Flugzeuge bleiben auf dem Boden, Autos in Garagen und Fabriken geschlossen – sind das nicht die idealen Voraussetzungen, um letztlich doch noch die Klimawende herbeizuführen? Seit Jahrzehnten weisen Wissenschafter darauf hin, dass es dramatische Änderungen unseres Lebensstils braucht, um die vom Menschen verursachte Erderwärmung auf zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu beschränken. Ausgangsregelungen, wie wir sie in den vergangenen Wochen erlebt haben, waren damit nie gemeint. Doch die Corona-bedingten Einschränkungen haben zu einem drastischen Einbruch an Emissionen geführt – deutlich zu erkennen etwa, wenn man aus dem All einen Blick auf die Erde wirft.

Vergleicht man Satellitenbilder von Europa von März/April 2019 und einem Jahr später, zeigt sich, dass in den großen Ballungszentren und Industrieregionen die Schadstoffbelastungen teils um die Hälfte und mehr eingebrochen sind.

Eine internationale Studie kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass die CO2-Emissionen 2020 durch Corona um rund 5,5 Prozent gegenüber 2019 zurückgehen könnten. Es wäre der bislang größte globale Rückgang an Kohlendioxidemissionen innerhalb eines Jahres. Das ist freilich nur ein Szenario, der tatsächliche Rückgang wird wesentlich von der Dauer der Beschränkungen in den kommenden Monaten abhängen, die jetzt noch nicht abzusehen ist. In jedem Fall ist ein deutlicherer Rückgang an CO2-Emissionen zu erwarten. So stellt sich die Frage: Hat das Virus Sars-CoV-2 also schließlich geschafft, was ein ganzer Reigen an Klimagipfeln nicht vermochte?

Aufholjagd mit grünem Fokus

Klimaforscher äußern sich in der jetzigen Situation verhalten. Grund zu jubeln gibt es nach einigen Wochen Lockdown und dem daraus resultierenden Emissionsrückgang schon deswegen nicht, weil Klimaforschung stets in langfristigen Zeitskalen operiert. "Ob die kurzfristigen Einbrüche bei den Emissionen langfristige Folgen für das Klima haben, hängt sehr stark davon ab, was nach der Pandemie passiert", sagt Gerhard Wotawa, Meteorologe an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), einer Forschungseinrichtung des Wissenschaftsministeriums.Wenn man davon ausgeht, dass nach der Corona-Krise die wirtschaftliche Aufholjagd beginnt, hätte der kurzfristige Lockdown keine langfristigen positiven Auswirkungen auf das Klima. Doch Wotawa, der bis April als Vorstand des Climate Change Centre Austria (CCCA) fungierte, sieht die Situation optimistischer.

Diese Zuversicht speist sich aus den Verhaltensänderungen und den Erfahrungen, die viele Menschen dieser Tage machen. "Wenn Unternehmen und Arbeitnehmer sehen, dass Telemeetings eine Dienstreise gut ersetzen können und dass die Heimarbeit gut funktioniert, könnte das den Verkehr, vor allem den Berufsverkehr und Dienstreisen, langfristig reduzieren – mit positiven Folgen für das Klima", sagt Wotawa.

Positive Signale

Wie wichtig es sei, "die richtigen Schritte zu setzen und nicht auf den Klimaschutz zu vergessen, wenn die Wirtschaft wieder angekurbelt wird", betonte auch Niklas Höhne, Professor für Klimaschutz an der Wageningen-Universität in den Niederlanden, kürzlich bei einem Briefing des Science Media Center Deutschland. "Wir werden bei den Konjunkturpaketen so viel Geld in die Hand nehmen, da muss das Klima berücksichtigt werden, sonst wird es für den Klimaschutz generell sehr schwierig."

Positive Signale sieht Wotawa aktuell jedenfalls vonseiten der Politik. Er berichtet von einem Austausch des Klimaschutzministeriums mit dem CCCA, bei dem es auch darum geht, wie die Corona-Wirtschaftshilfen an klimafreundliche Umsetzungen geknüpft werden können.

Dabei ist gerade das Verhältnis von Klimaforschung und Politik kein einfaches. Weltweit war jahrzehntelang zu beobachten, wie sich Politiker über die wissenschaftlichen Empfehlungen von Klimaforschern hinwegsetzten – teilweise damit verbunden, den Wissenschaftszweig gänzlich zu diskreditieren oder zu ignorieren.

Ein Klima-Streik im Zeiten der Pandemie: Keine Menschen, viele Botschaften.
Foto: Imago/Christian Mang

Krise ohne Ereignis

Umso bemerkenswerter an den politischen Reaktionen auf die Pandemie ist nun, dass über kurz oder lang beinahe alle Entscheidungsträger auf evidenzbasierte Politik eingeschwenkt sind. "Wir Klimaforschenden haben das aufmerksam beobachtet", berichtet Wotawa, "denn gerade die Klimaforschenden waren oft die Leidtragenden davon, dass Erkenntnisse angezweifelt und Evidenzen geleugnet werden." Warum Politiker in der Pandemie viel stärker auf Wissenschafter hören als angesichts der Klimakrise, ist für Wotawa vor allem eine Frage der Geschwindigkeit. "Zwischen Fehlentscheidungen der Politik und dramatischen Effekten liegen bei der Corona-Krise wenige Wochen. Kein Land der Welt schafft es daher, keine Maßnahmen zu setzen, denn die Evidenzen folgen unmittelbar. Beim Klima haben wir es aber mit langfristigen Effekten von Jahrzehnten und Jahrhunderten zu tun", sagt Wotawa. Die Klimakrise sei "eine Krise ohne Ereignis, was sie für die Menschen schwer fassbar macht".

Den politischen Antworten auf die Corona-Krise wie auch auf den Klimawandel ist gemein, dass sie unabsehbare wirtschaftliche Auswirkungen haben. Im Falle der Pandemie ist es für Politiker auch deswegen einfacher, evidenzbasierte Maßnahmen umzusetzen, weil klar ist, dass es sich um einen kurzfristigen Ausnahmezustand handelt. Die gesetzten Maßnahmen sind – jedenfalls in den meisten, vor allem in demokratischen Ländern – mit einem Ablaufdatum versehen. Bei der Klimakrise hingegen ist evident, dass es um langfristige Verhaltensänderungen geht. Umso schwieriger ist es, politische Mehrheiten zu finden, wenn klar ist, dass es kein Zurück mehr geben wird.

Klimagipfel verschoben

Kommenden Herbst hätten eigentlich bei einem Klimagipfel in Glasgow die Pariser Klimaziele nachgebessert werden sollen. Doch der Gipfel ist den Reiseeinschränkungen durch die Corona-Pandemie zum Opfer gefallen und muss um mindestens ein Jahr verschoben werden. Für Reimund Schwarze, Leiter der Arbeitsgruppe Klimawandel und Extremereignisse am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig, kommt die Verzögerung bei den Verhandlungen zu den Klimazielen einem GAU gleich – einem "völlig unerwarteten, größten anzunehmenden Unfall". Es gehe jetzt darum, "pragmatisch, schnell zu einer Lösung zu kommen, auch mit virtuellen Verhandlungen".

Klar ist, dass die Maßnahmen, die zur Begrenzung der Erderwärmung getroffen werden müssen, weit weniger abrupt und einschneidend sind als jene, die zur Einbremsung der Pandemie notwendig sind. Angesichts von Corona sei "die gesamte Wirtschaft auf Stopp" gesetzt worden, sagt Niklas Höhne. "So kann und soll Klimaschutz natürlich nicht funktionieren. Wir müssen das Leben effizienter machen, indem wir etwa neue Technologien einsetzen."

Aha-Effekt gibt Hoffnung

Für Höhne wäre angesichts des niedrigen Ölpreises nun auch der ideale Zeitpunkt, Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas im Vergleich zu Strom stärker zu besteuern. Bei einem niedrigen Ölpreis sei es "einfacher, solche Änderungen am Steuersystem vorzunehmen, weil die negativen Auswirkungen dann geringer ausfallen".

Für Gerhard Wotawa hat die Corona-Krise nicht zuletzt ein Aha-Erlebnis in Gang gesetzt, das auch in Sachen Klima hilfreich sein könnte. "Die Pandemie hat uns die Verwundbarkeit unserer Gesellschaft und unseres Wirtschaftssystems vor Augen geführt. Wir haben die Welt bei weitem nicht so unter Kontrolle, wie viele das in den vergangenen Jahrzehnten geglaubt haben", sagt Wotawa. "Dieser Aha-Effekt, dass uns die Natur auch große Probleme bereiten kann, könnte uns auch beim Klima helfen, stärker im Einklang mit den natürlichen Ressourcen zu leben und dadurch resilienter zu werden." (Tanja Traxler, 6.5.2020)