Um der Isolation im Alter zu entgehen, werden Hausgemeinschaften gegründet. Senioren wollen selbst bestimmen, mit wem sie leben.

Foto: Regine Hendrich

Leben wie die eigenen Eltern und Großeltern galt für viele Babyboomer schon von Jugend an nicht unbedingt als die verlockendste Option. Die Lust am Neuen und der Mut, es auch auszuprobieren, sind dieser ins Nachkriegswirtschaftswunder hineingeborenen Generation selbst im fortgeschrittenen Alter nicht ganz vergangen.

Das zeigt sich unter anderem beim Thema Wohnen. "Wir beobachten hier auch bei Senioren ein wachsendes Bedürfnis, von vorgegebenen Strukturen abzugehen", berichtet Fabian Kos vom Internationalen Forschungszentrum für soziale und ethische Fragen (Ifz) in Salzburg. "Die Leute wollen selbst bestimmen, wie und mit wem sie wohnen."

Das klassische Seniorenheim steht deshalb auf der Wunschliste ziemlich weit hinten, und auch ein Leben im Singlehaushalt als für viele scheinbar einzige verbleibende Alternative dazu wird zunehmend infrage gestellt. Dabei trifft oft der Wunsch, möglichst lange selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden zu bleiben, auf die Furcht vor Vereinsamung.

Dass sich weitgehende Autonomie und Gemeinschaft aber auch für ältere Menschen recht gut unter einen Hut bringen lassen, zeigt das wachsende Angebot an alternativen Wohnmöglichkeiten für Senioren: Mehrgenerationenhäuser, betreute Wohnanlagen, Senioren-Wohngemeinschaften oder -Wohncluster liegen im Trend. Doch die Nachfrage überragt die noch überschaubare Zahl dieser "Wohnprojekte" um ein Vielfaches.

Leitfaden für künftige Projekte

Wer sich dabei nicht auf Angebote von Immobilienentwicklern verlassen und eigene Ideen verwirklichen möchte, braucht dafür neben einer Gruppe Gleichgesinnter allerdings sehr viel Energie, Durchhaltevermögen und auch Know-how.

Da kann es schon sehr hilfreich sein, wenn eine Institution hinter der Idee steht und die Realisierung unterstützt. Wie beispielsweise die Erzdiözese Salzburg, die vier christliche Hausgemeinschaften mit insgesamt 48 individuellen Wohnungen für Einzelpersonen und Paare in der Stadt Salzburg begleitet.

Um die Erfahrungen mit diesem relativ neuen Wohnangebot zu dokumentieren und für ähnliche Projekte nutzbar zu machen, wurde das Ifz mit der Durchführung einer interviewbasierten Studie beauftragt. Die Ergebnisse der Begleitforschung sind in einen Leitfaden eingeflossen, der bei der Entwicklung und Realisierung künftiger Projekte helfen soll.

Gemeinsamer Nenner

"Bei den untersuchten Senioren-Hausgemeinschaften ist der gemeinsame Nenner der christliche Glaube", erklärt Projektleiter Fabian Kos. Grundsätzlich könne das alle Mitglieder verbindende Moment aber alles Mögliche sein – von einer künstlerischen, ökologischen oder spirituellen Ausrichtung bis zur bloßen Freundschaft. "Um zu einer Wohnbauförderung zu kommen, sollte diesbezüglich jedenfalls Transparenz gegeben sein", weiß Kos.

Bevor sich die Frage der Förderungswürdigkeit überhaupt stellt, muss die Gruppe allerdings beträchtliche Aufbauarbeit leisten. Schließlich handelt es sich um klassische Bottom-up-Projekte, bei denen die künftigen Bewohner von Anfang an nicht nur in den Gestaltungsprozess eingebunden sind, sondern diesen bestimmen. "Bei den Salzburger Projekten hat sich die Erzdiözese erst später in der Rolle des Supervisors eingeklinkt", berichtet der Wissenschafter. "Supervision ist bei solchen Prozessen sehr hilfreich, da sie praktisch nie ganz ohne Konflikte ablaufen."

Für zwei der Wohnprojekte hat die Pfarre außerdem die Grundstücke zur Verfügung gestellt. "Dass diese nun durch die Hausgemeinschaften ‚bespielt‘ werden, bringt auch für die Kirche Vorteile", so Fabian Kos.

In ihrem umfangreichen Fragebogen haben die Forscher unter anderem die Motive der Bewohner für ihre Teilnahme am Projekt, ihre Erwartungen oder auch Pro blemzonen im Zusammenleben ermittelt. Was also veranlasste die Menschen, sich zu Hausgemeinschaften zusammenzuschließen? "Ganz weit vorne steht hier das Bedürfnis nach sozialen Kontakten", berichtet Kos.

Wichtige Barrierefreiheit

"Eine große Rolle spielen aber auch die Barrierefreiheit der Wohnungen und die Qualität des sozialen Nahraums, also das Vorhandensein von Einkaufsmöglichkeiten, Ärzten, Apotheken oder öffentlichen Verkehrsmitteln in unmittelbarer Nähe." Auch das Angebot von Gemeinschaftsräumen und -aktivitäten spielte bei der Entscheidung für ein bestimmtes Wohnprojekt mit.

Und wo holpert es im realen Zusammenleben? "Eine besondere Herausforderung für Senioren-Wohn- und -Hausgemeinschaften sind die Übergänge", weiß der Forscher. Wenn beispielsweise jemand aus der Gruppe stirbt, muss für eine Nachbesetzung seiner Wohnung gesorgt werden. "Für Hausgemeinschaften ist das oft ein großes Problem, da sie sich selbst üblicherweise nicht dynamisch denken."

Es sei deshalb hilfreich, sich bereits in der Aufbauphase über solche erwartbaren Veränderungen Gedanken zu machen. "Unserer Beobachtung nach fühlen sich später Dazugekommene oft nicht so gut integriert, weil die gemeinsame Startphase fehlt." Um das zu verhindern, sollte man bereits zu Beginn eine Liste mit Interessenten anlegen, die zwar erst zu einem späteren Zeitpunkt einziehen wollen, aber schon lange vorher zu regelmäßigen Treffen der Hausgemeinschaft eingeladen werden.

Vorteile überwiegen

"Die Auswertung der Fragebögen hat deutlich gezeigt, dass die Vorteile dieser Wohnform bei weitem überwiegen", so Kos. "Allerdings ist es für Baugruppen zurzeit noch relativ mühsam, von der Idee bis zum fertigen Haus zu gelangen."

Die Herausforderungen beginnen bereits bei der Suche nach passenden Mitstreitern oder Infrastrukturen und enden nicht bei den Finanzierungsfragen. Gleichzeitig ist das Angebot an entsprechender Beratung in Österreich trotz des großen Interesses bislang noch eher bescheiden.

Da kommt der auf praktischer Erfahrung aufgebaute Ifz-Leitfaden höchst gelegen. Und wie sieht es mit den Kosten aus? "Natürlich gibt es sehr unterschiedliche Modelle, grundsätzlich kann man aber mit einer Wohnbauförderung rechnen", meint Fabian Kos.

"Weil solche ‚alternativen‘ Wohnformen das öffentliche Betreuungssystem beträchtlich entlasten können, ist die Politik sehr daran interessiert." Es ist also Zeit, entsprechende Beratungsstellen und Förderinstrumente zügig auf- und auszubauen. (Doris Griesser, 14.5.2020)