Was hier auf der Opernballdemo 2017 gefragt wird, ist in Österreich Mainstream.

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Diese Forderung von Linksparteien scheint nicht zu reichen, um damit auch die Wählerinnen und Wähler zu gewinnen, die ihr prinzipiell zustimmen.

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Die uns bevorstehende Wirtschaftskrise bringt Optionen aufs Tapet, die in Normalzeiten außerhalb des politisch Möglichen lägen. Allerorten stehen massive Ausweitungen staatlichen Handelns auf der Tagesordnung: In den USA wurde etwa das Arbeitslosengeld für einige Monate drastisch erhöht. Quer durch Europa werden Kurzarbeitsmodelle angeboten, Steuer- und Kreditzahlungen gestundet und Ersatzleistungen für Wohn- und Energiekosten gezahlt (der Europäische Gewerkschaftsbund bietet hier eine Übersicht über nationale Maßnahmen). Sogar die Verstaatlichung von Unternehmen ist plötzlich eine Handlungsoption.

Wie aber schlägt sich eine Wirtschaftskrise in der öffentlichen Meinung nieder? Steigt mit den ökonomischen Verwerfungen der Wunsch nach mehr Umverteilung? Anhaltspunkte dafür können uns die Daten des European Social Survey geben, der in den letzten zwei Jahrzehnten auch in Österreich regelmäßig nach der Zustimmung zur Aussage "Der Staat sollte Maßnahmen ergreifen, um Einkommensunterschiede zu reduzieren" gefragt hat.

Die Grafik unten zeigt die Antworten der Befragten in Österreich auf einer fünfteiligen Skala ("stimme stark zu" bis "lehne stark ab") im Zeitverlauf. Der Ruf nach staatlicher Umverteilung hat in jüngerer Vergangenheit von hohem Niveau aus noch zugenommen. Lag der Zustimmungsanteil ("stimme stark zu" plus "stimme zu") in den 2000er-Jahren bei gut zwei Dritteln, so pendelte er sich in den vergangenen fünf Jahren bei Werten um 80 Prozent ein. Just in der Befragung nach dem Krisenjahr 2009 – als die österreichische Wirtschaftsleistung ihren stärksten Einbruch seit 1945 verzeichnete – erreichte die Nachfrage nach staatlicher Umverteilung mit 62 Prozent ihren Tiefpunkt (wobei die Arbeitslosigkeit erst ab 2012 stärker zunahm, sich aber in den letzten Jahren wieder verringerte).

Die Zustimmung zu staatlicher Umverteilung in Österreich korreliert also nur mäßig mit der Wirtschaftslage – sie ist dafür im internationalen Vergleich auffallend hoch. Kaum ein ähnlich reiches Land weist dermaßen hohe Werte auf. In der Befragung von 2018/19 liegen nur Länder mit deutlich niedrigeren Pro-Kopf-Einkommen höher als Österreich (Bulgarien, Italien, Slowenien und Ungarn). Hingegen ist in vielen vergleichbaren Volkswirtschaften (etwa in der Schweiz, den Niederlanden oder Schweden) die Umverteilungsskepsis deutlich stärker ausgeprägt (wiewohl noch immer Minderheitenprogramm).

Umverteilung ist in Österreich also schon lange populär – und hat in den letzten Jahren noch an Unterstützung zugelegt. Umso erstaunlicher ist es, dass linke Parteien – die sich diesem politischen Programm mehr als andere verschrieben haben – im selben Zeitraum massiv an Zustimmung eingebüßt haben. Selbst wenn die anstehende Krise die Nachfrage nach staatlicher Intervention also noch einmal ankurbelt, ist nicht ausgemacht, dass sich das im Wahlverhalten und damit in den parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen niederschlägt. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 5.5.2020)