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Das Verhältnis zwischen USA und China (hier Donald Trump und Xi Jinping beim G20-Treffen in Japan 2019) verändert sich zurzeit rapide.
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STANDARD: Verstärkt die Corona-Krise den isolationistischen Trend der USA unter Donald Trump?

Bacevich: Ich stimme der Prämisse nicht zu. Wenn man es an den Beziehungen in der Nato, der Größe des Militärbudgets, der Stationierung amerikanischer Truppen in der Welt misst, würde ich sagen, dass es so gut wie keinen Beweis für einen Rückzug vom Weltgeschehen gibt. Wenn wir das spezifische Beispiel des Nahen Ostens nehmen, sollte man fairerweise anerkennen: Die Politik nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hat zu katastrophalen Ergebnissen geführt. Das Chaos, das wir in Afghanistan, im Irak, in Libyen gestiftet haben, kann wohl kaum als politischer Erfolg eingestuft werden. Wenn daher nach Wegen gesucht wird, der Sache ein Ende zu machen, dann sehe ich darin einfach Besonnenheit. Erst Barack Obama, dann Donald Trump. Die Rhetorik unterscheidet sich, die Begründungen unterscheiden sich – doch in jedem Fall geht es um die Suche nach einem Weg, wie wir herauskommen aus dem Schlamassel. Wenn das ein Rückzug ist, ist es ein Rückzug als rationale Antwort auf ein Scheitern.

STANDARD: Als Präsidentschaftskandidat hat Trump die Nato für überflüssig erklärt. War das nicht isolationistisch?

Bacevich: Das beruht auf Trumps verantwortungsloser Rhetorik. Aber wir sind nicht aus der Nato ausgetreten. Eine amerikanische Armeebrigade ist jetzt in Polen stationiert, amerikanische Flugzeuge bewachen den Luftraum über dem Baltikum. Alles in allem handelt es sich um eine kleinere Variante der Militärpräsenz, die die USA während des Kalten Krieges in Westeuropa aufgebaut haben. Das ist doch kein Rückzug.

Gewiss, die Regierung Trump hat das Pariser Klimaabkommen verlassen, was alle, abgesehen von Trumps Anhängern, für dümmer als dumm halten. Joe Biden hat versprochen, dass wir wieder beitreten, wenn er Präsident ist. Trump hat sich vom Atomabkommen mit dem Iran losgesagt – eine Idiotie. Aber Belege dafür, dass die USA zum Isolationismus zurückkehren, beschränken sich auf diese merkwürdigen, impulsiven Entscheidungen des Präsidenten.

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Andrew J. Bacevich: Die USA betreiben keinen Isolationismus.
Foto: Getty

STANDARD: Was will er also?

Bacevich: Würde mich jemand bitten, Trumps Sicherheitsstrategie zu beschreiben, wäre die Antwort: Es gibt keine. Was es gibt, sind ein paar feste Überzeugungen. Zum einen glaubt er, Amerika werde ständig über den Tisch gezogen – sei es beim Handel, sei es bei Sicherheitsabsprachen. Zum anderen scheint er zu glauben, dass er Ungleichgewichte korrigieren kann, indem er droht. Das ist natürlich extrem kurzsichtig, ein schwerer Fehler. Doch ansonsten gibt es nicht viel, woran er wirklich glaubt. Und wir sehen kaum Belege dafür, dass er durchzieht, was er verkündet. Unser Handelsdefizit ist noch immer gewaltig.

Wir machen zu viel aus Trump, er hat die Aufmerksamkeit nicht verdient, die wir ihm schenken. Nehmen Sie seine täglichen Pressekonferenzen während der Epidemie. Die US-Medien drehen jedes Mal durch. Richtiger wäre, das gar nicht zu übertragen. Was er sagt, ist oft demagogisch und falsch. Es ist wie mit einem Autowrack nach einem Unfall. Man kann einfach nicht wegschauen.

STANDARD: Als er an kündigte, der Weltgesundheitsorganisation WHO die Mittel zu streichen: War damit nicht klar, dass er es ernst meint mit seinen Alleingängen?

Bacevich: Warten wir ab, wo wir in sechs Monaten sind. Wird er bei seiner Haltung bleiben? Werden es ihm seine Untergebenen ausgeredet haben? Seine Aufmerksamkeitsspanne scheint ziemlich begrenzt zu sein. Dabei liegt es mir fern, die Sache mit der WHO von der Hand zu weisen. Vielleicht war es aus Sicht der Europäer tatsächlich der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

STANDARD: Trump gibt China die Schuld an der Corona-Pandemie. Und er bezichtigt seinen Rivalen Joe Biden eines Schmusekurses mit Peking. Ist das bloß Wahlkampf?

Bacevich: Ich glaube nicht, dass es so wichtig ist, was Trump über China sagt. Ich glaube aber, dass unsere politische Klasse beginnt, das Verhältnis zu China zu überdenken. Als Nixon 1972 nach China reiste und aus dem Land de facto einen Verbündeten im Duell mit der Sowjetunion machte, als sich China später den Kapitalismus zu eigen machte, wenn auch einen ohne Demokratie, begann eine Partnerschaft, von der anfangs beide Seiten profitierten. US-Konsumenten profitierten von billigen chinesischen Waren. China erzielte phänomenale Wachstumsraten. Es war eine Beziehung zum gegenseitigen Vorteil.

STANDARD: Was ändert sich jetzt?

Bacevich: Es werden immer mehr Zweifel laut. Zum einen versuchen die USA, ihrer verarbeitenden Industrie neues Leben einzuhauchen, um weniger abhängig von Importen zu sein. Zum anderen steigt die Nervosität, weil China sein Militär rasant modernisiert und im Südchinesischen Meer die Muskeln spielen lässt. In der Covid-19-Pandemie kommt die Frage hinzu, ob die chinesische Regierung gelogen hat. Also, ganz unabhängig von Trump ist innerhalb der politischen Elite ein Prozess der Neubewertung im Gange. Wie soll unser Verhältnis zu Peking in Zukunft aussehen? Können wir Partner sein? Sind wir Gegner? Welche Ziele verfolgt China? Was ist die richtige Antwort? All das steht zur Debatte. Wir dürften grundlegende Änderungen erleben.

STANDARD: Gilt das auch, sollte der nächste Präsident der USA Joe Biden heißen?

Bacevich: Dieser Prozess, bei dem Dinge hinterfragt werden, wird auch dann weitergehen. (Frank Herrmann, 5.5.2020)