Dieses Mutter-Tattoo wurde von Lisa Ill Tidings aus dem Tattoostudio "Vom Scheitel bis zur Sohle" entworfen.

Illustration: Lisa Ill Tidings

"In der Erinnerung ist meine Mutter für mich an erster Stelle ein Geruch, und zwar der nach unserem israelischen Essen. Seit ich denken kann, waren immer Leute bei uns zum Essen. Auch meine Großmutter ist für mich ein Geruch. Bei ihr sind es allerlei kompliziert eingelegte Dinge wie Tomaten, Gurken und Blüten. Ich bin rumänischer Abstammung. Für den Winter musste man in Rumänien einlegen, schon lange bevor Fermentieren zum Trend wurde.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs sind meine Eltern nach Israel geflüchtet. Als ich neun Jahre alt war, sind wir auf eine Einladung des Staates nach Deutschland gezogen. In Bremen waren wir wie Affen. Keiner verstand uns, alles an uns fanden die anderen seltsam, und wir fanden das Land seltsam.

Aber die Küche! Meine Mutter hat unsere Küche nach Bremen mitgenommen. Dieser Geruch war für mich ein wichtiger Halt. Wenn wir Besuch aus Israel bekamen, hat er uns Melanzani und Wassermelonen mitgebracht. Und meine Mutter und ich haben uns daran gemacht die Gastgeschenke zu verarbeiten.

Haya Molcho wurde 1955 in Tel Aviv geboren. 2009 eröffnete sie mit ihren Söhnen das Restaurant "Neni am Naschmarkt". Heute betreibt die Familie zahlreiche Lokale im In- und Ausland udn kocht für Spar-Märkte.
Foto: Nuriel Molcho / Haya Molcho

Mit 23 habe ich meinen Mann Samy geheiratet und bin mit ihm sieben Jahre um die Welt getourt. Während er seine Auftritte als Pantomime gegeben hat, habe ich mich auf den lokalen Märkten umgesehen, eingekauft und gekocht. Schwanger konnte ich lange nicht werden. Ich habe es schon fast aufgegeben, und dann war ich fünf Jahre lang fast durchgehend schwanger –mit meinen Söhnen Nuriel, Elior, Nadiv und Ilan. Aus ihren Anfangsbuchstaben ist der Name "Neni" entstanden. So heißen unsere Lokale am Naschmarkt, die im restlichen Europa sowie unsere Produkte.

Mit den Kindern sind wir nach Wien gezogen. Ich war hauptsächlich Mutter und habe es geliebt. Bei Nadivs Bar Mizwa habe ich dann so etwas wie eine Sinnkrise bekommen. Was soll ich machen, wenn alle außer Haus sind? Mein Mann Samy hat mich gefragt, was ich wirklich gern tue. Meine Antwort war sofort: kochen.

Zwar war meine Großmutter kulinarisch versierter als meine Mutter, aber meine Mutter war für mich pure Liebe. Sie war immer für uns da und hat uns geliebt. Deshalb hat Essen und Kochen für mich bis heute ganz viel mit Liebe und Familie zu tun. Wir führen das Unternehmen als Familie. Und jeder, der mit uns arbeitet, wird Teil der Familie. Ohne meine Söhne könnte ich all das niemals. Und ohne meine Mutter wüsste ich vielleicht nicht, was Essen alles sein kann." (Nina Wessely, RONDO, 9.5.2020)