Wer der Patient null war und wie das Virus auf den Menschen übersprang, wird sich womöglich nicht mehr klären lassen. Zwei neue Untersuchungen von dieser Woche deuten aber darauf hin, dass dies schon früher geschah als bislang angenommen.

Zum einen berichten französische Mediziner über den Fall eines Patienten, der bereits ab dem 27. Dezember in Paris behandelt wurde und der an Covid-19 litt, wie sich erst jetzt herausstellte. Zum anderen folgert eine neue Studie britischer Forscher aufgrund des Genom-Vergleichs von 7.500 Sars-CoV-2-Viren aus aller Welt, dass die internationale Ausbreitung vermutlich bereits 2019 begonnen haben dürfte.

Wann die Pandemie Österreich erreichte, könnte sich entsprechend diesen neuen Informationen auch noch ändern. Bislang geht man aber davon aus, dass die ersten beiden Virusinfektionen in Österreich am 25. Februar 2020 registriert wurden: zwei 24-jährige in Innsbruck lebende Italiener. Am 8. März wurde dann erstmals die Marke von mehr als 100 aktiven Covid-19-Fällen erreicht, am 16. März die von mehr als 1.000 registrierten Erkrankten.

Aufwendige Rekonstruktion

Wie aber breitete sich die Epidemie in diesen Märztagen in Österreich aus? Experten der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) haben durch aufwendige Rekonstruktionen ein wenig mehr Licht ins Dunkel bringen können. Sie haben immerhin ein Viertel der aktuell rund 15.700 bekannten Covid-19-Fälle insgesamt 169 Clustern zugeordnet wie Daniela Schmid erklärt, die Leiterin der Abteilung Surveillance und Infektionsepidemiologie der Ages.

Wie nicht weiter überraschend, habe laut Schmid zu Beginn der Epidemie der "Import" der Infektion die wichtigste Rolle gespielt. Dazu zählen Reisen ins Ausland, von Individuen und Reisegruppen, sowie der Kontakt zu ausländischen Touristen in Österreich. Dafür steht auch Cluster A der chronologisch und alphabetisch geordneten Transmissionsketten, die sich baumartig verzweigen:

Grafik: Ages / Der Standard

Danach habe sich das Virus lokal, vor allem im halböffentlichen Bereich, verbreitet. Ab Mitte März konnten die meisten Fälle dieser Kategorie zugeordnet werden, und ab dem 23. März wurde kein aus dem Ausland importierter Covid-19-Fall mehr verzeichnet.

Detektivische Kleinarbeit

Die Ages unterschied bei ihrer "epidemiologischen Abklärung" insgesamt elf verschiedene Cluster-Settings: Dazu zählen Freizeitaktivitäten, der Arbeitsplatz, Haushalt und Familie, Krankenhäuser sowie Senioren- und Pflegeheime – und Mischformen und Kombinationen davon. Die Cluster wurden zunächst in detektivischer Kleinarbeit von den lokalen Gesundheitsbehörden aufgespürt, indem Infizierte nach positiver Testung zu Alltag und Kontakten in den zwei Wochen davor befragt wurden.

Nur drei Cluster, die allerdings gleich mehr als 1.000 der 3.822 neu aufgearbeiteten Infektionsfälle umfassen, wurden dem Setting Freizeitaktivität und Haushalt" zugeordnet. Dazu zählen zum einen jene Transmissionsketten, die in Tiroler Wintersportorten wie Ischgl und St. Anton ihren Ausgang nahmen. Von dort wurden die Infektionen in viele andere Orte verteilt, wo sich dann vor allem Familienmitglieder ansteckten. 20 Cluster mit 370 Erkrankten ließen sich rein auf Freizeitaktivitäten wie die Mitgliedschaft in Chor- und Musikvereinen oder den Besuch von Fitnessstudios zurückführen.

Keine Schulen als Cluster

Kein einziger Cluster konnte dagegen Schulen – auch vor den Schulschließungen – zugeordnet werden. Überhaupt gebe es signifikant wenige betroffene Kinder, so Schmid, was sich auch mit so gut wie allen internationalen Untersuchungen deckt. Wenn, dann seien sie Teil von Haushaltsclustern, wobei allerdings in Familien kein einziges Mal ein Kind als Infektionsquelle vorgekommen sei.

Auch im Bereich des öffentlichen Verkehrs und in Geschäften seien keine Ansteckungen nachgewiesen worden. "Flüchtige Begegnungen" würden laut den Ages-Ermittlungen für eine Übertragung des Virus nicht ausreichen. Allerdings sind solche Ansteckungen auch schwer aufzuspüren. In insgesamt 35,5 Prozent der Fälle verbreitete sich die Erkrankung im Setting Senioren- oder Pflegeheim, betroffen waren Heimbewohner, Pflegepersonal und Folgeerkrankungen im Haushalt der Primärerkrankten.

Solche epidemiologischen Abklärungen können in den nächsten Wochen auch dazu beitragen, dass es keine zweite Welle an Infektionen gibt. Beim derzeit niedrigen Niveau an Neuerkrankungen habe man laut Schmid die Chance, schnell "Kleinhäufungen" und Hotspots zu identifizieren, die richtigen Maßnahmen zu setzen und die Ansteckungsketten abzuschneiden. (tasch, APA, 8.5.2020)