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PRO: Brandgefährlich für Europa

von Eric Frey

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil diese Woche das Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank zum Glück nicht gestoppt. Aber der Schaden, den die Höchstrichter in Karlsruhe angerichtet haben, geht noch tiefer.

Denn das Urteil setzt strenge Auflagen für zukünftige Maßnahmen zur Zinssenkung und Konjunkturankurbelung durch die EZB. Werden die nicht erfüllt, darf sich die Deutsche Bundesbank nicht daran beteiligen. Das wäre ein großer Schritt zur Demontage des Euro.

Noch schlimmer ist die Botschaft an den Europäischen Gerichtshof, der die Anleihenkäufe 2017 bewilligt hat. Nicht nur kritisieren die deutschen Richter das Urteil selbst, sie erklären sich für gar nicht daran gebunden. Das ist Munition für alle Gegner der europäischen Integration. Wenn das Höchstgericht des größten Mitgliedsstaates die europäische Rechtsprechung nicht akzeptiert, warum sollen es dann Ungarn, Polen oder auch Österreich tun?

Diese deutsche Rechtsposition ist nicht neu, wurde aber noch nie so offen ausgesprochen. Das Urteil trifft zudem einen Schwachpunkt der EU. Denn was die EZB seit 2012 tut und tun muss, um den Euro zu bewahren, ist durch die Unionsverträge nicht gedeckt. Aber Vertragsänderungen sind politisch unmöglich. Da hilft nur Pragmatismus, wie ihn der EuGH betreibt. Der trotzige Rechtsfundamentalismus in Karlsruhe ist hingegen brandgefährlich für Europa. (Eric Frey, 7.5.2020)

KONTRA: Rückwärtsgewandt deutsch

von Thomas Mayer

So verständlich die EU-weite Aufregung über das Urteil des deutschen Verfassungsgerichtshofs zur Geld-, Zins- und Anleihenpolitik der Europäischen Zentralbank auch ist – sie ist weit übertrieben. Es riecht ein wenig nach D-Mark-Nostalgie: viel Lärm, wenig Wirkung, etwas rückwärtsgewandt deutsch, wie man das von Einwänden zu früheren Eurohilfsprogrammen kennt.

Aber: Weder werden daran der Euro und die gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik scheitern, noch hat das Erkenntnis Folgen für höchste EU-Institutionen wie den Europäischen Gerichtshof oder eben die EZB. Allerdings hat die Regierung Merkel Erklärungsbedarf.

Die Eurowährungshüter sind in den EU-Verträgen mit einer besonders starken Unabhängigkeit ausgestattet. Im EZB-Rat wird mit Mehrheit abgestimmt, der deutsche Vertreter schon mal überstimmt. Keine nationale Regierung, kein nationales Gericht soll sie gängeln können. Das ist der Geist der Gemeinschaftsverträge, von Regierungen (auch deutschen), dem Bundestag und dem Europäischen Parlament in jahrzehntelanger behutsamer Arbeit aufgebaut.

Nicht zufällig haben die Richter ihre Grenzen selber formuliert, indem sie EZB-Anleihenprogramme grundsätzlich nicht infrage stellen. "Teilweise" verfassungswidrig sei das Fehlen einer weiteren Folgenabschätzung. Legitimer Einwand. Mehr Transparenz beim Euro fordert das EU-Parlament schon lange. So gesehen: kein schlechtes Urteil. (Thomas Mayer, 7.5.2020)