Es ist vollbracht. Die SPÖ Mitgliederbefragung hat der SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner mit 71 Prozent Zustimmung und 41 Prozent Beteiligung den Rücken gestärkt. Der Jahrhundertbewegung steht nichts mehr im Weg. Eine telegene Ärztin als Anführerin in der Coronakrise und eine loyale und geschlossene Funktionärsschaft hinter sich. So schön, so gut. Die Sache hat nur einen Haken. Während die SPÖ in Umfragen mit circa 20 Prozent stagniert, erreicht die Kanzlerpartei scheinbar mehr als doppelt so hohe Werte. Woran könnte das liegen? Die Themen wie Rekordarbeitslosigkeit, Verteilungsdebatten und bedingungsloses Grundeinkommen müssten jetzt den Sozialdemokraten mehr als nur in die Karten spielen und bei fiktiven Neuwahlen müsste es eigentlich zu einem Systemwandel in Österreich kommen. Jedoch scheint der aktuelle Erfolg bei der Mitgliederbefragung eher eine persönliche Genugtuung für die Parteichefin zu sein, denn unabhängig davon dürfte die Partei ihre alte Mobilisierungs- und Kampagnenfähigkeit verloren haben.

Wohin steuert die Sozialdemokratie?

Die Entwicklung der Sozialdemokraten in Österreich erinnert irgendwie an einen 70er Jahre Hit von Christian Anders. In diesem heißt es treffend "Es fährt ein Zug nach Nirgendwo mit mir allein als Passagier" und eine weitere treffende Liedpassage lautet "und niemand stellt von Grün auf Rot das Licht". Irgendwie scheinen die beiden Textelemente gut auf die Lage der Sozialdemokratie zu passen. Rendi-Wagner dürfte zwar nun erfolgreich im Zug der SPÖ sitzen, während ihr Vorgänger bei voller Fahrt abgesprungen ist. Doch ist sie, so wie die Demoskopen es sehen, mit den Funktionären allein Passagier der Bewegung. Viele Sitzplätze sind leer. Ebenso ist ihr die Umstellung vom politischen Grün auf Rot bei den Wählern trotz der ÖVP-Konformität der Grünen bis jetzt noch nicht geglückt.

Pamela Rendi-Wagner bei der Mitgliederbefragung
Foto: Reuters/LEONHARD FOEGER

Glaubwürdigkeit und Selbstkritik

Einigkeit, Zusammenhalt und Loyalität nannte Rendi-Wagner, in Form einer Selbstdiagnose durch die Umfrageergebnisse, als Kernproblematik. Wie es aber mit der Selbstanalyse und dem Herumdoktern an sich selber so ist, wird oft die wahre Problematik übersehen. Als Therapeut kann man sich nicht selbst therapieren und die Sozialdemokratische Partei Österreichs wird an ihrer Glaubwürdigkeit arbeiten müssen. Hier liegt die Aufgabe der Sozialdemokraten. Jetzt bei einer Nabelschau unter circa 160.000 Mitgliedern mit einer Beteiligung von unter 50 Prozent große Rückschlüsse auf die Bedürfnislage der Bevölkerung zu ziehen ist von der SPÖ-Vorsitzenden trotz sichtlich emotionaler Rührung sehr kühn und nicht unbedingt ökologisch valide.

Ein Kaiser für Kurz

Man hat das Gefühl, dass Spitzenpolitiker selbst ohne Medienberater keine Meinung mehr haben. Dies gilt fast für alle Spitzenrepräsentanten der österreichischen Innenpolitik bis auf ganz wenige Ausnahmen. So kommen uncharismatische Typologien an die Oberfläche, die eines sehr gut können, nämlich sich anpassen. Die Partei und die Gesinnung scheinen austauschbar zu sein. Die habilitierte Medizinerin macht leider in vielen Situationen den Anschein, dass sie ebenfalls zur definierten neuen Politikerkaste gehört. In derselben Zeit in welcher der Kanzler Sebastian Kurz das Kleinbürgerliche in uns anspricht und gleichzeitig für die Großbürgerlichen steht, wirkt sie zu obrigkeitshörig und selten wirklich gegen den Strom schwimmend. Ob das bei einer kommenden Wahl gegen Kurz ausreicht, ist zu bezweifeln. Eine interessante Paarung bei der kommenden Nationalratswahl wäre der leicht spröde Landeshauptmann Peter Kaiser mit seinem manchmal subliminal-pastoralen Habitus gegen den Meister der Politmimikry Kurz. Wer da wohl mit einem Babyelefanten Abstand die Herzen des Volkes erreicht? (Daniel Witzeling, 7.5.2020)

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