dann laut und stark, spielt eh alle Stückerln. Doch das vermag auch nicht zu verhehlen, dass die Songs auf dem Reißbrett konstruierte Gefühlsduseleien ohne Seele sind.

Diese hohlen "Confessiones" treffen offenbar einen Nerv und verleiten anzunehmen, dass die Generation der neuen Selbstgerechten wohl doch größer ist als angenommen. Eh leiwand, wenn man keine anderen Sorgen hat, als auf Irgendeiner Party rumzulungern.

Ein Album wie ein Hauch von nichts oder um es noch einmal mit Matheas Worten aus Medium Rare zu sagen: "Es tut mir eigentlich leid / Aber irgendwie soll das nicht sein." (Amira Ben Saoud, 5.5.2020)