Der Politik- und Medienberater Peter Plaikner analysiert im Gastkommentar die Situation der SPÖ auf Bundes- und Landesebene. Neben der Wien-Wahl im Herbst steht nächstes Jahr die Landtagswahl im für die SPÖ wichtigen Bundesland Oberösterreich an. Pamela Rendi-Wagner muss Positionen ausgeben, die nicht nur auf die Bundeshauptstadt fokussieren.

Geht SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner nach der Mitgliederbefragung nun gestärkt in die Zukunft?
Illustration: Felix Grütsch

Ausgerechnet Georg Dornauer. Die Einschätzung des Tiroler Parteichefs zu seiner Bundesvorsitzenden kommt gleich nach jener der Troika Michael Ludwig, Peter Kaiser und Hans Peter Doskozil. Allein die Medienlogik dieser Abfolge verweist auf zwei unterbelichtete Probleme der SPÖ. Das Offensichtliche ist ihr Mangel an jugendfrischer Dynamik in der ersten Reihe. Dornauer wirkt – ungeachtet seiner diversen Auffälligkeiten – moderner als die drei Landeshauptleute. Wie auch Pamela Rendi-Wagner. Aber sein brachialer Rustikalcharme adressiert ganz andere Zielgruppen als sie. Deshalb genießen er und der Steirer Max Lercher übermäßige Präsenz. Mit 37 und 33 Jahren sind sie rote Gegenpole zur regierenden Generation Türkis. Vor Julia Herr (27) hat es die SPÖ verabsäumt, fähige weibliche Antipoden wie Barbara Blaha (36) in Reserve zu behalten. Sowohl ihr Austritt als auch die Gründung der laut Eigendefinition progressiven Denkfabrik Momentum Institut sind neben persönlichen Aspekten deutliche Indizien für eine zu geringe Strategiefähigkeit der Partei.

Dieses Defizit hat Anton Pelinka an dieser Stelle anhand der Unentschlossenheit aufgezeigt, sich entweder an denen zu orientieren, die für ein offenes europäisches Österreich eintreten, oder an jenen, die es aus Abstiegsängsten gegen alles "Fremde" abschotten. Rendi-Wagner drückte sich in einem Gastkommentar zum 1. Mai ausgerechnet in der Presse erneut um die logische Antwort, die sie biografisch wie als Typus verkörpert und die am heutigen Europatag besonders angemessen erscheint. Ihr Plädoyer für den Sozialstaat wirkt lediglich erwartbar angesichts der Corona-Krise, in der nach FPÖ und Grünen auch die ÖVP plötzlich ursozialdemokratische Dogmen übernimmt. Dass die Internationale wie der Feminismus im Zweifelsfall immer schon hinter die gewerkschaftlich organisierten Interessen der männlichen Industriearbeiter zurücktreten musste, ist ebenso eine andere Sache wie das trotzdem zunehmend blaue Wahlverhalten dieser Hackler.

Blickpunkt Oberösterreich

Das Medienphänomen Dornauer steht einerseits für dieses inhaltliche Unentschieden, in dessen situativer Beliebigkeit die SPÖ auch nur Zweiter hinter der radikal pragmatischen Kurz-ÖVP werden kann. Er markiert mit seiner Darstellung der Provinz in Wien aber andererseits die Gefahr, zu einer Regionalpartei Südost oder gar bloß Ost abzustürzen. Bei der Nationalratswahl 2019 bekamen die Sozialdemokraten zwar aus Tirol fast so viele Stimmen wie aus dem Burgenland, doch das relativiert bloß das Gewicht von Doskozil. Die drei westlichsten Bundesländer zusammen plus das Burgenland lieferten weniger als allein Oberösterreich. Dort ist 2021 die nächste planmäßige Landtagswahl nach Wien.

Es gibt keine kurzfristige taktische Alternative zur vollen Konzentration auf Wien. Doch strategisch, also auf Dauer, ist die Perspektive Oberösterreich noch wichtiger. Gerade die Stärke der SPÖ in der Hauptstadt hat sie den Rest des Landes so vernachlässigen lassen, dass ihr staatstragender Charakter zu schwinden droht. Sie kam bei der Nationalratswahl 2019 in Tirol bloß auf 13 Prozent und war lediglich Vierte. In Vorarlberg schnitt sie anteilsmäßig zwar minimal besser ab, belegte aber gar nur Rang fünf. Es mag unerheblich sein, dass der dortige wie der Salzburger SP-Vorsitzende national so wenig bekannt sind wie die VP-Obmänner von Kärnten und des Burgenlands. Doch den drei roten Landeshauptleuten stehen sechs schwarze gegenüber, von denen nur noch einer – in der Steiermark – mit den Sozialdemokraten koaliert. In den Ländern löst Grün Rot ab, weil die traditionellen Milieus einer Arbeiterpartei sich auflösen. Sie waren im Westen ohnehin immer spärlich gesät.

Europäischer Landesvater

Zur Utopie Mehrheitsfähigkeit braucht die SPÖ vor allem die vier Bevölkerungsmillionäre Wien, Steiermark, Nieder- und ganz besonders Oberösterreich. Die schwarze Dominanz bei Landtagswahlen wurde hier lange durch rote Siege für den Nationalrat ausgeglichen. Erst Wolfgang Schüssel und dann Sebastian Kurz durchbrachen die Tradition. Parallel stürzte die SPÖ bei den Landtagswahlen von noch 38 Prozent im Jahr 2003 auf nur 18 Prozent 2015 ab, während die FPÖ mit 30 Prozent die Grünen als Juniorpartner der ÖVP in der Proporzregierung ablösen konnte. Das wirtschaftsstärkste und am meisten industrialisierte Bundesland ist der verlässlichste Testmarkt für nationale Politikentwicklungen. Die der Digitalisierung geschuldeten gesellschaftlichen Brüche sind nirgends deutlicher.

In Oberösterreich 2021 das Ruder herumzureißen und wenigstens Grün und Blau in die Schranken zu weisen ist für die Sozialdemokraten mindestens so wichtig wie ihre Bastion Wien. Sie brauchen mehr als ein urbanes Modell, um als Bundespartei aufzuerstehen. Oberösterreich ist der Schlüssel dazu. Dornauer und Lercher sind lediglich personelle Projektionsflächen für Mankos, weil Rendi-Wagner und ihr Geschäftsführer Christian Deutsch ausschließlich Wien verkörpern. Wie es inhaltlich in der Provinz funktionieren kann, zeigt am besten Peter Kaiser. Er verhehlt ausgerechnet in Kärnten nie seine Leidenschaft für Europa und genießt dennoch alle Zustimmung eines von ihm abgelehnten Begriffs: Landesvater. Die SPÖ braucht neben einer glaubwürdigen Internationale vor allem ein neues Programm als flächendeckende Nationale. Die Perspektive Wien plus ist dafür nicht genug. (Peter Plaikner, 10.5.2020)