Den Briten will Boris Johnson erst in einer Fernsehansprache am Sonntag seinen Weg aus dem Corona-Lockdown vorstellen. Tags darauf vollendet das Vereinigte Königreich die siebte Woche der Ausgangsbeschränkungen.

Offiziell begründete der konservative Premierminister am Mittwoch im Unterhaus sein Zögern damit, er warte auf die Ergebnisse neuer Studien. Eine Rolle dürfte freilich auch die Angst vor Lockerungsdebatten spielen: Am Freitag begeht das Land den 75. Jahrestag des Kriegsendes in Europa 1945 mit einem Feiertag, fürs Wochenende ist strahlender Sonnenschein angesagt. Dann könnte die Versuchung für manche Bürger, die strengen Auflagen zu ignorieren, allzu groß werden.

Viele Schulen bleiben zu

Allerdings äußern sich die Briten bei Umfragen sehr vorsichtig und bestätigen damit mehrheitlich den Kurs des Regierungschefs. Dem Marktforscher Opinium zufolge wollen zwei Drittel die Schulen auch weiterhin geschlossen halten, die Öffnung von Restaurants, Pubs oder gar Konzerthallen hielten mehr als drei Viertel für falsch.

Das Vereinigte Königreich meldet weiterhin täglich Hunderte von Covid-19-Toten. Zuletzt stieg die Gesamtzahl um 693 auf offiziell 29.427 Verstorbene und damit den höchsten Stand Europas; seriöse Schätzungen aufgrund detaillierter Angaben des Statistikamtes ONS sprechen sogar von 32.313 Toten. Auf die Bevölkerungszahl bezogen stehen Europa-weit nur Belgien, Spanien und Italien schlechter da.

Zu wenig Schutzkleidung

Die Insel war auf eine Pandemie schlecht vorbereitet, die Reaktion der komplett auf den Brexit fixierten Regierung fiel zögerlich aus. Es fehlte an ausreichender Schutzkleidung fürs medizinische Personal sowie an Tests, die eine rasche Isolierung von Sars-CoV-2-Infizierten ermöglicht hätten. Bis Anfang März schwänzte Johnson die Sitzungen des Nationalen Krisenstabes; später ignorierte er die Warnungen von Wissenschaftern und gab noch am 9. März anderen Menschen die Hand. Von insgesamt 18,1 Millionen Reisenden, die im ersten Quartal ins Land kamen, wurden 273 in Quarantäne genommen.

Während das notorisch überlastete Nationale Gesundheitssystem NHS alle Aufmerksamkeit auf sich zog, hielt die Pandemie in Alten- und Pflegeheime praktisch ungehindert Einzug. Er bedauere die dortige Situation "zutiefst", beteuerte Johnson am Mittwoch. Noch immer aber werden nicht alle Bewohner und Mitarbeiter der mehr als 58.000 Heime im Land auf Covid-19 getestet. (Sebastian Borger aus London, 6.5.2020)