In Südkorea wurden spezielle Wahlzellen für Menschen in Quarantäne eingerichtet. Die Wahlen dort funktionierten auch mitten in der Pandemie – sie hatten die höchste Beteiligung seit 1992.

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Kritik an der Absage von Wahlen in Ungarn; Kritik an Briefwahlplänen in Polen; Kritik aber auch einem durchgeführten Votum in Frankreich; Angst vor einer Verschiebung der Wahl in den USA – und allerorten Streit um den Modus. Das Coronavirus Sars-CoV-2 droht auch das Herz der Demokratie zu erfassen, die freie Stimmabgabe, und dabei kaum Gewebe zu verschonen. Wie auch immer man es macht, so scheint es, man macht es falsch und setzt sich zumindest dem Verdacht aus, ein Grundrecht zu untergraben.

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Dabei sieht fast jeder ein: Solange die Ansteckungsgefahr so ist, wie sie ist, kann es auch beim Urnengang nicht so gehen wie bisher. Mehr als 50 nationale und regionale Wahlen und Referenden sind wegen der Pandemie weltweit schon abgesagt oder verschoben worden, errechnete jüngst die zwischenstaatliche Organisation Idea. Was man stattdessen machen kann, um freie Gesellschaften durch die Krise zu tragen, ist aber unbeantwortet. Fast alles, was bisher versucht wurde, hat sich nämlich als problematisch rwiesen – entweder für die Gesundheit oder für die Demokratie.

Riskantes Experiment

Da ist zunächst der Versuch, Wahlen einfach trotzdem abzuhalten. Das kann gutgehen, aber es kann auch böse enden. Bayern und Frankreich riefen ihre Bürgerinnen und Bürger Mitte März, direkt vor dem Lockdown, noch zu Kommunalwahlen – mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Während in Deutschland kein Anstieg der Corona-Fälle, der mit dem Urnengang in Verbindung gestanden wäre, nachweisbar war, nahmen in vielen französischen Gemeinden die Krankheitsfälle zwei Wochen später zu. Auffällig stark waren auch Wahlhelferinnen und Wahlhelfer betroffen.

Damit nicht genug: Präsident Emmanuel Macron, der einen Tag nach der Wahl den Lockdown ausrief und ihn mit dem "Krieg" gegen das Virus begründete, musste die zweite Runde auf den Oktober verschieben. Bis dahin hängt man nun politisch erst recht in der Luft. Die Opposition fordert einen U-Ausschuss. Die Menschen hatten den Termin ohnehin kaum angenommen: Die Beteiligung sank auf einen historischen Tiefststand.

Kampf um die Wahl

Die Wahlen selbst werden so zum Politikum, im schlimmsten Fall kann das ganze System infrage gestellt werden. Eine solche Entwicklung fürchten manche in den USA. Für eine Verschiebung des Präsidentschaftsvotums im November gibt es zwar so hohe verfassungsmäßige Hürden, dass diese sehr unwahrscheinlich ist. Streit wird aber dennoch erwartet. Einen Vorgeschmack gab es bereits vor einem Monat. Da konnten sich Demokraten und Republikaner nicht auf Modalitäten für die Vorwahl in Wisconsin einigen.

Weil es neben dem Duell Joe Biden gegen den inzwischen aus dem Rennen ausgestiegenen Bernie Sanders auch um die Vergabe eines Sitzes im Supreme Court des Staates ging, wollten die Republikaner dem Wunsch des demokratischen Gouverneurs Tony Evers nicht nachkommen, auf reine Briefwahl umzustellen. Der Staats-Supreme-Court entscheidet im Sommer über die Streichung von rund 200.000 Menschen, mehrheitlich Angehörige von Minderheiten, aus dem Register für die Präsidentschaftswahl. Die Republikaner fühlen sich bei der Briefwahl benachteiligt und fürchteten, ein demokratischer Sieg würde die Streichungen in den Wählerlisten gefährden. Am Ende fand das Votum trotz Pandemie statt, rund 50 Mitarbeiter der Wahlbehörde erkrankten danach an Covid-19. Die Rechnung der Republikaner ging aber nicht auf: Die Demokraten errangen einen deutlichen Sieg im Rennen um den Supreme Court.

Die Angst vor dem (Brief)wähler

"Wenn sie das so umsetzen, würde in diesem Land nie wieder ein Republikaner gewählt", sagte Trump jüngst zu Vorschlägen der Demokraten, Möglichkeiten für frühere Stimmabgabe und Briefwahl deutlich auszuweiten.

Die Republikaner fürchten, diese würden zu einer höheren Wahlbeteiligung führen und spezifisch zur gestiegenen Teilnahme nicht-weißer US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner – und das würde ihnen schaden. Doch was in den USA einen undemokratisch-rassistischen Hintergrund hat, hat dennoch einen wahren Kern: Briefwahlen gehen gewöhnlich anders als aus Urnenwahlen. Führt man sie nur wegen Corona ein, erzeugt man Verzerrungen.

Diskussionen gibt es immer

Das zeigen auch andere Beispiele: Bayern etwa entschied, die zweite Runde der Kommunalwahl im März nur per Brief auszutragen, was zunächst weitgehend streitlos ablief, nun im Nachhinein aber vereinzelt für Diskussionen sorgt. Nicht alle Bürgerinnen und Bürger hätten einen Stimmzettel bekommen, heißt es. Wahlen werden so anfechtbar.

Außerdem gehört auch ein Wahlkampf dazu, wenn sich die Menschen eine Meinung bilden sollen. Das etwa bemängelte Polens Opposition, die nicht müde wurde, der konservativen PiS-Partei wegen ihres Wunsches nach einer Präsidentenwahl via Brief am 10. Mai undemokratisches Verhalten vorzuwerfen. Tatsächlich scheiterte das Vorhaben am Mittwochabend – vor allem aber wegen der Sorge, die Post könne keine reibungslose Zustellung und Abnahme der Wahlzettel garantieren.

Wie immer, nur anders

Doch wenn die Briefwahl problematisch und E-Voting wegen fehlender Sicherheit fast unmöglich ist – was bleibt dann noch? Am Ende wird vielleicht fest¬zustellen sein, dass die gute alte Urnenwahl doch das beste Rezept ist – mit einigen Adaptionen. Südkorea hielt Mitte April trotz Pandemie Parlamentswahlen ab, verteilte in den Wahllokalen Desinfektionsmittel und Handschuhe, erteilte Abstimmenden Maskenpflicht und maß deren Körpertemperatur. Wer Fieber hatte, wurde in eine spezielle Wahlkabine geführt, die öfter desinfiziert wurde, für Menschen in Quarantäne gab es eigene Termine. Am Ende stand die höchste Beteiligung seit 1992.

Auch in Corona-Zeiten gibt es also Hoffnung. Sie hängt wohl auch mit dem Vertrauen zusammen, das sich politische Systeme zuvor erarbeitet haben. Vielleicht gibt es deshalb in Österreich kaum Beschwerden über die verschobenen Gemeindewahlen, in Deutschland nur wenige Beanstandungen und in Südkorea eine Wahl ohne Probleme – während in Ungarn, Polen und den USA die gleichen Dinge Protest und Sorge hervorrufen. Die Probe aufs Exempel gibt es bald – in Österreich bei der Wien-Wahl im Oktober. (Manuel Escher, 7.5.2020)