Sie gilt international als Erfolgsmodell, ja als Exportschlager, weil immer wieder Länder versuchen, das System zu kopieren: Die Rede ist von der Lehre. Eine abgeschlossene Lehre bietet gute Perspektiven am Jobmarkt, die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe ist nur moderat höher als unter Akademikern.

Die Corona-Krise trifft aktuell Lehrlinge und Lehrberufe allerdings besonders hart. Noch ist es nicht viel mehr als eine Momentaufnahme. Aber der Lehrstellenmarkt könnte durch die Pandemie längerfristig unter Druck geraten und deutliche Mehrinvestitionen beim AMS erforderlich machen. Zunächst zu den Fakten.

Die Zahl der Arbeitslosen ist in Österreich wie erwartet im April erneut kräftig gestiegen, um 58 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Aktuell sind 571.500 Menschen arbeitslos oder in Schulung. Die Krise trifft alle Berufsgruppen hart, aber doch gibt es Unterschiede. Am stärksten gestiegen ist die Arbeitslosigkeit relativ zum Bestand unter Menschen mit Lehrabschluss.

Das Plus betrug hier 70 Prozent, was 71.000 Menschen entspricht. Bei Personen mit Pflichtschulabschluss lag der Zuwachs bei 52, bei Akademikern bei 37 Prozent. Da auch in guten Zeiten mehr Menschen mit Pflichtschulabschluss keinen Job finden, war der absolute Anstieg in dieser Gruppe mit 88.000 allerdings der höchste.

Für die hohe Zuwachsrate bei Lehrberufen gibt es mehrere Erklärungen. Betroffen sind aktuell von den Turbulenzen viele Branchen, in denen konzentriert Menschen mit Lehrabschluss arbeiten, sagt AMS-Chef Herbert Buchinger, der aktuell in der Außenkommunikation Johannes Kopf vertritt.

Den größten Anstieg bei der Arbeitslosigkeit gab es im Tourismus, wo viele gelernte Köche und Kellner arbeiten. Dramatisch war auch die Entwicklung in der Bauwirtschaft – wo viele Handwerker betroffen sind. Im Handel war der Zuwachs zwar weniger stark, hier sind viele Menschen in Kurzarbeit geschickt worden. Doch auch hier traf es viele Personen in Lehrberufen.

Lehrstellen verschwinden

Schlecht sieht es auf einmal auch am Lehrstellenmarkt aus: Die Zahl der sofort verfügbaren offenen Lehrstellen ist im Vergleich zum Vorjahr um 24 Prozent auf etwas mehr als 4500 zurückgegangen. Demgegenüber gibt es 8366 aktiv Lehrstellensuchende. Das sind um 55 Prozent mehr als vor einem Jahr. Während diese Zahlen noch nicht so dramatisch anmuten mögen, warnt der Arbeitsmarktexperte Helmut Mahringer vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo bereits vor einer Verschärfung der Situation im Herbst.

Idylle am Wolfgangsee. Ob davon auch Touristen heuer etwas haben? Die Tourismuswirtschaft leidet unter der Krise enorm. In keiner anderen Branche ist die Arbeitslosigkeit so stark gestiegen.
APA/BARBARA GINDL

Viele Berufsschüler, die jetzt ihre Lehre abschließen, strömen erst im Herbst auf den Markt und suchen eine Stelle, so Mahringer. In Österreich gibt es eine Rückversicherung für solche Fälle: Wer keine betriebliche Lehrstelle bekommt, hat einen Anspruch auf einen Ausbildungsplatz in einer überbetrieblichen Lehre beim AMS. Sollte sich die Lage zuspitzen, werde es hier deutliche Mehrinvestitionen brauchen, um den Bedarf decken zu können, sagt Mahringer.

Aktuell deutet tatsächlich alles darauf hin, dass die Lage auch über den Herbst hinaus angespannt bleibt. Eine Befragung der Europäischen Zentralbank unter Ökonomen kommt zum Ergebnis, dass die Experten längerfristig, bis 2022, mit einer höheren Arbeitslosigkeit rechnen.

Für Österreich sagt AMS-Chef Buchinger zwar, dass der Anstieg bei den Arbeitslosenzahlen den Höhepunkt vorerst überschritten hat. Doch Buchinger rechnet ab August oder September mit einer weiteren Zunahme: Neben der schwachen Konjunktur wirken sich saisonale Effekte aus. Den Höhepunkt der Jobkrise erwartet er für Jänner 2021. Der Jänner ist traditionell ein schwaches Monat am Jobmarkt, weil viele Baustellen stillstehen.

Das führt noch zu einem letzten interessanten Punkt: Aktuell scheint die typische Baustellensaison durcheinandergekommen zu sein. Die Zahl der arbeitslos gemeldeten Bauarbeiter hat sich im Vergleich zu 2019 fast verdoppelt. Die Baustellen haben zwar wieder geöffnet, nach dem sie im März gesperrt waren. Doch das schlägt sich in den Arbeitslosenzahlen nicht nieder. In einem typischen April müssten mehr Bauarbeiter beschäftigt sein. Woran liegt das?

Probleme am Bau

Andreas Ruby, Geschäftsführer der Bauinnung in der Wiener Wirtschaftskammer, sagt, dass der Stillstand im März zu einem Rückstau auf vielen Baustellen geführt habe, der sich nun nur nach und nach auflöse. Auch berichtet er von Materialengpässen auf einigen Baustellen. Auch Mitarbeiter fehlten: Viele Polen und Serben zum Beispiel können aktuell nicht anreisen, um zu arbeiten, was zu weiteren Verzögerungen und Friktionen führt.

Schließlich wurden viele Bauverhandlungen wegen der Corona-Krise ausgesetzt, was dazu führe, dass auf weniger Baustellen die Arbeit aufgenommen werden konnte. Und: Die Zahl der Beauftragungen durch Privatpersonen, etwa für eine Badezimmerrenovierung oder neue Fließen auf der Terrasse, sei zurückgegangen.

Unterdessen haben am Montag Beratungen zwischen der Regierung und den Sozialpartnern über Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft begonnen. Ergebnisse gibt es noch keine, es wurden Arbeitsgruppen eingerichtet. (András Szigetvari, 5.5.2020)