Der Germanist Hannes Schweiger kritisiert im Gastkommentar, dass Kinder in Deutschförderklassen vom Sitzenbleiben nicht ausgenommen sind. Die schon vorhandene Bildungsbenachteiligung werde verstärkt.

Die Corona-Krise ist auch eine Bildungskrise. Sie trifft jene besonders hart, die ohnehin von Bildungsbenachteiligung betroffen sind. Dazu gehören Kinder und Jugendliche, die in diesem Schuljahr eine Deutschförderklasse oder einen Deutschförderkurs besuchen. Seit Donnerstag wissen wir: Das Bildungsministerium sieht gerade bei dieser Gruppe keinen Anlass für Erleichterungen. Der Deutschtest "MIKA-D" muss trotz mehrmonatiger Ausnahmesituation vor Beginn der Sommerferien durchgeführt werden. Er entscheidet darüber, ob die Kinder und Jugendlichen auch im kommenden Schuljahr eine Deutschförderklasse oder eine Regelklasse besuchen werden. Dabei geht es um den Großteil ihrer Unterrichtszeit: um 15 Stunden in der Volksschule und um 20 Stunden in den Neuen Mittelschulen und in der Unterstufe der AHS.

Mit Abstand und Maske: Die Schulpläne des Ministeriums sorgen für Kritik.
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Dieser Test hat entscheidende Auswirkungen auf die Bildungslaufbahn. Wenn Kinder in diesem Semester eine Deutschförderklasse besuchen und ihn Ende Juni nur mit "Mangelhaft" bestehen, müssen sie das Schuljahr wiederholen und verlieren weiter wertvolle Zeit, die sie in der Regelklasse verbringen könnten und in der sie mit ihren Peers zusammen sein könnten, die gerade auch für den Deutscherwerb so wichtig sind. Noch Ende April hieß es, dass auf das Sitzenbleiben in der Volksschule verzichtet wird. Doch nun ist klar: Kinder in Deutschförderklassen betrifft diese Erleichterung nicht. Der mündliche Teil der Reifeprüfung wird ersatzlos gestrichen, Aufnahmetests für Universitäten werden zu Recht verschoben, aber weder verschoben noch ausgesetzt wird der Deutschtest für jene in unserem Bildungssystem, die besonders stark von Benachteiligung und Diskriminierung betroffen sind. Der Bildungsminister stellte Förderangebote in Form von Deutschlerncamps im Sommer in Aussicht. Nun bleibt der Deutschtest, aber von zusätzlicher Förderung ist keine Rede.

Der Deutschtest bedeutet nicht nur für die Kinder eine weitere Belastung, sondern auch für die Schulen einen enormen organisatorischen und zeitlichen Aufwand – und dies gerade in einer Zeit, in der sie ohnehin mit vielen unvorhergesehenen Herausforderungen konfrontiert sind.

Zu starr, zu wenig Spielraum

Das Modell der Deutschförderklassen wurde zu Recht immer wieder als zu starr kritisiert. Es gibt zu wenig schulautonomen Handlungsspielraum, der es den Schulen ermöglichen würde, Deutschförderung auf ihre standortspezifischen Gegebenheiten abzustimmen. Die Corona-Krise erfordert schnelles Handeln und große Flexibilität. Warum ist das Bildungsministerium so langsam und starr in seiner Vorgangsweise, wenn es um die besonders vulnerable Gruppe der Kinder und Jugendlichen in Deutschförderklassen geht?

Gerade für das Erlernen einer Sprache und konkret der Unterrichtssprache Deutsch, die für Bildungserfolg so entscheidend ist, brauchen Kinder und Jugendliche viel Kontakt zu dieser Sprache. Sprachenlernen lebt von der intensiven Interaktion – diese war trotz größter Bemühungen seitens der Lehrkräfte im Modus des Distance-Learning seit Mitte März nicht im notwendigen Ausmaß und in der erforderlichen Qualität möglich.

Wie soll ein Kind, das zwei Monate lang möglicherweise nur sehr wenig Deutsch gehört, gelesen und gesprochen hat, einen so wichtigen Test bestehen, wenn nur noch so wenig Zeit in diesem Schuljahr bleibt? Wenn die Kinder wieder in die Schulen kommen dürfen, müssen sie dort zunächst einmal ankommen, sie müssen sich wieder als soziales Gefüge zusammenfinden und die Chance haben, die vergangenen Wochen des Ausnahmezustands zu bearbeiten. Sie müssen sich wieder wohlfühlen können und sich wieder auf ihren – noch dazu durch die Sicherheitsmaßnahmen stark veränderten – Schulalltag einstellen können. Dafür brauchen sie Zeit. Wohlbefinden, Selbstwertgefühl und Motivation sind mitentscheidend für Lernerfolg, auch und gerade für das Erlernen der Unterrichtssprache Deutsch.

Klar ist, was Kinder und Jugendliche, die Deutsch als Zweitsprache lernen, brauchen, gerade in der Corona-Krise: möglichst kleine Gruppen, möglichst intensiven Kontakt zur deutschen Sprache, motivierenden Unterricht, in dem fachliches und sprachliches Lernen verbunden werden und ihre Erstsprachen und die Mehrsprachigkeit ihres Alltags berücksichtigt werden. Das ist ohnehin eine Mammutaufgabe, die angesichts der Rahmenbedingungen in Deutschförderklassen kaum erfüllt werden kann, noch weniger aber in Krisenzeiten, in denen zusätzliche Förderung und Unterstützung mehr denn je nötig sind. Klar ist nun auch, dass das Ministerium Maßnahmen setzt, die in Zeiten der Corona-Krise Bildungsbenachteiligung noch verstärken und die dazu führen, dass Kinder auf der Strecke bleiben. (Hannes Schweiger, 8.5.2020)