Es gibt viele Gründe, eine Affäre anzufangen. Ein Sexualleben, das kaum öfter stattfindet als der Hochzeitstag, ein Partner, der sich fast ausschließlich für die Kinder oder den Beruf aufopfert und sonst keine Interessen hat, Langeweile, Neugier, Trieb. Wer nur eine Sekunde darüber nachdenkt, wird sogar einen ganz individuellen Grund finden.

Gute Gründe, eine Affäre zu haben, scheinen allerdings noch seltener zu sein als Geburtstage an Schalttagen. Denn wer als Journalist nach Affären fragt, steht schnell alleine die Gegend voll.

Wenn sich SMS oder Whatsapp-Nachrichten in der Nacht häufen, kann man schon einmal stutzig werden. Oft auch mit Recht.
Foto: getty images / iStockphoto

Nur ein Einziger hat auf die Frage nach seiner Affäre sofort glasige Augen bekommen, geseufzt und bedauert, dass er seine Liebste schon seit Wochen nicht mehr gesehen habe und er nun fürchte, dass sie langsam unter einer dicken Staubschicht verschwinden könnte. In der Garage. Sein Motorrad. Also doch wieder nur ein elender Schuss in den Ofen.

Schmutziger Journalismus

Es führt also kein Weg am schmutzigsten des investigativen Journalismus vorbei – Familie, Freunde und Bekannte aushorchen, permanent die Augen und Ohren offen haben, vorsichtig die Fühler ausstrecken und sich nicht anmerken lassen, dass man im Geiste mitnotiert. Dann bekommt man sie mit, die Affären in Zeiten von Corona und Ausgangsbeschränkungen.

Dann erfährt man, dass Anton A. inzwischen ziemlich einsam ist. Denn er hat es mit den Ausgangsbeschränkungen nicht ganz so ernst genommen und war mit seiner Affäre spazieren. Hand in Hand, ach wie romantisch. Die rosa Wolken verflogen aber sehr gach, als die beiden von zwei Exekutivbeamten zur Rede gestellt wurden. "Wir leben zusammen, was soll das?", ist Anton die beiden noch angefahren, die dann in aller Seelenruhe einfach die Haustürschlüssel der beiden Verliebten vergleichen wollten.

Schlüsselszene

Daraufhin hat Berta B. die Flucht nach vorne angetreten, Anton A. im Regen stehen lassen, Besserung gelobt und die beiden Beamten gebeten, ihrem Gatten ja nichts von dieser Begegnung zu erzählen. Wie die Geschichte ausgegangen ist, muss an dieser Stelle offenbleiben. Anton hörte nie wieder etwas von Berta.

Viele Affären dürften dieser Tage ein jähes Ende finden. Das sieht auch Ferdinand Wolf, systemischer Paartherapeut, so: "Affären fängt jemand für gewöhnlich an, wenn es in der Paarbeziehung oder insgesamt in der Familie kriselt. Es spricht aber einiges dafür, dass diese Liebschaften nun auf Eis gelegt werden." Das liege nicht nur an Ausgangsbeschränkungen, die ein Treffen schwieriger oder unmöglich machen, da hat auch die schöne neue digitale Welt die Finger mit im Spiel.

"Apps wie die Corona-App, die aufzeichnen, mit wem man in der Vergangenheit Kontakt hatte, mögen auf geheime Treffen ebenfalls eindämmend gewirkt haben", ist Ferdinand Wolf überzeugt.

Häusliche Gewalt

Das ist wenig überraschend. Erstaunlicher ist da schon, was er aus der Praxis und von der Zusammenarbeit mit einer vertrauten Rechtsanwältin erzählt. Den befürchteten Anstieg häuslicher Gewalt konnten die beiden unter ihren Klienten bislang nicht registrieren.

"Auf Krisen wie diese reagieren Menschen unterschiedlich – ein gemeinsames Muster lässt sich nicht erkennen", sagt Ferdinand Wolf. Was aber auffällt, ist, dass viele Menschen nun anscheinend lieber den Rückhalt der Familie suchen als das wilde Abenteuer in einer geheimen Liaison. "Existenzängste und eine Krise, die nicht nur einen selbst, sondern die ganze Gesellschaft betrifft, erinnern vermutlich doch einige daran, dass sie alleine nicht oder nur mit starken Einschnitten überleben können, etwa weil sie alleine Kredite oder insgesamt die Haushaltskosten nicht bedienen können."

Prostituierte

Ein weiterer Grund dafür, dass man sich eher innerfamiliär zu vergnügen scheint, ist die Tatsache, dass Bordelle geschlossen sind. Das ist ein Problem, etwa für die rund 3800 registrierten Prostituierten in Wien, weniger für die Familien.

Doch es kann auch ganz anders enden. Experten schätzen, dass die Scheidungsrate nach der Krise deutlich ansteigen wird.

Das kann sich auch Karena K. gut vorstellen. Sie ist Single. Und auch wenn sie derzeit ob der Kurzarbeit eigentlich wenig zu tun hat, ist sie schwer beschäftigt. Das Koordinieren der diversen Mitteilungen auf verschiedenen Dating-Apps artet angeblich schon in so etwas wie Arbeit aus.

Ärzte ohne Praxis

Dabei reicht die Bandbreite jener Herren, die ihr das Herz – oder was auch immer – antragen, vom, na sagen wir, bildungsfernen Möchtegern-Peitscherlbuben, der sich vor aufgemotzten Autos präsentiert, bis hin zum wortgewandten Arzt, dessen Praxis dann aber in keiner Internetsuche zu finden ist. Die meisten würden Karena gerne besuchen. Eh nur kurz. Bis dato hat sie solche Treffen ausgeschlagen und wurde dafür manchmal auch wüst beschimpft.

Ein Blick in die Statistiken der Betreiber von Datingplattformen zeigt, dass die sich seit dem Ausbruch der Corona-Krise steigender Beliebtheit erfreuen. Tinder etwa gibt an, dass die Gesprächsanrufe über die Plattform nun um ein Viertel länger sind als zuvor und Unterhaltungen um 20 Prozent zugenommen haben. Bei Bumble verzeichnete man um 77 Prozent mehr Videoanrufe, heißt es von der Flirtplattform. Analysen von Social-Media-Firmen haben zudem ergeben, dass die Sex-Emojis wie Pfirsiche und Melanzani um die Hälfte öfter verschickt wurden als vor der Krise.

Krisenverstärker

Es wäre natürlich ein gravierender Fehler, diese Zunahme allein Personen in die Schuhe zu schieben, die in einer Beziehung leben und das nächste Fremdgehen vorbereiten. Aber ein paar Falotten werden schon dabei sein. Vor allem Männer in der Midlife-Crisis könnten betroffen sein.

Denn während viele ein neues Glück in der bestehenden Beziehung suchen, gibt auch jene, welche die Krise für einen Neubeginn nutzen. "Da kann die Corona-Krise die eigene Krise durchaus verstärken", weiß Ferdinand Wolf, "vor allem wenn keine Kinder vorhanden sind, die immer wieder auch als Grund angeführt werden, an der Familie festzuhalten."

Was dann folgt, ist mitunter eine "Flucht in die Irrealität" und eine Kombination aus Jetzt-erst-recht, Wenn-nicht-jetzt-wann-dann und eine Portion Das-kann’s-doch-noch-nicht-gewesen-sein.

Gut, nicht alle Midlife-Krisler rennen blindlings in neue Affären und Beziehungen. Manche kaufen sich ein Auto oder Motorrad, werden sogar zum Schrauber und versuchen so ihre Jugend wiederzufinden. Oder retten sich einfach vor der Beziehung in die Abgeschiedenheit der Werkstatt. (Guido Gluschitsch, 06.05.2020)