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Auch Mark Zuckerberg hat sich verpflichtet, Entscheidungen des Oversight Board mitzutragen – selbst wenn sie ihm missfallen.

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Das soziale Netzwerk Facebook, das mit Abstand größte seiner Art, steht seit Jahren im Kreuzfeuer der Kritik. Datenschutzskandale, organisierte Wahlmanipulation, Hasspostings – es sind viele Bereiche, in denen Kritiker der Plattform Versagen vorwerfen. Eine Gruppe aus 40 Personen, das sogenannte Oversight Board, soll künftig zu besserer Entscheidungsfindung beitragen – und dabei auch die Macht von CEO Mark Zuckerberg limitieren.

Die vier Co-Vorsitzenden und 16 weitere Mitglieder wurden nun bekanntgegeben. Das Führungsquartett hat nun in einem Text für die "New York Times" über seine Aufgaben und Ziele gesprochen.

Verbindliche Entscheidungen

Die Auswahl ist durchaus hochkarätig. Catalina Botero-Marino ist eine kolumbianische Anwältin, die von 2008 bis 2014 als Sonderberichterstatterin für Presse- und Meinungsfreiheit für die Organisation Amerikanischer Staaten tätig war. Helle Thorning-Schmidt war von 2011 bis 2015 Premierministerin und Parteiobfrau der Sozialdemokraten in Dänemark. Jamal Greene ist Verfassungsexperte an der Columbia Law School, der Abschlüsse aus Harvard und Yale vorzuweisen hat. Michael McConnell leitet das Constitutional Law Center der Stanford University und war zuvor als Bundesrichter tätig, zu dem ihn einst George W. Bush sr. ernannt hatte.

Entstanden ist das neue Gremium aus dem Input von über 2.000 Experten aus 88 Ländern in einem Zeitraum von 18 Monaten. Seine Arbeit soll es noch im Laufe des Jahres aufnehmen. Sein Fokus liegt auf den "herausforderndsten Themen", darunter Sicherheit, Hassrede und Datenschutz. Es soll verbindliche Entscheidungen darüber treffen, welche Inhalte auf Facebook gepostet werden können und welche nicht.

"Verbindlich" bedeutet, dass auch Facebook sich verpflichtet hat, die Beschlüsse umzusetzen, auch wenn das Management oder Zuckerberg selbst eine andere Meinung vertreten. Außer wenn diese Umsetzung geltende Gesetze brechen würde.

Für sechs Jahre abgesichert

Um Einseitigkeit zu vermeiden, spiegelt die Besetzung des Komitees verschiedene politische Positionen wider. Von progressiven Persönlichkeiten und ausgesprochenen Facebook-Kritikern bis hin zu Menschen mit konservativem Hintergrund. Neben Juristen und Menschenrechtsexperten sind auch Journalisten an Bord, darunter etwa der ehemalige "Guardian"-Chefredakteur Alan Rusbridger.

Die Leiter dieses "Weisenrats" betonen ihre Unabhängigkeit. Diese sei auch strukturell abgesichert. Finanziert wird das Gremium über einen Treuhandfonds, in dem zurzeit 130 Millionen Dollar für die ersten sechs Jahre liegen. Für Facebook gebe es keine Möglichkeit, das Geld abzuziehen. Die Mitglieder sind vertraglich auch direkt dem Komitee verpflichtet und nicht dem Konzern. Sie amtieren jeweils für eine Periode von drei Jahren, die maximal zweimal verlängert werden kann. Alle Entscheidungen und Empfehlungen sollen veröffentlicht werden.

Entscheidungen mit "realem Einfluss"

Das Oversight Board soll auch direkt auf Verlangen der User tätig werden können. Es wird möglich sein, gegen von Facebook durchgeführte Löschungen von Inhalten zu berufen. Zu einem späteren Zeitpunkt soll auch der umgekehrte Fall, wenn sich also Facebook weigert, einen Inhalt zu entfernen, vorgelegt werden können.

Allerdings könne man nicht jede Beeinspruchung aufgreifen. Man wolle sich auf jene Fälle konzentrieren, die einen "realen Einfluss" und Bedeutung für die öffentliche Debatte haben. Dabei geht es etwa um die Grenzziehung zwischen Satire und Hassrede, die Verbreitung von potenziell heiklen Bildern nach tragischen Ereignissen oder die Verbreitung manipulierter Inhalte durch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.

Möglichkeiten und Grenzen

Die auserwählten Fälle werden von jeweils einem Ausschuss mit wechselnder Besetzung bearbeitet. Dieses legt seinen Entschluss wiederum dem kompletten Komitee vor, das binnen 90 Tagen entscheidet. In drängenden Fällen soll in maximal 30 Tagen ein Beschluss vorliegen. Widerspricht eine Mehrheit der Mitglieder dem ursprünglichen Entscheid, kann ein neu besetzter Ausschuss eingerichtet werden, um den Fall erneut aufzurollen.

Man sei sich allerdings auch der Limitationen des eigenen Einflusses bewusst. Einerseits könnten bestimmte Entscheidungen und Grenzziehungen nur von Politik und Behörden gesetzt werden. Andererseits werde so mancher Entschluss auch eine Kontroverse auslösen, wenn er nicht der öffentlichen Erwartung entspreche. In jedem Fall aber wolle man zeigen, wie wichtig eine unabhängige und prinzipientreue Aufsicht über eine Plattform wie Facebook sei.

Kritik

Die Reaktionen auf die Einrichtung des neuen Aufsichtsorgans sind bis jetzt gespalten. Optimisten und Skeptiker sind sich jedenfalls einig darüber, dass Zuckerbergs Macht nach Beschränkung verlangt. Die ständigen Entschuldigungen des Chefs nach dem vielfachen Versagen seines Unternehmens hätten sich längst abgenutzt, schrieb Tech-Journalistin Kara Swisher im vergangenen Oktober.

Harvard-Rechtsexperte Dipayan Ghosh sieht die Aufgaben des Komitees zu eng gefasst. Er fordert auch unabhängigen Einfluss auf die Zukäufe, Datenpraktiken und Algorithmen von Facebook. Eine Erweiterung der Aufsicht ist freilich nicht ausgeschlossen. Ob die Initiative letztlich greift oder tatsächlich nur als Feigenblatt dient, wird sich zeigen, wenn Facebook an der Reihe ist, die ersten Beschlüsse umzusetzen.

Das sind die ersten 20 Mitglieder des Oversight Comitee

Vorsitzende

  • Catalina Botero-Marino: Juristin, ehemalige Sonderberichterstatterin für Meinungsfreiheit der Organisation Amerikanischer Staaten. Sie leitet aktuell das Rechtsinstitut der Universidad de los Andes in Bogota.
  • Helle Thorning-Schmidt: Ehemalige Premierministerin von Dänemark – die erste Frau in diesem Amt – und ehemalige Vorsitzende der dänischen Sozialdemokraten. Leitete später die gemeinnützige Organisation Save The Children.
  • Jamal Greene: Verfassungsexperte der Columbia University. War vormals als Referendar am Obersten Gerichtshof der USA (Supreme Court) tätig.
  • Michael McConnell: Verfassungsexperte an der Stanford University, vormals als US-Bundesrichter tätig.

Weitere Mitglieder (in alphabetischer Reihenfolge):

  • Afia Asantewaa Asare-Kyei: Menschenrechtsaktivistin, spezialisiert auf Pressefreiheit und Frauenrecht. Sie arbeitet für die Open Society Initiative for West Africa.
  • Evelyn Aswad: Rechtsexpertin der University of Oklahoma mit Schwerpunkt auf Menschenrechtsfragen. Vormals für das US-Außenministerium tätig.
  • Endy Bayuni: Indonesische Journalistin und Medienberaterin. Ehemals Chefredakteurin der "Jakarta Post".
  • Katherine Chen: Expertin für öffentliche Kommunikation und Statistik der National Chengchi University in Taiwan mit Schwerpunkt auf soziale Medien und Privatsphäre. Vormals für den taiwanesischen Telekomregulator (NCC) tätig.
  • Nighat Dad: Anwalt und Menschenrechtsaktivist aus Pakistan. Er leitet die in Pakistan und Südasien tätige NGO Digital Rights Foundation.
  • Pamela Karlan: Rechtsexpertin der Stanford University mit Schwerpunkt auf Wahlrecht und LGBTQ+-Anliegen. Arbeitete unter Barack Obama im Justizministerium und wurde auch während des Impeachment-Verfahrens gegen Donald Trump angehört.
  • Tawakkol Karman: Menschenrechtsaktivistin und Journalistin aus dem Jemen. Wurde 2011 als erste arabischsstämmige Frau mit dem Friedensnobelpreis für die Organisation gewaltfreier Proteste im Rahmen des Arabischen Frühlings ausgezeichnet.
  • Maina Kiai: Anwältin und Menschenrechtsaktivistin. Leitet das Global Alliances Programme von Human Rights Watch. Vormals UN-Sonderberichterstatterin für Versammlungsrecht.
  • Sudhir Krishnaswami: Vize-Leiterin des Rechtsinistituts der India University. Eine Bürgerrechtsaktivistin und Expertin für Verfassungsrecht.
  • Ronald Lemos: Rechtsexperte von der Universidade do Estado in Rio de Janeiro. Wirkte an der Entstehung des Internetrechts in Brasilien mit.
  • Julie Owono: Anwältin und Teil des Führungsgremiums der Digitalrechts-NGO Internet Sans Frontières. Setzt sich vor allem gegen politische Zensur im Netz ein.
  • Emi Palmor: Ehemalige Generaldirektorin des israelischen Justizministeriums. Sie leitete dort Programme gegen ethnische Diskriminierung und trieb den Ausbau digitaler Justizangebote voran.
  • Alan Rusbridger: Britischer Journalist und ehemaliger Chefredakteur des "Guardian". Heute Direktor des Lady Margaret Hall College an der Oxford University.
  • Andras Sajo: Verfassungsexperte und ehemaliger Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. War unter anderem an der Entstehung der Verfassungen der Ukraine und Georgiens beteiligt.
  • John Samples: Vizepräsident des Cato Institute, eines libertär ausgerichteten US-Thinktanks. Beschäftigt sich insbesondere mit Zensur und Meinungsfreiheit im Netz.
  • Nicolas Suzor: Rechtsexperte der australischen Queensland University of Technology. Sein Schwerpunkt liegt in der Regulierung sozialer Netzwerke und automatisierter Systeme. (gpi, 7.5.2020)