Im Gastkommentar weist der Journalist und Autor Rüdiger Wischenbart darauf hin, wie schwierig es für Kulturschaffende sein wird, aus sogenannten "hybriden Modellen" Einnahmen zu lukrieren. Die öffentlichen Fördereinrichtungen werden sich erneuern müssen.

In einigen Monaten, nach dem Sommer, wenn Kulturpolitiker und Kulturschaffende sich auf alltagstaugliche Regelungen verständigt haben werden, um am Theater zu proben, wenn Konzerte in angepassten Räumen wieder stattfinden und auch Autorinnen und Autoren wieder live zu ihrem Publikum sprechen, da wird es viele Überraschungen geben. Gute wie böse.

In vielen Aspekten quer durch die Kultur wird dies keine Rückkehr zu vertrauten Gewohnheiten bringen, sondern ungewohnte, neue Gangarten. Warum sollte auch der professionell geführte Jazzclub wieder vergessen, was alles gelernt wurde im Krisensommer mit Videostreaming von Auftritten, das ein gezieltes Onlinemarketing über direkte Kontakte zum Publikum ermöglicht?

Gemeinsam Musizieren und dabei die Distanz halten: Das Projekt Together now! The Austrian Soundcloud der Uni für Musik und darstellende Kunst Wien setzte auf Homerecording – zwangsläufig.
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Im Buchverlag wird man grübeln, ob all die Corona-Tagebücher und Krisengedichte nun tatsächlich auch noch zwischen Buchdeckeln erscheinen müssen, wenn zurückgestellte Titel die wirklich neuen Geschichten blockieren.

Der Betreiber der Onlineplattform für das digitale Storytelling, die kleine Buchhandlung, die bis spät in die Nacht die Buchpakete aus dem Onlineshop zu den Kunden über viele Treppen hinauf ausgeliefert hat, oder der Vertrieb für Downloads von Hörbüchern, der das oft nervös-kurzatmige Auf und Ab der Nachfrage zu nutzen versucht, sie alle werden überlegen, wie sie die alten und die neuen Geschäftspraktiken am besten verknüpfen können. Berater schwärmen dann von "hybriden Modellen", also digital plus ganz normal. Daraus im Alltag Einnahmen zu erlösen, das ist kompliziert.

Schulden und Rückstände

Der enorme finanzielle Druck aus allgemeiner Wirtschaftskrise, geschrumpftem verfügbarem Einkommen der Kunden und oft noch krisenbedingten Schulden und Zahlungsrückständen wird eine zornige Peitsche schwingen, statt spielerisch zu Innovationen zu inspirieren.

Musikerinnen und Schriftsteller, Kabarettisten, Schauspielerinnen, freischaffende Kunstpädagoginnen werden über Monate auf Zoom und Instagram gelesen und gespielt, angeregt und unterhalten haben, allerdings ohne dafür Einnahmen zu erzielen. Denn es gibt derzeit keine Plattform, keinen Vertriebskanal und keine Informationsdienste, wo ich als interessierter Kulturkonsument für eine Lesung, ein Konzert oder ein Bildungsangebot online mit ein paar Klicks, hier fünf Euro für einen Stream, dort neun Euro für ein Seminar oder bei einem Goodwill-Programm einen Betrag meiner Wahl, bezahlen könnte.

Die großen Konzerne lernen aus der Krise oftmals rascher, weil sie in Innovationen investieren können. Netflix, zunehmend ein Konkurrent zu allen anderen Erzählmedien, ob Kino, Buch oder Spiele, hat zuletzt deutlich mehr neue Abonnenten gewinnen können als in seinen Plänen prognostiziert.

Dabei geht es weniger darum, das eine Medium durch das andere zu ersetzen. Die Konsumenten passen sich erstaunlich flexibel an unterschiedliche Angebote an und wechseln vom gedruckten zum Hörbuch, zum Abrufen eines Films per Streaming, aber dann doch zum unvermittelten, emotionalen Besuch eines Festivals.

Die Virus-Krise beschleunigt diese Veränderungen erheblich. Für die kleinen und mittelgroßen, mehr oder weniger freischwebenden Anbieter und Dienstleister bedeutet dies aber einen enormen Zuwachs an Konkurrenz um jede Minute Aufmerksamkeit und jeden Euro beim Zielpublikum.

Kaum Kapazitäten

Konzerne jedes Zuschnitts haben mehr finanzielle Kraft, um diese Vielfalt an Angeboten, Formaten, Kanälen und einzelnen Publikumsgruppen zu bespielen. Die zahllosen kleinen bis mittelgroßen Initiativen, die lokalen Verlage und Aufnahmestudios, Kleinkunstveranstalter oder Off-Bühnen plus all die daran angeschlossenen Dienstleister, von Grafik, Bühnentechnik, Ticketing bis PR-Agentur, haben kaum die Kapazitäten, um zu experimentieren und aus jeder Aktion Kundendaten zu generieren und diese zur Optimierung zu nutzen. Der Umgang mit digitalen Daten ist teuer.

Diese meist von der Hand in den Mund wirtschaftenden kleineren Unternehmungen aber machen die Vielfalt, Nähe und auch bunte Identitäten stiftende Branche der Kulturschaffenden in ihrem Innersten aus.

Wenn in einigen Monaten, nach dem Sommer, die letzten Monatsüberweisungen aus den aktuellen Härtefonds überwiesen sein werden und die sich dann vertiefende wirtschaftliche Krise viele ins Straucheln bringen wird, dann wird sich auch die Kulturpolitik sehr rasch mit ganz anderen Fragestellungen konfrontieren – und hoffentlich neu erfinden.

Kultursubventionen unterhalb der großen Häuser, egal in welcher Sparte, haben bislang zumeist vor allem die unmittelbaren Produktionskosten unterstützt. Die Kreativen, die Künstlerinnen und Autorinnen, die Veranstalter und Vereine sind für den jeweils nächsten Auftritt gerannt. Ihre Strukturen und Fundamente haben sie nebenher, so gut es eben ging, im Do-it-yourself-Verfahren improvisiert.

Viele kleine Nischen

Wollen wir die in viele kleine Nischen und Segmente aufgesplitterte künstlerische Vielfalt, mit lokalen Produktionen und Nähe zu ihren jeweiligen Communitys, bewahren, dann werden die öffentlichen Fördereinrichtungen sich erneuern müssen, quer durch alle Sparten. In knappen Stichworten: Statt nur Produktionsförderung mehr gezielt für Marketing und Community-Aktivitäten von Produktionsvereinen und Veranstaltern; für "Hybride" Vermittlungsansätze zwischen live und digital; Anreize für kooperative Marketing- und Vertriebsinitiativen; Fortbildungsangebote und Services in diese Richtungen; regelmäßige Überprüfung, ob Maßnahmen auch funktionieren; mehrjährige Verträge mit geförderten kleinen und mittelgroßen Einrichtungen, um Nachhaltigkeit zu entwickeln.

Das erfordert einen großen Dialog. Jetzt, in der Zeit ohne Proben und Vorstellungen, ist dafür die beste Zeit. (Rüdiger Wischenbart, 6.5.2020)