Quarantäne gibt es nicht erst seit Covid-19.

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Schon im alten, von Österreich-Ungarn annektierten Bosnien existierte so etwas.

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Schon damals wurde "fleißig patrouilliert".

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Bei der Einreise nach Bosnien-Herzegowina wird man ärztlich untersucht.

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Von weitem glänzen bereits die grünen Militärzelte in der Sonne, die hier in Izačić an der bosnisch-kroatischen Grenze aufgestellt wurden. Mit diesen Quarantänestationen will man verhindern, dass Gastarbeiter aus Mittel- und Westeuropa in Pandemiezeiten nach Hause nach Bosnien-Herzegowina reisen – mit dem Virus im Gepäck. Offiziell heißt es, dass alle, die herüberkommen, zwei Wochen in den Zelten bleiben müssen. So richtig streng wurde die Verordnung bisher aber nicht umgesetzt, doch die Idee, hier, am wohl schönsten Fluss der Welt, der Una, einen Cordon sanitaire zu errichten, ist jahrhundertealt.

Denn an der Una und der Save befand sich die Militärgrenze zwischen der Monarchie und dem Osmanischen Reich, eine Art lebender Wall, der auch dazu da war, das Eindringen der Pest zu verhindern. Anfang des 17. Jahrhunderts war vorgeschrieben, hier 84 Tage in Quarantäne zu verbleiben. Sogar wenn es sicher war, dass es zu dem Zeitpunkt gar keine Pest gab, musste man drei Wochen an der Grenze ausharren. Erst der Luxemburger Adam Chenot überzeugte die "Hofcommission in Sanitätssachen" in Wien im Jahr 1785, dass nur dann Maßnahmen notwendig seien, wenn die "orientalische Pest" ausbrach, wie man die Krankheit – ähnlich politisiert wie Trumps "chinesisches Virus" heute – damals nannte.

"Ohne Berühren"

Die "Hofcommission" unterstand direkt dem Kaiser, und der Hofkriegsrat musste die Ärzte bestellen, die in die sogenannten "Contumaz"-Häuser an der Grenze entsandt wurden. "Wer immer aus Bosnien und Servien, in was immer für Geschäften herüber kommt, oder weiter reisen will, muss sich der Quarantäne in einem Contumazhause unterwerfen. Nur bei den Contumazstationen ist der Eintritt aus der Türkey in unsere Länder gestattet, sonst an keinem anderen Grenzorte", beschreibt der ungarische Jurist und Ethnograf Johann von Csaplovics die Vorkehrungen. Das Wort Contumaz bedeutet übrigens so etwas wie "Trotz".

Der Ankömmling musste, "ohne Jemanden auf dieser Seite zu berühren", also nach dem Grenzübertritt, "schnurgerade in die Contumaz gehen". Menschen, aber auch Waren mussten je nachdem, wie die "Nachrichten der kaiserlichen Konsuln über den Gesundheitszustand der Türken lauten", oft wochenlang weggesperrt werden, um Ansteckungen zu verhindern. Die Behörden bespitzelten sogar die Reisenden. Und wenn sich "einiger Verdacht" ergab, dass eine Person mit "jenseitigen Untertanen eine heimliche Unterredung gepflogen oder aber sonst vermischt haben sollte", so musste nicht nur die Person, sondern alle mit ihr im Haushalt befindlichen anderen Leute in Contumaz gehen.

"In gehöriger Entfernung zu halten"

Die Regeln fürs Social Distancing waren im Kaiserreich streng: "Es dient ihnen daher zur Richtschnur, dass unter dem Worte Vermischung jede Berührung eines verdächtigen Körpers, der Kleidung oder sonst giftfangender Waaren verstanden werde, und sie sich demnach bey derley Begleitungen behutsam zu betragen, und von den bewachenden Personen, Thieren oder Waaren allezeit in gehöriger Entfernung zu halten haben." Falls es dennoch zu einer "Vermischung" gekommen sein sollte, musste das dem Contumaz-Direktor mitgeteilt werden und bei größerer "Erheblichkeit" sogar dem k. u. k. Hofkriegsrat, ist im "Militär-Ökonomie-System" der kaiserlich-königlichen Armee nachzulesen.

Große Contumazstationen gab es an der Grenze zu Serbien, etwa in "Semlin", dem heutigen Zemun, in Kroatien in Kostajnica sowie in Siebenbürgen und im Banat. "Der Hauptzweck der Contumaz-Anstalt ist die Hintanthaltung der Pestgefahr, welche aus inpestirten Ländern anher reisenden Menschen zu befürchten ist", hieß es. Durch das Contumazieren könne sich aber das Pestgift "aus seinem Körper mit der natürlichen Ausdünstung ohne Abbruch seiner Gesundheit wieder verziehen", erklärten die österreichischen Beamten damals, und zweitens bleibe die Krankheit innerhalb des Contumazhauses.

Vom Reinigungsdiener gut durchgeräuchert

Aber selbst wenn man sich in den kaiserlichen Quarantänestationen wieder erholt hatte, wurde man noch einer Reinigungsprozedur unterzogen und ins "Räucherungs- oder Visitirzimmer" geschickt, wo der ganze Körper und die Kleidungsstücke sowie alles Übrige ohne Unterschied "durch den exponierten Contumaz-Reinigungsdiener gut durchgeräuchert" wurde. Dazu verwendete man laut Paragraf 8253 ein Gemisch von zwei Teilen Schwefelsäure, einem Teil Salpetersäure und fünf Teilen Kleie.

Geregelt war auf gut Altösterreichisch auch das Ausmaß der Gemütlichkeit, die in solchen Quarantänestationen herrschen sollte. Es möge trotz der "genauesten und undurchbrechlichen Verschließungen" auch all jene "Bequemlichkeit vorhanden sein", die zur anständigen Verpflegung unentbehrlich sei, hieß es. Auch die Reinigungsdiener mussten "sich verschließen", also in Selbstisolation gehen, wie man heute sagen würde. Die "Contumazisten" durften keinen Besuch von "Geistlichen" oder Ärzten empfangen. Mediziner durften nur durch ein Gitter hindurch die Visitation vornehmen.

"Bescheiden, ehrliebend und der Trunkenheit nicht ergeben"

Weil die gesamte Angelegenheit als heikel betrachtet wurde, mussten auch die Hauptverantwortlichen, also die Contumaz-Direktoren, bestimmte moralische Standards erfüllen: "Der jeweilige Contumaz-Director muss ein bescheidener, ehrliebender, der Trunkenheit nicht ergebener Mann seyn, der dem wichtigen Amte, dem er vorgesetzt ist, mit allezeit gleicher Aufmerksamkeit und ununterbrochen obliegen muss", heißt es im Paragraf 8259. Natürlich war ihm auch verboten, irgendwelche Geschenke anzunehmen, vielmehr musste er "den Contumazirenden" "mit aller Liebe und Sorgfalt" begegnen und sollte sogar dafür sorgen, dass solches auch von den übrigen Beamten beobachtet werde, eine Art Antikorruptionsmaßnahme also.

Sollte sich jedoch ein Contumazist "ungebührend betragen", so sei er freundschaftlich zu warnen, wenn das nichts fruchten sollte, sei er jedoch "gehörig zu bestrafen". Besonders streng war man gegenüber jenen, die trotz Verbots die Grenze überquerten. Csaplovics schreibt: "Will jemand, besonders zur Pestzeit, mit aller Gewalt herüber, der wird, wenn er auf die Mahnung umzukehren nicht achtet, ohne weiters erschossen."

Eine Pfeife nach der anderen

Andererseits zeigte Csaplovics Verständnis für die, die schon lange ausharren mussten, etwa dass die "Eingesperrten, wenn sie an die 20 Tage lang in einem Fort in der Contumaz temporisiren müssen, ein wenig lange Weile haben mögen". Über ihr Sozialverhalten schreibt er: "Sie fügen sich dann in ihr Schicksal und schmauchen eine Pfeife nach der andern in philosophischer Ruhe."

Wer aus der Monarchie nach Bosnien reiste und bei der Rückkehr nicht in Quarantäne wollte, musste einen "Mauthaufseher" mitnehmen, "welcher bezeugen soll, dass der Reisende nicht mit den 'Muselmännern' in Berührung kam". "Von zärtlichen Umarmungen kann hier demnach keine Rede sein, und wer davon ein grosser Freund ist, der bleibe lieber auf dem linken Saveufer", philosophierte Csaplovics.

Pestpatent 1719

Besonders eingehend hat sich der bosnische Historiker und Diplomat Boro Bronza aus Banja Luka mit den "Österreichischen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung der Pestepidemie entlang der Grenze zum Osmanischen Reich im 18. Jahrhundert" auseinandergesetzt, die ihn in vielem an die heutige Situation erinnern, wie er dem STANDARD erzählt. "Eigentlich müssen wir Menschen immer die gleichen Lektionen lernen, wenn es zu Infektionen kommt: Abstand halten und isolieren." Die österreichische Politik war vor 300 Jahren aber insgesamt von den Pestausbrüchen stark bestimmt.

Bereits unter der Herrschaft von Leopold I. (1658–1705) wurden alle Formen von Verkehr mit dem Osmanischen Reich während der Epidemie unterbrochen. Das Pestpatent von 1719 erinnert daran. 1718 wurde die Sanitätshofkommission gegründet, der Cordon sanitaire 1728 unter Karl IV. geschaffen. Ab 1731 galt die "Contumaz- und respective Reinigungs-Ordnung", in der festgelegt wurde, dass sich in jeder Quarantänestation ein Leutnant und 30 berittene Männer, drei Wachen und ein Doktor befinden mussten.

4.000 Menschen beschäftigt

Wegen der Kriege konnte aber erst 1763 ein durchgehendes System geschaffen werden. Erst danach wurden die sanitären Standards so erhöht, dass die Pest aus Österreich-Ungarn verschwand. Die Zentralen der Sanitätskommission befanden sich in Karlovac, Zagreb, Osijek, Timisoara und Sibiu. Lazarette waren in Rudenovac, Slunj, Maljevac, Kostajnica und Brod. Rehab-Zentren befanden sich in Gradiška, Kobaš und Mitrovica. Auf 1.900 Kilometern Länge der Militärgrenze waren 4.000 Menschen beschäftigt. Wenn die Pest ausbrach, wurden sogar bis zu 11.000 Menschen für den Cordon sanitaire eingesetzt. Österreichische Spione informierten die Behörden in Wien, als es etwa im Jahr 1733 und 1734 in Bihać und in Banja Luka zum Ausbruch der Pest kam.

Auch damals war effektive Prävention bereits ein Anlass für Politiker, die Überlegenheit ihrer Systeme hervorzustreichen. Weil die Pestepidemie zwar in Österreich-Ungarn beendet werden konnte, aber im Osmanischen Reich, in Russland, Polen, der Walachei, Moldau und Venedig bis 1785 weit verbreitet war, galt dies als Beweis dafür, dass die Monarchie überlegen war, schreibt Bronza. In Wien wurden die Maßnahmen als "Rettung ganz Europas" zelebriert.

"Auf das fleisigste patroulliret"

Dabei waren die Contumaz-Häuser keine architektonischen Vorzeigemodelle. Sie sollten auch "blos zur wohlfahrt, und sicherheit des landes anzusehen" sein, "also auch hieran weiter keine Zierd erforderlich sein", schrieb der damalige örtliche Verwaltungschef – genannt Ban – im Jahr 1743 in Valpovo. Besonders wichtig war die Quarantänestation in Kostajnica, wo noch heute die alte Befestigungsanlage zu sehen ist und damals "auf das fleisigste patroulliret" wurde.

Die Osmanen waren ziemlich erstaunt darüber, dass die Maßnahmen so streng waren: Sogar ein türkischer Aga, also ein militärischer Würdenträger, musste 21 Tage ins Contumaz-Haus, weil er er einen Brief an einen General hinüberbringen wollte.

Heute, in Covid-19-Zeiten, darf man sich von feschen bosnischen Soldaten ins Zelt begleiten lassen und muss sich danach einer ärztlichen Untersuchung unterziehen. Dann darf man hinein nach Bosnien. (Adelheid Wölfl, 6.5.2020)