Wenn man einen Fehler macht, muss man das auch zugeben.

Und als ich vergangene Woche hier über meine Freude schrieb, wenn ich die Morgen-Tai-Chi-Gruppe beim Theseustempel sehe, da habe ich einen kapitalen Bock geschossen.

Dass den halb Lauf-Wien schießt, weil die meisten hier eben nur vorbeilaufen und nicht mitmachen, tut nichts zur Sache: Falsch ist falsch.

Denn das Training vor dem Tempel leitet Herr Willy Hsu. Seit über einem Jahr. Denn Herr Li, der hier jahrelang jeden Tag und bei jedem Wetter um acht Uhr morgens für alle, die da waren, Unterricht gab, ist vor über einem Jahr verstorben. Herr Hsu setzt seither fort, was Herr Li aufgebaut hat: Um 8 Uhr gibt es eine halbe Stunde Gymnastik, dann folgt ein etwa halbstündiger Block Tai-Chi – und dann noch eine halbe Stunde Gymnastikübungen zu chinesischer Musik.

Auch wenn ich als Vorbeiläufer nie bemerkte, dass da jemand anderer unterrichtet: Ich entschuldige mich – ganz besonders bei Frau Li, der Witwe.

Foto: thomas rottenberg

Dennoch soll heute hier nachgereicht werden, was letzte Woche dann verschoben wurde: eine Schuhgeschichte.

Denn die Frage nach dem richtigen Schuh wurde in den letzten Wochen weit häufiger gestellt als sonst – und auch von Menschen, die bisher einen Laufschuh nicht von einem Flip-Flop unterscheiden konnten. Dass jetzt viele Leute rennen, die bisher nie oder kaum gelaufen sind, ist grundsätzlich gut.

Dass sie dabei oft Schuhe tragen, bei denen schon das Zuschauen (und -hören) schmerzt, tut da – im ersten Moment – nichts zur Sache. Findet auch Hans Blutsch, einer der Doyens des Wiener Laufschuhhandels. "Grundsätzlich ist es gut, dass viel mehr Leute laufen."

Foto: thomas rottenberg

Im zweiten Moment ist die Frage nach dem Schuh dann aber doch wichtig: Das Aha-Erlebnis vieler Lauf-Einsteigerinnen und -Einsteiger, die erleben, dass Laufen weder schmerzhaft noch elend sein muss, ist wichtig: Wer leidet, läuft nicht lange.

Nicht ohne Grund sagt man Leuten wie Blutsch, Ed und Elisa Kramer, Michael Wernbacher und seinem Team oder den Mitarbeitern von Tonys Laufshop oder Michael Buchleitners Run Inc deshalb nach, Schuhe nicht zu verkaufen, sondern zu verschreiben.

Zumindest Hans Blutsch ist stolz auf diese Etikettierung.

Foto: thomas rottenberg

Denn wer zum ersten Mal sechs oder sieben paar Schuhe Probe laufen muss (oder darf), merkt rasch: Es gibt Unterschiede – und keinen objektiv besten Schuh. Weil jede Läuferin und jeder Läufer andere Bedürfnisse, Probleme, Stärken oder Defizite hat. Darum gibt es auch keine Antwort auf die "ewige" Frage nach dem guten, dem perfekten Laufschuh. "Es muss einen besten geben", kommt dennoch wie das Amen im Gebet, sobald hier das Wort Laufschuh steht.

Mit Fragezeichen von Newbies. Mit Rufzeichen von (selbsternannten) Auskennern, die sich selbst für das Maß aller Dinge halten: Von "Mit dem Schuh kann man unmöglich laufen" bis zu "Der ist definitiv der beste von allen!" habe ich als Kommentar zu ein und demselben Schuh immer wieder gehört.

Foto: thomas rottenberg

Auch zu diesem Schuh, dem Saucony Kinvara 11. Der ist für mich, meine Füße und meinen Laufstil ein sehr gut laufbarer, universell einsetzbarer Neutralschuh – auch für höhere Geschwindigkeiten, solange es nicht über mehr als die Halbmarathondistanz geht – und der erste einer hier beginnenden Schuhschau. Mit absolut subjektiven Bewertungen: Was für mich super ist, kann für Sie absolut unlaufbar sein – und umgekehrt. Aber dazu gleich mehr.

Foto: thomas rottenberg

Denn vermutlich sollte ich genereller beginnen: Natürlich habe ich einen Lieblingsschuh. Genauer: Ich hatte. Ich bin da seriell-monogam. Vor etlichen Jahren war es der Racer ST von Brooks. Reduziert, neutral und – verhältnismäßig – leicht war er. Als der Racer nicht mehr gebaut wurde und ich schrieb, dass mir der Nachfolger nicht schmeckte, brach Brooks den Kontakt zu mir ab.

Stattdessen "entdeckte" ich einen neuen Lieblingsschuh: Mit dem Saucony Freedom ISO (im Bild: mein letztes, mittlerweile totgelaufenes Paar beim Wüstenmarathon in Israel) verband mich "Liebe auf den ersten Schritt". Der Schuh war leicht und flach genug – brachte mit seiner Sohlenkonstruktion aber genau jene Art und Intensität der Dämpfung, die mich glücklich machte.

Doch schon der Saison-Nachfolger war eine Nuance anders. Immer noch super – aber nicht ganz. Für mich. Und wenn ich die Saucony-Leute richtig verstanden habe, steht dem Freedom ein Racer-Schicksal bevor. Blöd – aber ich suche eh gerne.

Foto: thomas rottenberg

Wieso ich das "Für mich" betone? Eben weil es keine objektiven Bewertungen gibt. Geben kann. Nehmen wir die aktuelle, supergehypte Schnabel- oder Schiffsbugform bei Nike. An denen erkennt man Nike-Schlapfen auf jeder Laufstrecke. Und nicht erst seit Eliud Kipchoge mit einer (gepimpten) Version des Vaporfly 4% in Wien Marathondistanz-Weltrekord lief, schwören Spitzen- wie Hobbyläufer auf den Superschuh und/oder die Superform. Ich kenne Spitzenläuferinnen und -läufer, die bei anderen Labels unter Vertrag sind – und im Wettkampf "getarnte" Nikes anziehen: Darüber, dass diese Schuhe super sind, müssen wir also nicht diskutieren.

Foto: thomas rottenberg

Nur: Ich kann mit ihnen nicht laufen. Nicht nur mit den High-End-Profischlapfen, sondern auch den komfortableren Ablegern: Ich renne wie auf Eiern, schlingere hin und her und glaube, ins Leere zu steigen. Ist der Schuh also schlecht? Sicher nicht (siehe oben). Bin ich ein schlechter Läufer? Wohl auch nicht. Aber für mich ist diese Serie nichts. Punkt.

Was ich in so einem Fall tue? Ich gebe die Schuhe (bisher wollte kein Hersteller sie je zurück, sobald sie ein paar Kilometer gelaufen waren) weiter.

In diesem Fall meinem Freund und Trainingskumpel Rene. Der war bis dahin auch kein Nike-Fan ("Ich komme mit denen nicht zurecht"), schlüpfte zum Probieren und Gustieren aber "natürlich" rein. Bingo: Ich müsste Gewalt anwenden, wollte ich Rene den Pegasus Turbo 2 wieder wegnehmen.

Foto: hauer

Dass man mit einem anderen Schuh des gleichen Herstellers ein komplett anderes Lauferlebnis hat als mit allen Modellen davor, ist nicht ungewöhnlich. Es kann sogar eine Next-Season-Version komplett anders performen. Hans Blutsch spricht da von "Verschlechtbesserungen", die schon bei kleinsten Veränderungen auftreten können. (Deshalb kaufe ich nie "blind" Nachfolgemodelle.)

Ich habe – nur als Beispiel – eine lange, eher durchwachsene Geschichte mit On. Ich habe Schuhe der Schweizer immer wieder getestet – und war jedes Mal verzweifelt: So schön und cool sie sind, so wenig konnte ich mit ihnen laufen. Mir tat nach 30 Minuten bei höherem Tempo der Ballen weh. Rund um mich? "Der geilste Schuh ever!" Hm – was stimmt also?

Foto: thomas rottenberg

Dass die On-Leute es auf Dauer nicht lustig fanden, dass ich das auch schrieb, ist nachvollziehbar. Dass sie mich trotzdem weiterhin bemusterten, ist nicht selbstverständlich – andere Label wenden sich dann lieber "Influencern" zu. Die unterschreiben Verträge – und sind dann immer begeistert.

Als zuletzt der Cloud X bei mir landete, war ich skeptisch.

Ein typischer On: superschön, leicht – aber (vergleichsweise) hart.

Der erste Eindruck: On-Running as usual. Also gute Passform, guter Halt, wenig Führung, im unteren Tempobereich angenehm – wenn es schneller wird: nach einer halben Stunde "bamstig".

Aber irgendwas war anders. Also nahm ich den Schuh eine Woche später noch einmal für einen (für mich) zügigen 20er. Siehe da: Wir fanden zueinander. Auch im höheren Tempobereich: Der Cloud X ist meiner. Derzeit einer meiner drei Lieblingslaufschuhe. Vor zwei Monaten hätte ich das für ein mehr als unwahrscheinliches Urteil gehalten.

Foto: thomas rottenberg

Dass es "den perfekten Schuh" nicht gibt, wissen die Hersteller natürlich selbst auch. Deshalb bauen sie ja unterschiedliche Modelle. Dass in den Shops dann oft nach Farbe oder Form ge- oder verkauft wird, liegt an den Kunden. Aber auch an der Beratung: Tony Nagy (mit Hans Blutsch einer der Urväter der guten Laufschuhberatung in Wien) war berühmt-berüchtigt dafür – und wie er mir mehrfach sagte, auch stolz –, Kunden, die nach Farbe kaufen wollten, aus dem Laden zu schmeißen. "Sagen Sie dem Arzt, welche Farbe ihre Medikamente haben müssen?", lautete einer seiner berühmten Sätze. Nagy ist in Pension, den Laden führt heute seine Tochter Michaela – und Laufschuhe kommen in vielen Farben. Trotzdem: Den "richtigen" Schuh sollte man – gerade als Anfänger – nicht ohne Beratung kaufen. Eben weil das Angebot so breit ist.

Foto: tonyslaufshop.at

Wie breit, bewies mir Harald Hauptvogel im Spätwinter: Hauptvogel ist in Österreich für New Balance zuständig. Als verspätetes Weihnachtsgeschenk schickte er mir im Spätwinter vier Paar Testschuhe. Ganz unterschiedliche. Vom ultrasoften Fresh Foam 1080v10 (rechts) (Herstellerinfo: "eine überzeugende Kombination aus Weichheit und dynamischer Federung, die jeden Schritt unterstützt und schützt") bis zum Schnellverschluss-Triathlon-Wettkampfschuh 1502T2 Boa (links) (Herstellerinfo: "für schnelleren Rebound und den nachhaltigen Support, der auf der Mittelstrecke wie im Marathon unerlässlich ist"). Dass ich nicht mit allen happy werden würde, war erwartbar.

Foto: thomas rottenberg

Tatsächlich kam ich mit dem "fetten" 1080er gar nicht klar: viel zu weich. Ich kam mir vor, als würde ich mit Moonboots laufen. Der Schuh schluckte den Aufprall am Boden perfekt ab – fraß dabei aber auch verdammt viel Energie. Genau das ist der Kompromiss, um den es bei Laufschuhen (auch) geht und mit dem die Hersteller mit abenteuerlichen Sohlenkonstruktionen (und noch abenteuerlicheren Beschreibungen) ringen.

Foto: thomas rottenberg

Der wettkampforientierte 1502er ist genau das Gegenteil. Kaum Dämpfung – und wenig Energieverlust. Über schnelle 10 k trage ich ihn gern. Am Halbmarathon wird es dann bei mir schon kritisch – aber auf längeren Strecken sehe ich (aber auch Hauptvogel) diesen Schuh nur an den Füßen von leichtgewichtigen, richtig schnellen und erfahrenen Läuferinnen und Läufern – mit perfekter Technik.

Foto: thomas rottenberg

Die beiden anderen Modelle sind dafür meine: der 880v10 ist sowas wie ein "Klassiker" in der New-Balance-Kollektion. Die Golfklasse sozusagen: "Ein zuverlässiges, ausgereiftes Laufgefühl" steht im Prospekt und "problemlose, bequeme Passform – und vor allem sicherer Sitz am Mittelfuß".

Wer das richtig liest, versteht: ein solider Universalschuh für gemütliche, nicht tempobetonte Genussläufe. Passt vielen (aber nicht allen!), verzeiht Fehler – ersetzt gute Lauftechnik aber nicht. Und genau das ist der Grund, wieso es dann sogar bei solchen Schuhen (ein 880er-Pendant hat jeder Hersteller im Programm) zu Problemen kommen kann: Viele Läuferinnen und Läufer verlassen sich darauf, dass eh der Schuh für sie läuft.

Foto: thomas rottenberg

Mein Liebling aus Hauptvogels Kiste ist aber der Fuel Cell Rebel. Das, schrieb mir der NB-Mann später, habe ihn "keinen Millimeter" überrascht. Kein Wunder: Hauptvogel sieht, was ich sonst laufe. Und der Rebel fühlte sich ähnlich an wie Sauconys erster Freedom mit seiner Everrun-Sohlenkonstruktion. Bei New Balance steht halt "Mit zwei fein abgestimmten Komponenten unseres besonders rückfedernden Fuel-Cell-Schaums ist der Fuel-Cell-Rebel auf Vortrieb ausgelegt" im Schwurbelblatt. Übersetzt: Ein schneller, leichter Schuh mit relativ wenig Sprengung (der Höhenunterschied zwischen Ferse und Zehe; Anm.), der wenig Energie schluckt, kaum stützt und führt – und diese Arbeit dem Läufer (oder der Läuferin) überlässt. Cool – aber gefährlich: Meinen ungeplanten Marathon von vor ein paar Wochen lief ich mit dem Rebel. Das ging fein und gut.

Foto: thomas rottenberg

Aber an den Tagen danach spürte ich, dass ich mein rechtes Sprunggelenk auf den letzten Kilometern überlastet hatte. Kein Fehler des Schuhs, sondern meiner: Ich habe in den letzten Monaten – weil kein Wettkampf anstand – jedwedes Stabi- und Krafttraining schleifen lassen und auch keinen Schritt Lauftechnik gemacht. Bei der doch gravierenden, angeborenen Fehlstellung meiner Füße (die ich mit Techniktraining recht gut im Griff habe – obwohl mir von Ärzten gesagt worden war, dass ich "nie länger als 15 Minuten schmerzfrei laufen" können würde) ein schwerer Fehler: Als ich (2017) innerhalb einer Woche den Boston- und dann den Wien-Marathon lief, machte ich meine immer noch gültige PB (Personal Best), hatte in der Woche darauf aber einen tennisballgroßen Knöchel: "Don't blame the Hersteller für deine Blödheit", sagte der Coach. Tat ich eh nicht: Der Triumph war es mir wert.

Foto: thomas rottenberg

Außerdem weiß ich, wie man regeneriert: Pause. Yoga. Blackroll. Und lockere Läufe mit Komfortschuhen. Etwa dem HOVR Machina von Under Armour. Gut gefedert – und "smart": Der Schuh lässt sich über die "Map My Run"-App auch für Trainingsanalysen verwenden. Ich kenne Leute, die drauf schwören – aber ich selbst bin mit dem Verstehen meiner eigenen Tools mehr als ausgelastet und zufrieden.

Wie der UA denn sei ist, fragte ein Freund nach den ersten Testläufen. "Rot", antwortete ich. "Ah, verstehe", kam mit einem Zwinkersmiley zurück.

Ich widersprach: "Nein, tust du nicht: Der Schuh ist perfekt. Für Läuferinnen und Läufer, zu deren Laufstil, Tempo, Distanzen, Untergründen und – das vor allem – Fuß er passt. Nur kann man das unmöglich und schon gar nicht allgemeingültig aus dem subjektiven Erlebnis eines anderen herauslesen: weil jeder und jede anders läuft. Und das ist gut so." (Thomas Rottenberg, 6.5.2020)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Alle erwähnten Schuhe wurden von den Herstellern zur Verfügung gestellt.

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Foto: thomas rottenberg