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Die US-Regierung möchte die Corona-Maßnahmen lieber heute als morgen beenden, doch Forscher warnen vor voreiligen Schritten.
Foto: AFP/GETTY IMAGES/AL BELLO

Es sind Zahlen, die Optimisten einen Dämpfer verpassen, offenbar auch verpassen sollen. Nach einer vertraulichen, an die Presse durchgestochenen Prognose könnten Anfang Juni täglich rund 3.000 Amerikaner im Zusammenhang mit Covid-19 sterben. Das wäre fast das Doppelte der Todesopfer, die die Vereinigten Staaten in den vergangenen Wochen, auf dem angenommenen Höhepunkt der Epidemie, an einem durchschnittlichen Tag zu beklagen hatten. Die Zahl der Neuinfektionen, die derzeit zwischen 20.000 und 30 000 Fällen pro Tag schwankt, könnte auf 200.000 an einem Tag steigen.

Virologen werten die Vorhersage als Mahnung, bei der angepeilten, von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich gehandhabten Lockerung der Kontaktbeschränkungen nicht zu schnell voranzupreschen.

Warnungen von Wissenschaftern

Die Daten beruhen auf Modellrechnungen des Epidemiologen Justin Lessler, der an der Johns Hopkins University in Baltimore forscht – jener Universität, die auf einer weltweit genutzten Website über den aktuellen Stand der Corona-Erkrankungen informiert. Zwei amerikanische Behörden, die für die Bekämpfung von Seuchen zuständige CDC und die Katastrophenschutzbehörde Fema, haben sie nach Informationen der "Washington Post" zur Grundlage genommen, um regierungsintern vor dem Risiko einer zu schnellen, zu breiten Öffnung der Wirtschaft zu warnen.

Ab Mitte Mai, parallel zur Lockerung der Auflagen in den meisten Bundesstaaten, zeigt die Kurve einen steilen Anstieg sowohl bei Infektionen als auch bei Toten. Sie endet am 1. Juni, ohne dass bis dahin ein Abwärtstrend zu verzeichnen wäre.

Lessler sagte der Zeitung, es handle sich um ein Modell, über das in Expertenkreisen noch diskutiert werden müsse – um eine "Studie in Arbeit", nicht um ein fertiges Produkt. Was sich davon bewahrheite und was nicht, hänge von den heute getroffenen politischen Entscheidungen ab. Ein Sprecher des Weißen Hauses wiegelte ab: Das Papier sei der Corona-Taskforce der Regierung noch nicht vorgelegt worden.

Trump zu optimistisch?

US-Präsident Donald Trump war am Wochenende noch davon ausgegangen, dass die Epidemie das Leben von bis zu hunderttausend US-Bürgern kosten wird (bisher sind ihr rund 69.000 zum Opfer gefallen). Vergleicht man es mit den Rechenmodellen aus Baltimore, scheint dies eine optimistische Annahme zu sein. Ende März allerdings hatte Trump Prognosen der Virologen seiner Taskforce übernommen, die ein eher düsteres Bild zeichneten. Von bis zu 240.000 Corona-Toten war damals die Rede – sogar von 2,2 Millionen, falls nichts gegen die Ausbreitung der Krankheit unternommen werde.

Kritiker warfen dem Präsidenten seinerzeit vor, übertrieben dunkle Szenarien an die Wand zu malen, um später, falls es weniger schlimm komme, von Erfolgen reden zu können, die man allein seinem klugen Krisenmanagement zu verdanken habe.

Klar ist allerdings auch, dass die meisten Amerikaner den offiziellen Angaben misstrauen. Nach einer Umfrage der Onlineplattform Axios und des Marktforschungsinstituts Ipsos zweifelt eine Zweidrittelmehrheit an der Glaubwürdigkeit der amtlichen Statistik. Was dabei auffällt, ist die Spaltung in zwei politische Lager. Über 60 Prozent der Anhänger der Demokraten glauben, dass die wahren Zahlen deutlich höher als die offiziell vermeldeten liegen. 40 Prozent der Sympathisanten der Republikaner halten das Gegenteil für richtig: Die wirkliche Lage sei besser als die Statistik. Nur ein Drittel der Befragten ist der Meinung, dass die Tabellen den tatsächlichen Stand akkurat abbilden. (Frank Herrmann, 5.5.2020)