Seit Monaten beklagt Europa Engpässe bei Antibiotika, die auf Produktionsstörungen in China zurückzuführen sind. Corona hat das Thema endgültig auf die politische Agenda gebracht. Europa ist ja nicht nur bei Pharmazeutika, sondern auch in vielen anderen Bereichen von Asien abhängig. Seit Schutzausrüstung mit Sonderflügen aus China nach Österreich gebracht wird, erschallt von allen politischen Seiten die Forderung, versorgungskritische Produktion wieder nach Europa zurückzuholen.

Antibiotika sind ein gutes Beispiel. Nach der Abwanderung vieler Betriebe nach Asien blieb in der EU nur ein großer Hersteller übrig. Der sitzt in Österreich, genauer gesagt in Tirol. In einer aufgelassenen Brauerei in Kundl fing ein französischer Offizier 1946 mit der Erzeugung des dringend benötigten Wirkstoffs an. Die für die Bierproduktion eingesetzten Kessel eigneten sich für die Fermentation des Zuckers bestens, mit deren Hilfe auch Penicillin gewonnen wird. Kurz darauf kam es mit der Entwicklung des ersten säurefesten Penicillins – Ospen – zur Tiroler Weltsensation.

Novartis hat in Kundl mehrere Standbeine. Das drohende Aus der Penicillin-Herstellung soll mit anderen Aufgaben kompensiert werden.
imago images/Roland Mühlanger

Die einstige Biochemie Kundl ist samt dem Nachbarstandort in Schaftenau längst im Besitz der Schweizer Sandoz, die mittlerweile zur ebenfalls eidgenössischen Novartis gehört. Trotz der diversen Eigentümerwechsel und des Trends zu Verlagerungen nach Asien blieb Tirol das Herz der Antibiotika-Herstellung am alten Kontinent.

Kundl könnte den ganzen europäischen Bedarf decken, gäbe es da nicht ein großes Fragezeichen. Die Zukunft ist unsicher. Nach STANDARD-Informationen wackelt die Penicillin-Produktion in Tirol. Novartis prüfe, die Herstellung wegen des enormen Preisdrucks zu beenden und den Wirkstoff künftig aus Asien zuzukaufen, heißt es in gut unterrichteten Kreisen. Das gelte jedoch nur für die Antibiotika-Herstellung, nicht für die ebenfalls in Kundl und in Schaftenau hergestellten Fertigprodukte und Biologika, die u. a. bei Krebs oder Rheuma zum Einsatz kommen. Die österreichweit fast 5000 Beschäftigten – der Großteil in Tirol – werde selbst beim Abzug der Antibiotika dank neuer Aufgaben nicht stark tangiert, ist zu hören.

Preisdruck

Doch so weit ist es noch nicht. Novartis-Österreich-Chef Michael Kocher will die Pläne weder bestätigen noch dementieren: "Es ist eine Tatsache, dass die kostendeckende Produktion von Penicillin extrem herausfordernd ist. Daher kaufen auch wir einige Wirkstoffe bereits aus China zu, und es ist nicht auszuschließen, dass dies in den kommenden Jahren noch weiter zunimmt." Kocher unterstreicht den Preisdruck: "Ein Kilogramm Penicillin kostet am Weltmarkt 20 Dollar, das ist weniger als für Kaugummi." Obwohl ein Abzug des Bereichs nicht verneint wird, hält der Manager fest, dass es "ein volles Commitment zu Tirol" gebe.

Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck dürfte die Signale hören.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Die Politik ist betreffend Kundl hellhörig geworden, in Österreich forciert Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck die Versorgung in Europa. "Es kann nicht sein, dass wir von China abhängig sind und dass wir zum Beispiel im Bereich Antibiotika und Penicillin darüber nachdenken, Produktionsstätten in Europa zu schließen", sagte sie bereits im Februar. Sie muss es wissen, nicht nur weil Schramböck aus Tirol stammt: Die Ministerin soll sich bereits in Gesprächen mit Novartis befinden, um eine Schließung des wichtigen Produktionsteils in Kundl zu verhindern.

Offiziell will das Ministerium die Aktivitäten hinter den Kulissen nicht kommentieren, doch laut STANDARD-Informationen bringt Wien einige Verbesserungen für den Schweizer Pharmariesen auf das Tapet. Dazu zählt die Einbindung der Arzneimittelherstellung in das EU-Rahmenprogramm IPCEI (Important Projects of Common European Interest), mit dem die Wettbewerbsfähigkeit wichtiger Branchen beflügelt werden soll. Batterien- und Halbleiterproduktion sind bereits Teil des Programms. Werden die IPCEI-Kriterien erfüllt, können umfangreiche staatliche Zuschüsse bewilligt werden.

Michael Kocher begrüßt derartige Initiativen: "Es muss auf europäischer Ebene diskutiert werden, wie man diese Produktionen in Europa halten beziehungsweise auch wieder zurückholen kann." (Andreas Schnauder, 9.5.2020)