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Am Strand steht alles still: Tel Aviv in Zeiten von Corona.

Foto: REUTERS/Nir Elias

Wo sonst Salz, Pfeffer, Olivenöl und Servietten stehen, wartet jetzt nur ein trauriges Plastikfläschchen mit Desinfektionsmittel auf die Gäste, die ohnehin nicht kommen. Die Peacock Bar, ein beliebtes Happy-Hour-Lokal im Zentrum Tel Avivs, hat heute nur für Schauzwecke offen. "Wir sind bereit", sagt Shai Berman, Vorsitzender der Bar- und Restaurantvereinigung Israels, vor Journalisten: "Lasst uns endlich arbeiten." Auch Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai ist gekommen, um Druck zu machen: "Lokale bereichern das Leben und die Stadt, lasst sie wieder aufsperren", sagt der 75-Jährige – und nimmt einen Schluck Whisky, um die Botschaft zu verdeutlichen. Sie ist an die Regierung gerichtet, die über Lockdown und dessen Lockerung entscheidet.

Masterplan für den Tag X

Seit Wochen trifft der Bürgermeister der Mittelmeerstadt hunderte Vertreter der Tel Aviver Gastronomie, um gemeinsam zu tüfteln, wie man die tote Lokalszene wiederbeleben und zugleich die Gesundheit der Gäste und Angestellten schützen könne. Gemeinsam haben sie einen Masterplan fürs Wiederaufsperren erstellt: Man will vorbereitet sein, wenn es denn so weit ist.

Der Plan sieht vor, dass alle Bars und Cafés nur Sitzplätze draußen anbieten dürfen. Die Stadtverwaltung verzichtet deshalb auf Strafen für jene Gastronomen, die ihr Innenmobiliar im Freien ausbreiten. Einzige Auflage: Gehwege und Nachbargeschäfte dürfen nicht beeinträchtigt werden. Die Stadt überlegt, zusätzlich öffentliche Plätze temporär für Schanigärten umzuwidmen.

Der Plan sieht zudem klare Regeln für die einzelnen Lokale vor: Allen Gästen wird die Körpertemperatur gemessen, bevor sie sich setzen dürfen. Nur wegwerfbare Speisekarten sind erlaubt, an jedem Tisch dürfen nur zwei Personen sitzen, die vom Nachbartisch wiederum mindestens 40 Zentimenter Abstand halten sollen. Tische, Sessel und WCs werden alle zwei Stunden desinfiziert, gesessen wird nur draußen, und wenn alle Tische voll sind, darf niemand mehr rein.

Das Wohnzimmer hat zu

Israel gehört zu den Ländern, die vergleichsweise rasch und harsch auf die Pandemie reagiert haben. Jetzt lockert das Land die Sperren. Sogar Einkaufszentren dürfen wieder öffnen. Nur die Lokale bleiben noch zu. Sie dürfen liefern und Takeaway anbieten, aber keine Gäste empfangen. Das trifft keine Stadt in Israel so schwer wie Tel Aviv, wo sich das Leben – auch wegen der horrenden Mieten und beengten Wohnverhältnisse – mehr draußen als drinnen abspielt und die Lokale nicht nur verlängertes Wohnzimmer und Feierabend-Treff, sondern für die vielen Ein-Personen-Unternehmen auch Arbeitsstätte sind.

Dazu kommt, dass die allermeisten Lokalbetreiber bis heute keine Entschädigung erhalten haben und auf den laufenden Kosten sitzenbleiben. Zwar hat die Regierung zwei Tranchen an Kompensationen ausgeschrieben. "Unbürokratisch" solle das vor sich gehen, hatte Premierminister Benjamin Netanjahu in einer seiner vielen TV-Ansprachen verkündet. Dann dauerte es aber erst ein paar Wochen, bis die Ausschreibung begann, und nach kurzer Zeit waren die Server überlastet, und die Mehrheit der Antragsteller sah nur noch eine Error-Meldung.

Kein Geld vom Staat

Eine, die es besonders schwer trifft, ist Maayan Bazak. Die Enddreißigerin ist nach einem zweijährigen Aufenthalt in Rom zurück nach Tel Aviv gekehrt, um hier eine Enoteca nach italienischem Vorbild zu eröffnen, in der sie neben Wein, Grappa und Aperitivo auch Schinken, Salsiccia und italienischen Hartkäse anbietet. Im Dezember war Eröffnung, im März plötzlich Funkstille. Die Einnahmen waren bei null, die Fixkosten liefen weiter, der Kredit wartet auf Rückzahlung, ein neuer ist nicht in Sicht. "Bis ich finanziell wieder dort bin, wo ich Anfang März war, werden eineinhalb Jahre vergehen", schätzt Bazak. Sie würde für das staatliche Entschädigungsprogramm gar nicht infrage kommen, weil es nur jene Unternehmen berücksichtigt, die spätestens im November 2019 aufgesperrt haben. In Bazaks Fall geht sich das um ein paar Wochen nicht aus.

Immerhin, die Stadtverwaltung verzichte drei Monate auf die Gebühren. Wie sie die Kosten künftig bewältigen soll, wisse aber keiner. Die Banken verweigern selbst kleine Kreditsummen, Lieferanten sind bei Zahlungszielen weniger tolerant als zuvor.

Vom Bunker zum Bier

Die Unternehmerin sagt, sie verstehe die Sorgen um die Gesundheit der Menschen. Man solle aber auch an die psychischen Folgen denken. "Die Lokale schaffen Gemeinschaftsleben", sagt Bazak, "in der Einsamkeit werden die Leute depressiv." Dass alle Lokale zusperren, habe es in Israel noch nie gegeben, auch nicht im Krieg. "Es ist nicht so lange her, dass hier ums Eck Raketen eingeschlagen haben", sagt die Unternehmerin. "Wir sind in den Bunker gelaufen. Als es vorbei war, sind wir wieder raus – und haben weitergetrunken." (Maria Sterkl aus Tel Aviv, 6.5.2020)