Dieses Mutter-Tattoo wurde von Stefan Skipbrudden aus dem Tattoostudio "Vom Scheitel bis zur Sohle" entworfen.

Illustration: Stefan Skipbrudden

"Meine Mutter Brigitte ist für mich Chef! Meine Mutter ist unwählbarste Macht, also die Autorität, die mir von der Natur, also der Evolution, vorgesetzt wurde! Meine Mutter ist eine preußischste Figur, die Schritt für Schritt, ohne Nostalgie, nach vorn strebt! Ich schätze an ihr vor allem unendliche Loyalität, Einsatz für die Familie, Liebe, Treue, Neugierde, notwendigen Drill, Respekt, Klarheit, Evolutionszugehörigkeit und Geduld.

Jonathan Meese (50) ist Maler, Bildhauer, Performer. Geboren wurde er in Tokio, als Kind übersiedelte er mit seiner Mutter zurück nach Deutschland. Heute lebt Meese in Berlin.
Foto: 2017 Copyright Jan Bauer.Net / Courtesy Jonathan Meese .Com

Meine Mutter denkt völlig hermetisch und arbeitet die Dinge ab, das habe ich von ihr übernommen. Alles muss präzise erledigt werden, um das Nächste erledigen zu können. Meine Mutter hat mir sehr viel Spielraum geschenkt und Zeit gelassen, meinen Weg zu finden. Ich war immer Schlüsselkind, nachdem meine Geschwister aus dem Haus waren. Ich habe es sehr genossen, buchstäblich von meiner Mutter einen Schlüssel für mein Zuhause um den Hals gehängt zu bekommen.

Ich habe von Mami extremst gelernt, mit Liebe und Zufriedenheit allein sein zu können, zu Hause "Klarschiff" zu machen und mein Ding durchzuziehen. Ich wurde dazu erzogen, die Dinge mit mir selbst auszumachen und selbstständig zu agieren, mit Herzblut und mit Kämpferherz der Kunst zu vertrauen und mir meine Freiräume zu schaffen. Ich konnte immer schon mit meiner Mutter herzlichst streiten, vor allem, wenn es um die Vergangenheit, also um Geschichte geht.

In der Kunst ist Streit elementarst, deshalb wird auch heute noch täglich mehrfach auch mal mit Brüllereien gestritten. Für mich ist Kunst eben keine Gefälligkeit und kein "Friede, Freude, Eierkuchen", sondern eine harte Auseinandersetzung und auch Abrechnung mit der Realität. Ich bin ein Realitätsverweigerer, meine Mutter lebt in der Realität, zwar auch superhermetischst, aber da entbrennt immer der Kampf: Kunst gegen Realität, Kunst gegen Ideologie! Meine Mutter liebt Drachen, Drachen sind Kämpfer und gehören nur sich selbst und nirgends dazu, das ist für mich Mamis Gesetz.

Ich war und bin immer gerne Muttersöhnchen, das steht für mich für Kunst, also für einen Künstlertypus und letztlich für Parsifal! Parsifal war Muttersöhnchen, Jonathan ist Muttersöhnchen, das passt! Ich bin natürlich sehr skurril und ohne Hintergedanken, unvermutet und naiv in die Kunst gerutscht, ohne genau zu wissen, worum es überhaupt geht.

Ich habe das, was ich tat, Malen, Zeichnen und auch schon als Zwölfjähriger meine Geheimsprache und Grimassen, erst mal gar nicht mit dem Begriff Kunst in Verbindung gebracht. Um mich zu schützen, entwickelte sich im Laufe der Zeit meine "Kunstuniform", also eine Art Ritterrüstung, die meine Mutter auch aus praktischen Gründen sofort akzeptierte, auch die langen Haare und den Bart.

In einem Haus

Ich lebe jetzt hier in Berlin mit meiner Freundin Gudny, die auch Künstlerin ist, und meiner Mutter in einem großen Haus, und wir sehen uns alle ständig, weil meine Mutter auch heute noch für mich und uns im Büro und auch sonst arbeitet und der Kunst dient. Wir können gut gemeinsam loslegen und Dinge abarbeiten, aber dann geht man wieder seiner Wege. Meine Mutter ist der Klebstoff der Firma Meese und macht überall mit, sie ist auch oft in Videos und Fotos dabei. Sie räumt natürlich ständig auf, das ist ihr im Blut, vor allem sortiert sie meine unendlichen Kunstmaterialien und Bücher.

Meine Mutter ist tatsächlich die "Rechte Hand der Kunst" und erledigt das, was einfach gemacht werden muss und was in ihrer Macht steht. Meine Mutter ist der Fels in der Brandung. Sie ist mit 90 Jahren totalst neugierigst, lernbereit und auch ultrapragmatischst. Brigitte Meese kommt aus einer Zeit, die kaum jemand noch vor Augen hat. Meine Mutter ist auch bezogen auf ihren Stammbaum ein "Dinosaurier der Kunst", da ihre Eltern um 1880 geboren wurden und die Generationen sich somit unendlich gedehnt haben.

Meine Mutter und ihre Eltern sind Lupen und Fernrohre in andere Welten und Zeiten und decken mehr als ein Jahrhundert ab, von der Pferdekutsche bis zum Raumschiff. Das ist für mich sehr spannend, als säße ich in einer Zeitmaschine. Für meine Mutter ist die Familie das Wichtigste, für mich ist das Wichtigste die Kunst!" (Anne Feldkamp, RONDO, 8.5.2020)