Vernichtung durch Arbeit: Mehr als sechs Jahre lang bewies das Konzentrationslager Mauthausen mitten in Österreich, wozu der Nationalsozialismus, also Faschismus und Rechtsextremismus, in letzter Konsequenz führt. Als im Mai 1945 US-Soldaten vorrückten, waren in dem KZ über 100.000 Menschen, darunter Kinder und Jugendliche, ermordet worden. 75 Jahre ist das her, fast ein Menschenleben. Bald wird es so weit sein, dass uns niemand, der dabei gewesen ist, von den Gräueltaten erzählen kann.

Umso wichtiger ist es, dem "Niemals vergessen" neuen Sinn zu verleihen. Was man nicht vergessen darf, ist, dass es tausende kleine Schritte waren, die die Menschheit damals an den Abgrund geführt haben. Aus unserer historischen Verantwortung erwächst die Aufgabe, jeden unserer Schritte unter diesem Blickwinkel zu prüfen.

Vor 75 Jahren wurde das Konzentrationslager Mauthausen befreit.
Foto: APA/HARALD SCHNEIDER

Gerade die Coronavirus-Krise führt zu Verwerfungen, die gefährliche Konsequenzen haben könnten. Es liegt an jedem Einzelnen, kritisch sein eigenes Handeln zu reflektieren, aber auch das Verhalten von Regierungen und Behörden zu hinterfragen. Dazu ein paar Beispiele der ersten, kleinen Schritte.

Etwa das Denunziantentum. Viele Nachbarn schauen wieder ganz genau, wer wie viele Freunde und Verwandte zum Grillen, zum Kaffee eingeladen hat. Und einige Nachbarn rufen die Polizei, um "Versammlungen" auflösen zu lassen. Fotos von Menschen, die shoppen gehen und sich vor Geschäften anstellen, machen in sozialen Medien die Runde. Das ist eine Kultur des Vernaderns, die tief in uns allen steckt; die wir aber mit Empathie bekämpfen müssen. Wer weiß, ob die Einkaufenden nicht wochenlang unter Einsamkeit gelitten haben? Ob sie sich nicht daran geklammert haben, ihre Freiheit auskosten zu können, wenn es die Regierung erlaubt?

Existenzängste

Oder die Entmenschlichung der Schwachen. Man hört sie schon wieder, die Politiker, die von "Opfern für die Allgemeinheit" schwadronieren. Die meinen, Ältere oder Kranke seien Kollateralschäden der "Herdenimmunität", einer Herde, die aus "Immunzertifizierten" besteht.

Auch Rassismus wird stärker. Wer hat nicht gesehen, wie zu Beginn der Corona-Pandemie asiatisch aussehende Menschen angefeindet wurden? Wer hat nicht gehört, dass "die Chinesen" rohe Fledermäuse essen und wir nun deren Sitten ausbaden müssen?

Dazu kommen Verschwörungstheorien: Von ganz links bis (vor allem) ganz rechts wird Corona wieder mit der angeblichen jüdischen Weltverschwörung oder der bösen Pharmaindustrie in Verbindung gebracht.

All das könnte auf fruchtbaren Boden treffen, weil Existenzängste zunehmen. Die Menschheit steht vor der größten Wirtschaftskrise seit 1945. Die Ungleichheit zwischen Arm und Reich war schon davor exorbitant. Dazu kommen Staatschefs wie Donald Trump und Wladimir Putin, die lieber zündeln und den Nationalismus anheizen, als solidarisch zu kooperieren.

Auf die Bundesregierung kommt eine Mammutaufgabe zu. "Nur wer erinnert, kann auch aus den Fehlern der Vergangenheit lernen", sagte Kanzler Sebastian Kurz anlässlich 75 Jahre Befreiung ganz richtig. Er muss sein ganzes Tun daran orientieren, eine Politik der Menschlichkeit umzusetzen.

Aber auch wir selbst dürfen "niemals vergessen". Auch wenn es die Krise verlockend macht, auf andere zu zeigen oder deren Bedürfnisse und Würde zu ignorieren. Das ist es, was uns Mauthausen noch heute lehrt. (Fabian Schmid, 5.5.2020)