Familienleben in Zeiten von Corona ist nicht immer einfach. Der französische Künstler Saype hat seine Freude auf die Zeit danach mit seinem Werk "Beyond Crisis" ausgedrückt.

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Die einzigen Buben im Wohnzimmer von Helga und Franz tragen auch an diesem Samstag die Namen Herz, Karo oder Pik. Sonst tummeln sich hier bis zu neun Enkelkinder auf einmal. Jetzt ist Ruhe, es wird nur geschnapst. Denn seit zwei Monaten haben Oma und Opa Besuchsverbot.

STANDARD: Wie oft habt ihr einander vor Corona gesehen?

Helga: Sehr oft. Wir haben vier Kinder, es gibt neun Enkelkinder – die wohnen alle bei uns im Ort. Es war eine Tradition, seit 1982, also über 38 Jahre lang: Jeden Samstag am Abend gibt’s eine Zusammenkunft bei Oma und Opa. Dazu war niemand verpflichtet, aber es waren trotzdem meistens alle da. Wir haben sehr viel Platz, und es war immer sehr lustig. Das ist jetzt vorbei und es ist das, was mir jetzt stark abgeht. Es hat ihnen immer allen recht gefallen. Willi?

William: Ja, das stimmt. Ich kenne das, seitdem ich klein bin. Je größer man wird, desto mehr hat man vielleicht woanders mit Arbeit und Freunden zu tun. Aber bei den Großeltern ist man immer gern gesehen. Das schätzen auch alle, nicht nur die Generation meiner Mutter, auch die Enkelkinder, die Cousins und Cousinen.

Franz: Der Sinn und Zweck von diesen Zusammenkünften war nicht Essen, sondern Diskussion.

Helga: Auch bissl Streiterei.

Franz: Über Gemeindepolitik, große Politik – so ist das lebendig gewesen.

William: Oma und Opa haben oft auf uns aufgepasst, als wir noch klein waren. Diese Nähe nimmt natürlich mit dem Alter der Kinder ab, aber das Treffen am Samstag war der Fixpunkt. Die Großeltern sind wichtig für alle.

Helga: Darum kann ich das heute nicht ganz leiden, dass die Großeltern nicht herangezogen werden sollen. Es gibt ja viel jüngere Großeltern – warum soll eine 50-jährige Großmutter nicht auf ihr Enkerl schauen können? Das versteh ich nicht ganz.

Franz: Man kann doch von den Leuten verlangen, dass sie selber auf sich aufpassen. Du kannst sie nicht ewig wegsperren, und wenn sie noch so alt sind. Das geht nicht.

STANDARD: Wie macht ihr das jetzt?

William: Wenn ich im Ort bin, statte ich meinen Großeltern einen Besuch ab. Letztes Wochenende hab’ ich ihnen was gekocht und gebacken. Man klopft beim Fenster an und tratscht mit Abstand. Damit man sich zumindest ein bisserl anschauen kann.

STANDARD: Willi hat mir schon gesagt, dass ihr auch viel übers Telefon macht.

Helga: Der Opa hat ein Handy, das kann alles.

William: Der Opa hat sich 2018 ein Wischhandy gewünscht. Wir haben ihm erklärt, dass es auch so Senioren-Smartphones mit leichter Bedienung gibt. Er hat gesagt: "Nein, ich will ein g’scheites!" Da hat er sich gut eingelebt. Whatsapp funktioniert, hie und da tun wir auch videotelefonieren. Von alleine macht er es nicht, man muss ihn schon anrufen. Aber dann funktioniert das auch!

Franz: Buchhaltung über den Computer hab ich schon vor 20 Jahren getan und mach ich heute noch. Nur das modernste Handy habe ich halt erst zum Schluss bekommen.

STANDARD: Hat es am Anfang einen Unterschied gemacht, dass mit William ein Enkel als Krankenpfleger arbeitet?

William: Das mit der sozialen Distanz war ja nicht von Anfang an so. Aber mir war das schon ungut, weil ich mit vielen Leuten zu tun habe und bei kranken Leuten vorbeikomme, wo man am Anfang nicht weiß, was die haben. Ich hab’ mich dann schon in meiner Wohnung ein bisschen isoliert. Bei größeren Familientreffen kommst du natürlich nicht aus, aber wo es sich vermeiden lassen hat, bin ich nicht hingegangen.

Helga: Das letzte Mal, dass wir alle wirklich beisammen waren, das war der Osterbrunch am 7. März.

William: Ob wir den überhaupt machen, ist schon in der Schwebe gestanden. Wir haben uns dann darauf geeinigt, Körperkontakt zu vermeiden. Kein Händeschütteln und so weiter.

Helga: Es war ein Thema, am Ende sind dann doch viele gekommen.

STANDARD: Habt ihr noch Ausdauer, das länger durchzuhalten?

Helga: Was bleibt uns denn anderes übrig?

STANDARD: Ich will’s euch ja nicht empfehlen, aber man könnte ja auch auf alles pfeifen.

Helga: Nein, das tun wir nicht.

William: Wir haben Ausdauer. Wie es sich ergibt, werden wir uns fügen.

Helga: Ich habe keine Angst davor. Wenn ich es kriege und daran sterbe – und das glaube ich nicht –, dann steht auf der Parte "im 80. Lebensjahr verstorben", dann war ich schon alt. Irgendwann müssen wir alle sterben, man darf sich nicht zu stark verunsichern lassen.

Franz: Weil sonst vergisst man zu leben. Das ist halt nun eingeschränkter. Jetzt in der Corona-Zeit werde ich erschlagen vom Schnapsen.

William: Er meint das Kartenspielen, nicht den Alkohol.

Franz: Das wird mir schön langsam wirklich zu viel.

Helga: Das ist aber gut, da musst du auch denken. Ganzen Tag nur Kreuzworträtsel lösen und Sudoku machen ist auch fad. Da kann man nicht einmal streiten, beim Schnapsen kann man wenigstens ein bisserl streiten.

STANDARD: Man kann’s ja auch über das Handy spielen.

William: Wenn’s noch lang dauert, dann gibt's einmal einen Crashkurs, dass wir über das Handy vom Opa spielen können. (Martin Schauhuber, 7.5.2020)