In der Serie alles gut? denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.




Seit Auftauchen des neuen Coronavirus sind Impfungen wieder im globalen Bewusstsein. In ärmeren Ländern gewinnen sie aber seit vielen Jahren an Stellenwert. Seit den 1980ern sind viele hundert Millionen Menschen auf der Welt geimpft worden. Das rettet Millionen Menschen das Leben, sagt die Forscherin Samantha Vanderslott. Sie ist Teil der Oxford Vaccine Group an der Universität Oxford und gibt im STANDARD-Interview Einblick in eine kleine Revolution.

Ein Kind in Dhaka, Bangladesch, wird gegen Cholera geimpft.
Foto: EPA / MONIRUL ALAM

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STANDARD: Alle warten jetzt auf eine Impfung für Covid-19. Lassen wir die kurz außen vor: Für welche Krankheiten würden wir uns für die Welt Impfungen wünschen?

Vanderslott: Am meisten für die sogenannten Big Three der globalen Gesundheit, für Malaria, Tuberkulose (TB) und HIV/Aids. Alle drei involvieren komplexe Erreger, und es ist sehr schwer, gute Impfungen zu entwickeln. Es gibt eine für TB, aber sie ist nicht sehr effektiv und schützt nicht vor allen Formen von TB. Aber es sind fast vier Milliarden Menschen global dagegen geimpft. Das ist die verbreitetste Impfung der Welt. Wenn sie besser wäre, würde es einen sehr großen Unterschied für das Leben vieler Menschen machen.

STANDARD: Es ist wohl kein Zufall, dass vor allem ärmere Länder auf die Impfungen warten. Reichere können, wie wir nun sehen, schnell sehr viel Geld in Forschung stecken.

Vanderslott: Ja, das ist sicher der Fall. Es gibt bei den Big Three aber auch wissenschaftliche Schwierigkeiten mit den Impfungen. Aber das Szenario wäre sicher ein anderes, wenn diese Krankheiten reichere Länder stärker betreffen würden. Die Ausnahme ist HIV/Aids, aber auch hier trifft es nicht alle gleich, sondern vor allem bestimmte Gruppen. Auch da gibt es deshalb weniger Reaktion darauf in reicheren Ländern.

STANDARD: Wie sieht es mit Malaria aus?

Vanderslott: Für Malaria wird seit längerem eine Impfung entwickelt, die nun allmählich den Bevölkerungen zugänglich gemacht wird. Aber die Effektivität ist nicht so hoch wie bei anderen Impfungen. Der Schutz beträgt etwa 30 bis 60 Prozent. Aber selbst wenn es nur 30 Prozent sind: Wenn alle geimpft werden, würde das jedes Jahr sehr, sehr viele Leben retten.

STANDARD: Heute sterben 300.000 Menschen im Jahr weniger an Malaria als noch vor zehn Jahren. Ein enormer Fortschritt und das ohne Impfung. Aber auch bei den Impfungen gibt es Fortschritte?

Vanderslott: Ja, die meisten Menschen im Westen sind überrascht davon, dass schon so viele ärmere Kinder in ärmeren Ländern Impfprogramme durchlaufen sind. Für Masern, Röteln und Mumps oder Diphterie, Tetanus und Pertussis (Anm.: Keuchhusten) ist die Abdeckung hoch. Für letztere waren 2018 etwa 86 Prozent der Kinder bis zur dritten Dosis geimpft. Genaue Zahlen sind schwierig, aber wir können mit Sicherheit sagen, dass Impfungen Millionen Leben gerettet haben.

STANDARD: Und trotzdem bleibt noch sehr viel zu tun.

Vanderslott: Ja, einerseits ist es ein Erfolg, dass viele Kinder zumindest mit einem Minimum an Impfungen erreicht werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat seit den 1980ern ihre Programme stark ausgebaut. Zuletzt ist viel davon von der Bill and Melinda Gates Foundation finanziert worden. Auch die Impfallianz Gavi leistet hier wichtige Arbeit. Es bleibt aber sehr viel zu tun und Impfungen könnten noch viel mehr Kindern das Leben retten. Viele sterben an Lungenerkrankungen oder Durchfall, das müsste nicht sein. Gibt es kein sauberes Trinkwasser, können Impfungen sehr viel bewirken.

STANDARD: In reicheren Ländern gibt es viele Mythen rund ums Impfen. Wie sehr ist das mit Blick auf ärmere Länder ein Problem?

Vanderslott: Es ist das Gleiche. Es geht darum, ob die Menschen dem Gesundheitssystem und der Regierung vertrauen. Ist das Vertrauen niedriger, sind es auch die Impfraten. In Kerala in Indien gab es 2017 eine Kampagne für eine Masern-Röteln-Impfung. Zuvor hatte es ein paar Todesfälle bei einer früheren Impfkampagne gegeben. Darum gab es große Gegnerschaft. Es hat sich aber herausgestellt, dass das nichts mit den Impfungen zu tun hatte. Es gab viele Verschwörungstheorien, wer hinter der neuen Kampagne steckt, sie heimlich finanziert. Das kann Menschen misstrauisch machen. Die Lokalregierung hat da gut kommuniziert und diese Theorien aufgelöst.

STANDARD: Sie sagen, Vertrauen ist wichtig. Aber in wen?

Vanderslott: Der Wellcome Trust, eine Stiftung, hat vor einem Jahr eine globale Umfrage gemacht. Ärzte und Gesundheitspersonal genießen hohes Vertrauen, sie sind knapp gefolgt von Wissenschaftern. Regierungen, Medien und Pharmakonzerne kommen weit danach. In sie gibt es weniger Vertrauen. Lässt man Ärzte und das Gesundheitspersonal die Vorteile von Impfungen kommunizieren und Fragen beantworten, hilft das sehr.

STANDARD: Fünf Konzerne produzieren 80 Prozent der Impfungen auf der Welt. Das macht es Verschwörungstheorien ziemlich einfach.

Vanderslott: Es ist wahrscheinlich zu wenig bekannt, wie viel Arbeit von Universitäten und Regierungen in die Grundlagenforschung geht. Sie schaffen die Basis für neue Impfungen. Aber weil die massenhafte Produktion viel Kapital braucht, macht das der Privatsektor. Auch bei Covid-19 wird sehr viel von staatlicher Seite mit Unternehmen zusammengearbeitet. Auch Cepi, eine Allianz, finanziert viel. Das ist ein breiter Mix an Staaten, Firmen und Akteuren im Gesundheitssektor, der Impfungen entwickelt. Das ist nicht in der Hand von wenigen Firmen.

STANDARD: Ist die Pandemie eine Chance, dass den Menschen wieder klarer wird, welchen Wert Impfungen für unsere Gesundheit haben?

Vanderslott: An Covid-19 sieht man, was es heißt, weder Impfungen noch Medikamente für eine Krankheit zu haben. Das ist quasi ein lebensechtes Beispiel dafür, wie das Leben früher war, bevor es Impfungen oder effektive Medikamente wie Antibiotika gab. Ohne Impfungen gibt es Disruption. Ob bei Covid-19 oder bei anderen Krankheiten. Auch schon vor langer Zeit wurde auf Ausbrüche mit Quarantänen reagiert. Heute nennen wir das Social Distancing.

STANDARD: Ärmere Länder sitzen bei Covid-19 nun wohl auf dem kürzeren Ast?

Vanderslott: Ein gutes Beispiel ist die Schweinegrippe 2009. Für die gab es schon eine Impfung. Was ist passiert? Viele reiche Länder schlossen Verträge mit Pharmafirmen ab. Die WHO hat probiert, Abkommen zu machen, damit auch ärmere Länder Zugang zu Impfungen haben. Das ist zum Teil passiert, lief aber nicht ideal ab. Wir hatten damals Glück, weil viele der Impfstoffe nicht gebraucht wurden. Erst dann wurden sie an ärmere Länder weitergegeben. Das darf sich bei Covid-19 nicht wiederholen, dafür müssen Organisationen wie die WHO oder Cepi sorgen.

STANDARD: Was kann die Welt in puncto Impfungen noch besser machen?

Vanderslott: Die Mechanismen, die wir haben, mit der WHO und etwa mit der Impfallianz Gavi, funktionieren. Das Thema muss auf der Agenda bleiben. Auch wenn es Erfolge gibt, kann das schnell wieder schlechter werden. Wir haben in Europa in den letzten Jahren gesehen, dass es bei niedrigeren Impfraten schnell wieder Ausbrüche gibt. Die Masern waren in vielen Ländern ausgerottet. Die können sehr schnell wieder eingeschleppt werden. Es ist sehr wichtig, das Momentum aufrechtzuerhalten. Vor allem bei Krankheiten wie Polio oder Guineawurm, wo wir drauf und dran sind, sie ganz auszurotten. Das braucht nachhaltige Investitionen.

STANDARD: Wie das in den 1970ern bei den Pocken gelungen ist.

Vanderslott: Ja, das muss ein globales Bemühen sein, und jedes Land der Welt muss dabei sein. Um ehrlich zu sein, gibt es bei der damaligen Pocken-Kampagne aber einige Fragezeichen. Es wurde stark gedrängt, dass auch die letzten Communitys auf der Welt durchgeimpft werden. Auch wenn die nicht einverstanden waren. Ich bin mir nicht sicher, ob das heute ethisch okay wäre, was damals passiert ist. Da muss man aufpassen.

Wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat, melden Sie sich für den Newsletter an. Ich schreibe Ihnen, wenn im Rahmen der Serie ein neuer erscheint. (Andreas Sator, 10.5.2020)