Wien – Pop-up ist die Antithese zum Shutdown. Also sollte alles, was aufpoppt, derzeit willkommen sein. Nach aufklappbaren Bildern in Büchern, sich ungefragt öffnenden Bildschirmfenstern und über Nacht auftauchenden Geschäften beziehungsweise Galerien soll in Wien am Donnerstag das nächste Pop-up-Ding steigen: ein Radweg. Ein Radweg? Ja, eine Pop-up-Bike-Lane, die sich spontan und vorübergehend auf der Praterstraße in der Leopoldstadt entfaltet.

Diese hat die grüne Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin Birgit Hebein am Donnerstag feierlich eröffnet, da waren die neuen Bodenmarkierungen – knalliges Orange, perfekte Linien – gerade erst trocken. Fix ist damit: Zum Radln stadtauswärts gibt es auf der Praterstraße von der Ferdinandstraße bis zum Praterstern nun eine Radspur mehr und eine Autospur weniger. Zumindest bis Ende August soll der Streifen bleiben.

Video vom Pop-up-Radweg
DER STANDARD

Bürgermeister hält sich raus

Begründet wird das lokale und temporäre Downgrading für den motorisierten Verkehr damit, dass Corona-bedingt deutlich mehr Radverkehr in der Stadt verzeichnet werde. Allein am Praterstern habe die Steigerung zuletzt 66 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum betragen. "Um Platz fair zu verteilen, setzen Städte weltweit gerade auf Pop-up-Bike-Lanes. Auch wir beginnen jetzt", so Hebein. Das Vorhaben sei mit Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) abgesprochen. Aus dessen Büro heißt es dazu am Donnerstag recht knapp: Man habe in Wien eine Ressortaufteilung, die Vizebürgermeisterin habe dies in ihrer Funktion als Verkehrsstadträtin gemacht.

Lichtenegger und Hebein bei der Eröffnung des Pup-up-Radweges.
Foto: Christian Fischer

Nachfolger: Donaustadt

Weitere temporäre Radspuren sollen, so Hebein, folgen – zuerst und als Nächstes in der Wagramer Straße im 22. Bezirk. Mit weiteren Bezirksvorsteherinnen und -vorstehern sei man in Kontakt. Jene in der Donaustadt wolle man am 16. Mai eröffnen, erklärte Hebein am Donnerstag, ein Teilstück des aufgepoppten Radwegs soll dauerhaft bleiben. Letzte Untersuchungen würden aber noch laufen.

Der betroffene Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy (SPÖ) ist davon jedoch wenig begeistert: Gegenüber dem STANDARD kritisiert er, dass es keine Gespräche mit ihm oder Bürgerinnen und Bürgern dazu gegeben habe, er selbst habe erst am Donnerstag offiziell von der Neuigkeit erfahren. "Die Frage ist: Hat das negative Auswirkungen auf den Individualverkehr?", so Nevrivy, immerhin sei die Kagraner Brücke schon jetzt ein Nadelöhr.

Streit um Tempo 30, heftige Kritik an Pop-up-Radwegen

Da die Neugestaltung der Praterstraße, einer wichtigen Verbindungsstraße nach Transdanubien, schon in Vor-Corona-Zeiten ein Politikum war, poppte schon am Mittwoch umgehend Kritik auf: ÖVP-Verkehrssprecher Manfred Juraczka wirft Hebein vor, die Corona-Krise für "ideologische Planspiele" zu missbrauchen. Die Leopoldstädter VP-Bezirkschefin Sabine Schwarz kritisierte, dass die Praterstraße mit der Radwegausweitung wohl zur umstrittenen Tempo-30-Zone werde. Gegen Letzteres sprach sich zuletzt auch die Bezirks-SPÖ aus. Bezirksvorsteherin Uschi Lichtenegger (Grüne) ist dafür, betonte am Donnerstag aber, diese Debatte sei losgekoppelt von der Pop-up-Radspur zu sehen.

Gewohnt grobe Späne hobelte FPÖ-Verkehrssprecher Toni Mahdalik, der es sich nicht nehmen ließ, samt Plakat bei der feierlichen Eröffnung des Radwegs aufzutauchen: "Es wirkt fast schon bizarr, wie sich Bürgermeister Ludwig von seiner grünen Vizebürgermeisterin am Nasenring durch die Straßen der Bundeshauptstadt zerren lässt", ließ er wissen. DAÖ-Klubobmann Karl Baron spricht von einer "Unkultur" und "verkehrspolitischem Unfug".

SPÖ-Verkehrssprecher Siegfried Lindenmayr ist da sanftmütiger, sagt aber: "Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht", und kritisiert die fehlende Bürgerbeteiligung – wie übrigens auch eine Anrainerin, die bei der Pressekonferenz am Donnerstag ihrem Unmut lautstark Luft gemacht hat. Einzig die Wiener Neos sind begeistert, fordern aber gleichzeitig ein dauerhaftes Konzept für die Praterstraße.

Auch der ARBÖ ging mit der Maßnahme scharf ins Gericht. "Das, was derzeit im Wiener Verkehrsressort Tag für Tag passiert, ist an Realitätsverweigerung, Provokation und Planlosigkeit nicht mehr zu überbieten", schreibt ARBÖ-Landesgeschäftsführer Günther Schweizer in einer Aussendung. Gegenteiliger Meinung ist der Verkehrsclub Österreich: "Die Covid-19-Pandemie hat deutlich vor Augen geführt, wie wenig Platz den Fußgängerinnen und Fußgängern sowie dem Radverkehr in Wien gegeben wird", die neue Maßnahme sei daher "ein erster Schritt in die richtige Richtung", meinte VCÖ-Sprecher Christian Gratzer in einer Aussendung.

Wien ist "grünste Stadt der Welt"

Für die kanadisch-amerikanische Consultingfirma Resonance ist Wien übrigens die "grünste Stadt der Welt". Mit "frischen Ideen zu Mobilität" und vielen Parks setzte sich Wien gegen 100 Städte weltweit durch. (amu, simo, elas, 7.5.2020)