Zumindest optisch im Zentrum der Macht: Sebastian Kurz und Antonella Mei-Pochtler

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STEFAN STEINER: Er ist das Mastermind der Kurz’schen Politik und wird in Klaus Knittelfelders Buch über den türkisen Machtzirkel 171-mal genannt. War einst politischer Direktor der ÖVP, dann unter Kurz Sektionschef im Integrationsministerium, schließlich ÖVP-Generalsekretär. Mittlerweile ist er selbstständiger Berater.

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PHILIPP MADERTHANER: Wurde mit 22 Jahren Pressesprecher der niederösterreichischen ÖVP, mit 25 deren Marketing- und Kommunikationschef. Wechselte in die Bundespartei und 2011 in die Privatwirtschaft. Koordiniert nach wie vor Sebastian Kurz’ Kampagnen. Er gilt als Digitalstratege und Datengenie.

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BERNHARD BONELLI: Er sorgt als Kabinettschef dafür, dass Kurz’ Pläne umgesetzt werden. War einst bei der Boston Consulting Group. Bonelli gilt als Zahlenmensch, neoliberal und streng religiös. Er studierte auf der von Opus Dei betriebenen IESE Business School. Er fing in der Schülerunion an.

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MARKUS GSTÖTTNER: Wollte seit 2013 zum Team Kurz gehören. Arbeitete bei McKinsey, nützt die dort erworbenen Kontakte für Kurz, dessen stellvertretender Kabinettschef er ist. Gilt als wirtschaftspolitischer Vordenker im Kurz-Zirkel. Befreundet mit Bonelli und ähnlich religiös wie dieser.

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GERALD FLEISCHMANN: War als Pressesprecher von Kurz in Redaktionen berüchtigt. Mittlerweile leitet er die Stabsstelle Kommunikation im Kanzleramt – und ist gleichzeitig für Medienpolitik zuständig. Er lernte sein Handwerk bei der ÖVP Niederösterreich. Kann die Klaviatur der Medien wohl wie kein Zweiter in Österreich spielen.

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JOHANNES FRISCHMANN: 25 Wahlkämpfe hat er schon erlebt. Wurde 2017 als Sprecher geholt, kennt Kurz’ Freundin Susanne Thier aus gemeinsamer Arbeit. Bereitet etwa die täglichen Pressekonferenzen der Regierung zur Corona-Pandemie vor. Ums Ausland kümmert sich Etienne Berchtold.

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Verdammt gescheit, super vernetzt und eiskalt brutal, was Business betrifft: Solche Beschreibungen hört man immer wieder, wenn man ehemalige Wegbegleiter nach Antonella Mei-Pochtler fragt. In jeder Dimension übertrieben, sagt sie dazu. Die 60-jährige Italienerin war bislang einer der kleineren Satelliten, die in Sebastian Kurz’ Orbit kreisen – und in der Politszene höchstens Insidern wegen ihres im Kanzleramt angesiedelten Thinktanks ein Begriff.

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie hat sich das geändert: Gemeinsam mit dem einstigen Verteidigungsminister Thomas Starlinger moderiert Mei-Pochtler das "Future Operations Clearing Board": ein Expertengremium, in dem eine bunte Mischung aus Wissenschaftern überlegen soll, wie Österreich im Herbst 2021 nach überstandener Viruskrise ausschaut und aussehen soll. Sie ist also das Gesicht der Krisenbewältigungstruppe und gleichzeitig Verbindungsfrau zwischen Experten und Kanzleramt. Zumindest in der Theorie.

Am Rand der Demokratie

In ihrer neuen Rolle hat sie sich nun schon einige Feinde gemacht. Mei-Pochtler müsse "entfernt werden", wetterte diese Woche der freiheitliche Klubobmann Herbert Kickl. Kurz zuvor hatte sich die Beraterin durch ein Interview mit der Financial Times endgültig auf die öffentliche Bühne katapultiert. Die britische Wirtschaftszeitung zitierte Mei-Pochtler damit, dass Touristen eine verpflichtende Corona-App installieren müssten, wenn sie nach Österreich kämen – aber dass diese ohnehin "jeder" besitzen werde, weil man im Kampf gegen die Pandemie Tools "am Rande der Demokratie" einsetzen müsse.

Mehr hatte es nicht gebraucht. Sofort wurde wieder hitzig über eine türkise "Überwachungsapp" diskutiert – sehr zum Unmut insbesondere der grünen Regierungsmitglieder, die gebetsmühlenartig die Freiwilligkeit der App betont hatten. Bei den Grünen vermutete man sogar, Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz habe seine Beraterin vorgeschickt, um die Debatte neu anzustoßen. In der ÖVP wird das vehement abgestritten.

Sie selbst war nach Veröffentlichung des Interviews verärgert und zerknirscht, denn der Hintergrund der Aufregung sei viel banaler gewesen: nämlich schlicht ein Missverständnis zwischen Mei-Pochtler und dem Journalisten, der sie befragt hatte. Die Consulterin hatte im Interview eigentlich eine Debatte über eigenverantwortliches Handeln statt über Zwang anstoßen wollen.

An der Spitze der Consulter

An ihrem Englisch kann es nicht gelegen sein: Mei-Pochtler ist seit Jahrzehnten auf dem internationalen Parkett unterwegs und schaffte es ins Executive Committee der Beratungsfirma Boston Consulting (BCG). Dort bestimmen weniger als 20 Personen den Kurs der Firma, die jährlich 7,5 Milliarden Dollar umsetzt. In der Unternehmenschronik findet sich die erste Garnitur weltweiter Berater- und Politikprominenz: Roland Berger; Mitt Romney; Benjamin Netanjahu; Anders Fogh Rasmussen.

Boston Consulting prägte Mei-Pochtlers Leben. Sie stieg 1984 in seine Münchner Dependance ein, gründete 1997 die Wiener Niederlassung und wurde im Jahr darauf, im Alter von 40 Jahren, zur "Senior Partnerin".

Der Spiegel bezeichnete Mei-Pochtler einst als "Markenguru" und "Paradiesvogel unter den grauen Beratersperlingen". In ihrer Jugend wurde die Handballerin mit ihrer U18-Mannschaft zur italienischen Juniorsportlerin des Jahres gekürt, während ihres Studiums arbeitete sie als Model. Bis heute wird Mei-Pochtler ein Faible für Luxus nachgesagt. Sie trage immer eine Designerhandtasche mit sich herum und sei auch sonst stets geschmackvoll und teuer gekleidet.

Anekdoten zufolge war Mei-Pochtler, die mit vier Stunden Schlaf auskommen soll, auch im Wochenbett für ihre Klienten erreichbar. Die drei Töchter traten in ihre Fußstapfen, sind im Wissensmanagement und Produktdesign tätig, Ehemann Christian Pochtler ist erfolgreicher Unternehmer. Seine Firma stellt Druckgasbehälter für Schlagobers, Sodawasser und Feuerwehrlöscher her. Er fungiert auch als Chef der Industriellenvereinigung Wien.

Verleger Helmut Markwort, Antonella Mei-Pochtler und US-Präsident Bill Clinton
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Die Vernetzung beginnt in der eigenen Familie, sie ist aber nur der Nukleus des Mei-Pochtler’schen Universums. Die Beraterin hantiert mit mehreren Handys, für Hobbys oder das Lesen von Büchern bleibt ihr derzeit keine Zeit. Mei-Pochtler verfügt über Connections, von denen heimische Politiker und Manager nur träumen können. "In ihrer Liga spielt in Österreich keiner", sagt ein Branchenkenner. Fotos zeigen sie etwa mit Bill Clinton (Mei-Pochtler: "Das Foto hängt mir ewig an"), der einstige Spiegel-Chef Stefan Aust hätte mit ihr gern das Nachrichtenmagazin auf neue, digitalere Beine gestellt. Denn mit Medien hat Mei-Pochtler ebenfalls Erfahrung: Auch für den STANDARD schrieb sie einige Jahre eine Kolumne.

Europaweit in Aufsichtsräten

Derzeit sitzt sie in den Aufsichtsräten des Online-Möbelhändlers Westwing, der größten italienischen Versicherung Generali, des französischen Werbegiganten Publicis Group, der ivorischen Sipra und, seit neuestem, der ProSiebenSat1 Media SE. Letzteres sorgte durchaus für Kritik, da deren Tochterfirma mit Puls 4 und ATV die größten heimischen Privatfernsehsender betreibt.

Eine Kurz-Beraterin als Taktgeberin privater Fernsehkanäle, die Nachrichten- und Talkshows ausstrahlen? Wer hier Beeinflussung fürchte, kenne sich mit Konzernstrukturen nicht aus, heißt es in Mei-Pochtlers Umfeld. Ihr liege viel an Unabhängigkeit, deshalb sei sie derzeit auch in Österreich in keinem einzigen Aufsichtsrat vertreten – und das werde auch so bleiben, solange sie den Kanzler berät, sagte Mei-Pochtler selbst.

Früher war das anders: Von 2014 bis 2017 stand sie dem Aufsichtsrat des Strumpfherstellers Wolford vor – bevor sie plötzlich aus dem Gremium ausschied und mit einem Konsortium zur Kaufinteressentin avancierte. Das kam nicht überall gut an: Das Manager Magazin attestierte ihr damals, sich "nicht gerade als Unternehmerin empfohlen" zu haben.

Als sie bei Wolford umbauen wollte, war Mei-Pochtler schon lange "im Austausch" mit Sebastian Kurz. Ihre weitreichenden Kontakte nutzt Mei-Pochtler seit damals, um die Politik von Sebastian Kurz zumindest ein bisschen mitzugestalten. Kurz fragte sie 2017, ob sie nicht einen Thinktank im Bundeskanzleramt einrichten möchte: Think Austria.

Ban Ki-moon und Co

Wie aus parlamentarischen Anfragebeantwortungen hervorgeht, arbeitete ihr Thinktank in sieben schwammigen "Themenclustern", etwa "Neue Wettbewerbsfähigkeit", "Neue Wege" oder auch "Neue Identität". Die Denkfabrik soll Kurz und sein Kabinett "in der Arbeit unterstützen", Reports erstellen und beispielsweise "Inputs für Reden" liefern.

Für die inhaltliche Arbeit wurden Prominente aus allen möglichen Bereichen angeworben, etwa die Salzburger Festspiel-Präsidentin und Ex-ÖVP-Abgeordnete Helga Rabl-Stadler, Ex-Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon, die Direktorin des Jüdischen Museums Danielle Spera – die mit dem Nationalratsabgeordneten Martin Engelberg verheiratet ist – und die einstige Grün-Politikerin Monika Langthaler.

Außerhalb des Kanzleramts spürt man von ihrem Wirken jedoch wenig. "Sie hatte einmal einen Termin bei mir zwecks Vorstellung. Davor habe ich sie nie gesehen und auch nicht gekannt", sagt ein hochrangiges ehemaliges blaues Regierungsmitglied zum STANDARD. Einem grünen Mitglied der Nachfolgekoalition geht das ähnlich; Von einem Kontakt zwischen Think Austria oder dem Future Operations Clearing Board mit dem grünen Ministerium kann das Regierungsmitglied nicht berichten.

Auch Brigitte Bierlein, Kanzlerin zwischen den zwei Kurz-Regierungen, konnte den Mehrwert von Think Austria offenbar nicht erkennen: Sie löste den Thinktank nach Amtsantritt umgehend auf. Wie wichtig sind Mei-Pochtler und ihre Reports und Ideen also wirklich?

Der Zirkel der Macht

Zum engsten Kreis rund um den Kanzler zählt Mei-Pochtler nicht. Der Krone-Journalist und Autor Klaus Knittelfelder, ein intimer Kenner der türkisen Strukturen, widmet der Beraterin in seinem neuen Buch Inside Türkis über die Kanzlervertrauten kein eigenes Kapitel. Direkten, ständigen Kontakt mit Kurz hat vor allem eine Mannschaft, die Kurz seit fast einem Jahrzehnt gut kennt. Engster politischer Vertrauter ist Stefan Steiner, der 2011 von Kurz ins Integrationsstaatssekretariat geholt wurde und mittlerweile selbstständiger Berater ist. Einziger Kunde: Sebastian Kurz. Steiner hat mehrfach ausgeschlagen, Minister zu werden – seine Familie ist dennoch in der Regierung vertreten: Die Schwester von Steiners Ehefrau ist Verteidigungsministerin Klaudia Tanner.

Ein weiterer Fixpunkt im Kurz-Zirkel ist Gerald Fleischmann, der als junger Mann laut Knittelfelder bei einem Konzert als Sänger einer Punkrockband noch "sein Mikrofon auf offener Bühne in Brand setzte". Das war lang vor seiner Karriere in der ÖVP, die in Niederösterreich begann. Der damalige Bundesparteiobmann Michael Spindelegger bat ihn 2011, dem frisch zum Regierungsmitglied avancierten Sebastian Kurz bei dessen Medienarbeit zu helfen. Fleischmann stimmte widerwillig zu, seither ist er bei Kurz.

Was allen Kurz-Vertrauten, also auch den Pressesprechern Johannes Frischmann und Etienne Berchtold, seiner Büroleiterin Lisa Wieser, dem Social-Media-Werbeguru Philipp Maderthaner, ÖVP-Generalsekretär Axel Melchior oder der Social-Media-Verantwortlichen Kristina Rausch gemein ist: Der Kanzler kennt sie schon verdammt lange.

Beispielsweise Kabinettschef Bernhard Bonelli, mit dem er sich 2005 auf einer Autofahrt zum Forum Alpbach anfreundete. Bonelli war zuvor in der ÖVP-nahen Schülerunion aktiv, im Vorstand damals auch: Susanne Knasmüller und Christine Kowald. Sie heißen heute Susanne Raab und Christine Aschbacher und sind Integrations- und Arbeitsministerin.

Als Kurz 2011 in die Regierung kam, fehlte Bonelli im Team, weil er gerade einen Job angetreten hatte: bei der Boston Consulting Group. Seine Chefin dort: Mei-Pochtler. Kurz sollen die beiden aber unabhängig voneinander kennengelernt haben, heißt es.

Ebenfalls aus der Welt des Consultings stammt der jüngste Neuzugang in das Team Kurz: Markus Gstöttner. Der stellvertretende Kabinettschef arbeitete bei McKinsey, er soll laut Knittelfelder schon seit 2013 regelmäßig bei Kurz angeklopft haben. Erst 2017 holte der ihn dann ins Team.

Man sieht also: Wer ins engste Umfeld des Kanzlers vorstoßen will, braucht viel Geduld, Zeit und Engagement. Das könnte auch ein Grund dafür sein, dass die vielbeschäftigte Mei-Pochtler nicht im engen Zirkel der Macht zu finden ist. Sie kann nur circa die Hälfte ihrer Arbeitszeit für das Future Operations Clearing Board verwenden.

Expertenfrust

Neben Kurz hat mit ihr vor allem Gstöttner zu tun. Er ist das Verbindungsglied zwischen dem Kanzleramt und dem Future Operations Clearing Board.

Unter den dort versammelten Experten staute sich in den vergangenen Wochen aber zusehends Frustration auf, auch über Mei-Pochtler. "Sie geriert sich als Chefin, aber eigentlich weiß niemand, ob und wie unsere Einschätzungen jemals in der Politik ankommen", sagt ein Mitglied der Gruppe im Gespräch mit dem STANDARD. Um Transparenz zu schaffen, habe man sich nun darauf geeinigt, dass Empfehlungen dem Team rund um den Kanzler immer unter Namensnennung des Urhebers der Idee übermittelt werden sollen. "Ob es so weit überhaupt kommt? Keine Ahnung."

Die Entscheidungen in der Krise treffen jedenfalls die engsten Vertrauensleute rund um Kurz – sein Kabinettschef Bonelli und dessen Stellvertreter Gstöttner – und nicht die Wissenschafter.

Oberfläche und Tiefe

Dabei tritt das Expertengremium zweimal wöchentlich im Kanzleramt und für nicht Anwesende per Videokonferenz zusammen. "Mei-Pochtler lässt sich dann von uns briefen wie eine Chefin von ihren Untergebenen. Sie stellt Fragen aus dem Bereich des Infotainments und redet dabei in erster Linie selbst", erzählt ein unzufriedener Beteiligter. Produktiv gearbeitet könne kaum werden. "Sie verarbeitet den vielen Input sehr oberflächlich."

Aus dem Organisatorenumfeld heißt es dazu, dass es anfangs wohl Missverständnisse über die Ziele des Boards gab: Dieses diene nicht direkten Inputs, sondern dem Austausch. In die Tiefe gehe man außerdem in den vier Untergruppen des Boards.

Darüber hinaus vermutet ein Mitglied des Covid-Boards: "Sie hat mehr den politischen Kontext als eine evidenzbasierte Bewältigung der Krise im Sinn." So sei sie beispielsweise besonders interessiert an Zahlen für Wien im Vergleich zu anderen Bundesländern – damit man die Hauptstadt dann schlecht darstellen könne.

Die Opposition mutmaßt, dass ihr ehemaliger Arbeitgeber Boston Consulting, der das Board ehrenamtlich unterstützt, von der Initiative profitieren könnte.

Fakt ist aber auch, dass es ein derartiges Clearing Board noch nie gab – und dass die Idee dazu ursprünglich nicht von Mei-Pochtler, sondern vom einstigen Verteidigungsminister Thomas Starlinger stammt, der wieder als Adjutant des Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen arbeitet.

Ebenso ist Streit unter meinungsstarken Experten keine Besonderheit – auch in der Coronavirus-Taskforce des Gesundheitsministeriums soll es dem Vernehmen nach schon ruppig zugegangen sein. Ein prominenter, eigenen Angaben zufolge freiwilliger Abgang aus der Taskforce erfolgte beispielsweise vom Public-Health-Experten Martin Sprenger, der seither mit kritischen Interviews zur Regierungsstrategie auffiel.

Als Politikerin sieht sich Mei-Pochtler jedenfalls nicht. Ein Ministerinnenposten wäre auch unmöglich, da sie keine Staatsbürgerin ist. Warum nicht? "Das stand nie zur Debatte", sagt sie. Aber: "Ich liebe Österreich und die Österreicherinnen, vor allem meinen Mann und meine Töchter." (Fabian Schmid, Katharina Mittelstaedt, 7.5.2020)