"Jene Unternehmen, denen Social Media oder Bewerbermanagementsysteme Fremdwörter waren, waren die Ersten, die plötzlich Interesse an Neuem hatten, da sie ansonsten den Anschluss verloren hätten", sagt Jubin Honarfar, Co-Gründer und CEO des Portals Whatchado.

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"Mir ist im Zuge der Corona-Krise und aufgrund der sicherlich noch Monate andauernden Kontaktbeschränkungen klar geworden, dass sich ein mobiler und digitaler Recruitingprozess immer weiter durchsetzen wird. Die sogenannte Candidate-Journey von Bewerbern lässt sich tatsächlich zu 90 Prozent digitalisieren – nur am Ende des Bewerbungsprozesses muss noch eine persönliche Begegnung stattfinden", sagt Anja Lüthy, Professorin für Dienstleistungsmanagement an der Technischen Hochschule Brandenburg. Sie freue sich darauf, Personaler davon zu überzeugen, dass sie problemlos von der Ausschreibung der Stelle bis zur Auswahl eines Kandidaten (fast) alles online aus ihrem Homeoffice heraus organisieren könnten. Einstellungen von Personal während des Lockdowns in der Corona-Krise seien ja auch kontaktlos möglich gewesen. Unternehmen und Bewerber hätten davon sogar profitiert, weil digitales Recruiting Zeit und Geld einsparen.

Anja Lüthy ist Professorin an der Technische Hochschule Brandenburg.
Lüthy

Lüthy wird noch deutlicher: "Nach dem Motto ,Survival of the fittest‘ werden nur diejenigen Unternehmen im Jahr 2030, wenn die Babyboomer in den Ruhestand gehen, genügend gute Nachwuchskräfte finden, die ihr Recruiting am digitalen Puls der Zeit orientieren. Bis 2035 wird es sicherlich problemlos möglich sein, Stellen via Spracheingabe bei Google zu finden, um sich direkt per Sprachnachricht zu bewerben. Die Betriebe, die dann immer noch langweilige Stellenanzeigen als PDF-Dateien auf schlecht gestalteten Karriere-Webseiten vorhalten, werden den ,War for Talents‘ sicherlich nicht gewinnen."

Vor kurzem noch Fremdwörter

Jubin Honarfar, Co-Gründer und CEO des Portals Whatchado.
HO

Digitales Recruiting, durchdigitalisierte Such- und Bewerbungsprozesse als Megatrend? "Jene Unternehmen, denen Social Media oder Bewerbermanagementsysteme Fremdwörter waren, waren die Ersten, die plötzlich Interesse an Neuem hatten, da sie ansonsten den Anschluss verloren hätten. Es gibt kein ,Ich warte mal, was passiert‘ mehr. Ich lerne meine Zielgruppe auf keiner Karrieremesse mehr kennen – ich muss sie digital suchen. Ich führe keine Face-to-Face-Gespräche, um zu sondieren – ich muss mich auf Video-Tools einlassen. Ich habe keine physischen Ablagen und Ausdrucke mehr für Vertragsgestaltung und Lohnrechnung – ich muss Systeme einführen und einsetzen, um eine Übersicht zu behalten. Das Onboarding läuft nicht im Unternehmen, sondern erstmals vermehrt von zu Hause. Kollegen starten zeitgleich im Homeoffice und müssen das gesamte Unternehmen digital kennenlernen", beschreibt Jubin Honarfar, Co-Gründer und CEO des Portals Whatchado, Gegenwart und nahe Zukunft. Er hat Personalmanager und -experten in dieser Woche in einer Webkonferenz versammelt, um Trends im Personalwesen zu destillieren.

Robindro Ullah, CEO, Datalab Trendence.
HO

Der CEO des Berliner Datalabs Trendence, Robindro Ullah, bremst ein wenig die "Machen wir schon"-Mentalität: "Ich gehe davon aus, dass wir im Human-Resources-Bereich vieles, was durch die Krise mit der Brechstange eingeführt wurde, nachschleifen müssen. Pandemie-Office ist nicht gleich Homeoffice ist nicht gleich Digitalisierung. Eines der großen Projekte in naher Zukunft wird sein, die freigesetzten Energien in die Digitalisierungsbahnen zu lenken." Aber: "Viele Dinge funktionieren plötzlich, wenn sie alternativlos sind."

Kein Zurück zur Vor-Corona-Zeit

Eva Planötscher-Stroh, Personalchefin, Vereinigte Bühnen Wien.
VBW

Was wird von den schnell eingeführten Instrumenten aus dem Krisenmodus bleiben? Die Personalchefin der Vereinigten Bühnen Wien, Eva Planötscher-Stroh: "Ich glaube, dass uns die webbasierten Meeting- und Kommunikationsformen erhalten bleiben, weil sie vieles vereinfachen. Auch hoffe ich, dass sich unser Verhalten bei Erkrankungen dauerhaft verändert. Bei Krankheitssymptomen zu Hause zu bleiben, regelmäßig Hände zu waschen, in den Ärmel zu niesen und auf Berührungen zu verzichten wäre schließlich auch bei Erkältungs- und Grippewellen durchaus hilfreich." Sie arbeitet aktuell auch an einer Mitarbeiter-App, die eine einheitliche interaktive Kommunikationsplattform für alle Mitarbeitenden werden soll.

Und wie wird das Büro in naher Zukunft aussehen? Jubin Honarfar ist sich sicher: "Es wird funktional-stylisch werden. Es wird ein Ort sein, an dem man sich kurz mal trifft zur Kollaboration bei wesentlichen strategischen Themen und des fokussierten Arbeitens außerhalb der eigenen vier Wände. Büros werden ähnlich wie Concept-Stores aufbereitet werden müssen. Sie werden weniger fixe Arbeitsplätze beinhalten und von der Fläche her kleiner werden."

Martin Maas, Manager Employer Branding, Helvetia.
HO

Martin Maas, Senior Manager Employer Branding bei der Helvetia Versicherung in der Schweiz, formuliert hier die Tendenz: Homeoffice wird zum New Normal gehören: "Wir befinden uns nach wie vor im Krisenmodus und müssen nun überlegen, welche Elemente wir daraus auch in den Normalmodus übernehmen. Klar ist jedoch, dass der Beweis erbracht wurde, dass Homeoffice auch in seiner extremsten Form, nämlich fünf Tage die Woche und über mehrere Monate hinweg, funktioniert. Wir werden dem daher auch zukünftig mehr Spielraum geben müssen." (Karin Bauer, 9. 5. 2020)