"Meiner Beobachtung nach behandeln die meisten Aufklärungsformate Sexualität als etwas, das man üben und beherrschen kann", meint die Erziehungs- und Kulturwissenschafterin Beate Absalon.

Foto: Roman Hagenbrock

Die Sexualität ist ein weites Land mit fließenden Grenzen. Um sich in diesem ethisch, ästhetisch, ökonomisch und politisch aufgeladenen und stark verminten Gebiet mit all seinen Mythen, Fakten und Fake-News einigermaßen orientieren zu können, gibt es die unterschiedlichsten Medien zur Sexualbildung.

Zahllose Aufklärungsbücher, -Apps, -Workshops oder Youtube-Tutorials lehren, was man über die "natürlichste Sache der Welt" und ihre praktische Ausübung wissen sollte. Aber welches Bild von Sexualität vermitteln diese Medien? Und gibt es daneben auch andere Bereiche, die (jungen) Menschen auf eine positive Art etwas über Sex beibringen könnten?

Sexualität beherrschen

"Meiner Beobachtung nach behandeln die meisten Aufklärungsformate Sexualität als etwas, das man üben und beherrschen kann", meint die Erziehungs- und Kulturwissenschafterin Beate Absalon. Als Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften der Kunstuniversität Linz (IFK) begibt sich die Berlinerin in ihrer Dissertation auf die Spur alternativer Formate der Sexualaufklärung.

"Mich interessieren vor allem Erzählungen über Sexualität, in denen es nicht um Optimierung und Verbesserung eines ‚unternehmerischen Selbst‘ geht." Und die finde sie in der Gegenwartskunst. "Manche Werke schaffen diese Aufklärung sogar besser als pädagogische Formate, weil sie auch die Zwischentöne berücksichtigen", ist Absalon überzeugt.

Kreative Möglichkeiten

Was sie an den gängigen Aufklärungsformaten beobachte, sei etwa eine verstärkte Vermittlung anatomischen Wissens über die Haptik. "Hier gibt es einen historischen Wandel vom Erzählen über das Anschauen hin zum Anfassen", sagt die Kulturwissenschafterin. Mittlerweile gebe es sogar die Möglichkeit, (weibliche) Befriedigungstechniken via Touchscreen zu üben. "Aber was vermittelt das Tippen und Streichen auf einem glatten Bildschirm über Sexualität?"

Im Vergleich dazu, meint sie, ermöglichen bestimmte Projekte der Performancekunst einen sensibleren und kreativeren Zugang. "In den Performances der US-Künstlerin und Pornodarstellerin Annie Sprinkle beispielsweise geht es um eine Entmystifizierung des weiblichen Körpers, indem sie etwa ihren Gebärmutterhals auf einer Bühne zum Betrachten präsentiert", so die Forscherin. "Hier wird Sexualität auf eine völlig andere Art verhandelt als in den üblichen Lehrformaten." Was sie dabei interessiere, seien vor allem "die Möglichkeiten neuer und erfinderischer Beziehungen zur Welt".

Fesselnde Performance

Solche kreativen Möglichkeiten können auch zeitgenössische Fesselpraktiken eröffnen, mit denen sich Absalon während eines Forschungsaufenthalts in Tokio beschäftigte. "Ich habe eine Arbeit über das Fesseln in verschiedenen Kunstsparten verfasst, parallel dazu aber auch selbst entsprechende Praktiken erlernt." Eine Kunsttechnik, die sie in Kursen auch weitergibt und in Fesselperformances live präsentiert.

Ein gewisser Hang zum "Unerhörten" zeigt sich auch in der Wahl ihrer Freizeitaktivitäten. So musiziert sie etwa mit Leidenschaft auf der singenden Säge. Ob zwischen Seil und Säge eine künstlerische Synthese mit didaktischem Mehrwert erwachsen kann, wird die Forscherin an den fernen Rändern des Mainstreams vielleicht auch noch ergründen. (Doris Griesser, 9.5.2020)