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Für die heute 56-Jährige war Joe Biden einmal der "Champion der Frauenrechte" – doch das hat sich geändert.

Foto: AP Photo/Donald Thompson

Erst ihre Mutter, erinnert sich Tara Reade, habe ihr an jenem Sommertag vor 27 Jahren vor Augen geführt, was geschehen war. Zu Beginn habe sie am Telefon herumgedruckst, ihren Chef auch noch verteidigt, schließlich, so die heute 56-Jährige, "mochte ich ihn ja".

Er, das war Joe Biden, heute Kandidat der US-Demokraten für die Präsidentenwahl und damals, 1993, ein Star im US-Kongress. Für sie, die ambitionierte Assistentin, war der charismatische Senator ein "Champion der Frauenrechte", ein progressiver Leuchtturm in der sonst so drögen US-Politik dieser Jahre. "Mein Ziel war es, selbst einmal Senatorin zu werden, nicht mit einem Senator zu schlafen", schilderte die Juristin, die heute vor allem im Feld der Kinderrechte arbeitet und bekennende Anhängerin von Bidens linkem Konkurrenten Bernie Sanders ist, in einem Interview Ende März mit einem New Yorker Radiosender.

Beschwerden eingelegt

Was dem Publikum dort zu Ohren kam, könnte den Verlauf der Wahl entscheidend verändern. Hatte Reade ihrem einstigen Chef nämlich schon vor einem Jahr in einer Kolumne übergriffiges Verhalten vorgehalten, schilderte sie nun für alle hörbar einen Vorfall, der, sofern tatsächlich geschehen, weit mehr ist als übergriffig: Biden – er weist die Vorwürfe mit Nachdruck zurück – habe sie gegen ihren Willen mit seinen Fingern penetriert, erzählte sie dort.

Zwar habe sie als damals 28-Jährige nach dem traumatischen Vorfall im Personalbüro Beschwerde gegen ihr politisches Vorbild eingelegt – allerdings, wie sie heute sagt, nicht aufgrund des angeblichen sexuellen Übergriffs, sondern allgemein wegen "Belästigung".

Viele Todesdrohungen

Der mächtige Senator habe sie danach spüren lassen, was er von ihrer Zurückweisung hält. Lange suchte sie vergebens einen neuen Job im Kapitol. Schließlich kehrte sie Washington den Rücken, heute lebt sie in der kalifornischen Sierra Nevada. Ein Dokument, das die Vorwürfe gegen Biden belegen würde, ist bis dato nicht aufgetaucht. Und auch dass Reade 2018 in einem Blog Wladimir Putin lobte, trägt in den Augen ihrer Gegner nicht zu ihrer Glaubwürdigkeit bei.

Einerseits habe sie die MeToo-Bewegung ermutigt, endlich alles zu erzählen, sagt sie. Andererseits habe sie schon vor einem Jahr zu viele Todesdrohungen bekommen, um jetzt noch zu schweigen. Und auch ihrer mittlerweile erwachsenen Tochter zuliebe wolle sie nicht länger den Mund halten, nur weil der Gegner mächtig ist. (Florian Niederndorfer, 5.5.2020)