Eines der vielen Aufreger-Zitate von Yair Netanjahu. Immer wieder bekommt er Applaus von Rechtsextremen.

Foto: afd yair

Wenn rechtsradikale Parteien Fotos von Juden veröffentlichen, tun sie das meist, um zu hetzen. Dass sie einen Juden als Poster-Boy verwenden, ist eher ungewöhnlich: Am 6. Mai, zwei Tage bevor sein Parteikollege Alexander Gauland den Sieg über Nazideutschland betrauerte, postete AfD-Politiker Joachim Kuhs auf Twitter ein Bild, das ein Portrait des 28-jährigen Sohns des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu zeigt. Darüber ein Zitat Yair Netanjahus: Die "globalistische EU" sei hoffentlich bald tot, heißt es darin. "Dann wird Europa wieder frei, demokratisch und christlich sein!"

Alle, die Netanjahu Junior nicht kennen, mag die undiplomatische Rhetorik erstaunen. In Israel hingegen hat man sich daran gewöhnt, und es würde eher verwundern, wenn sich der Endzwanziger mit Hauptberuf Sohn plötzlich einer staatstragenden, respektvollen Ausdrucksweise befleißigen würde.

Kein Tabu

Yair Netanjahu ist auf Twitter im Dauerfeuermodus. Es braucht nur die leiseste Kritik an seinem Vater, schon ist er bereit zur Gegenwehr. Er kennt dabei kein Tabu. Als sich im April Tausende Menschen in Tel Aviv trafen, um unter Einhaltung der Social Distancing-Regeln gegen Netanjahu senior zu demonstrieren, spekulierte er auf Twitter, dass die Demos zu weiteren Covid-19-Infektionen führen werden – und wünschte sich, es mögen Linke sein, die daran sterben.

Als der israelische Staatspräsident zur Einheit aller Bürger aufrief und die Ausgrenzung der israelischen Araber verurteilte, stellte der Junior den Präsidenten ins Terroristeneck. Das kostete ihn den einzigen zivilen Job, den er bisher hatte – ausgerechnet als Social Media-Manager.

Palästinenser als "Monster"

Als er im Dezember 2018 auf Facebook in eine Tirade gegen Palästinenser ausbrach – er verhetzte sie als "Monster", die am besten allesamt das Land verlassen sollten – wurde sein Account vorübergehend geblockt. Das bremste ihn nicht, im Gegenteil, auf Twitter schimpfte er munter weiter, bezeichnete Facebook als "Gedankenpolizei" mit Allianzen zu Linksextremen und islamistischen Terrornetzwerken.

Überall wittert er Verschwörungen gegen seinen Vater: im linken Lager, im Ausland, auch in der eigenen Partei. Wer dahinter nur Paranoia vermutet, irrt. Auf den ersten Blick mag der junge Netanjahu wie ein Schulhofrabauke mit Bluthochdruck wirken, der nur darauf wartet, dass einer um die Ecke biegt, den er verprügeln kann. Auf den zweiten Blick erfüllt er für seinen Vater eine wichtige Funktion.

Nebelgranaten

Netanjahu Junior wirft Nebelgranaten, auf die sich Israels linke Twitteria stürzt, um Menschenrechte zu verteidigen und Hetze zu verurteilen. Derweil kann Netanjahu Senior unbemerkt die Fäden ziehen. Oder, wie ein Kommentator in der Tageszeitung "Haaretz" es bezeichnete: "Sein größtes Ziel ist die Linken abzulenken, damit sein Vater ungestört das Land klauen kann."

Yair Netanjahus Karriere als AfD-Posterboy ist nicht die erste Allianz mit der internationalen extremen Rechten. Während sich Europas jüdische Gemeinden zunehmend unsicher und unter anderem von rechtsextremen Netzwerken bedroht fühlen, klopft Netanjahu Junior den Speerspitzen ebendieser Netzwerke die Schultern. Vor der letzten Europawahl wünschte er Hardcore-Figuren wie Matteo Salvini und Geert Wilders viel Erfolg für den Urnengang.

Applaus von Neonazis

Er schreckt selbst vor antisemitischer Propaganda nicht zurück, wenn er das Gefühl hat, dass es die guten Beziehungen mit der europäischen Rechten zuträglich ist. Im Jänner 2017 postete er ein antisemitisches Bild, das Investor George Soros, die Illuminati und ein Reptil als geheime Strippenzieher der globalen und israelischen Politik darstellt. Es dauerte nicht lang, bis er für das Posting Applaus von einschlägigen Kanälen bekam: Der frühere Ku-Klux-Klan-Anführer David Duke freute sich über den prominenten Support. Und die US-Neonazi-Seite "The Daily Stormer" erklärte sich gar zur "The World’s #1 Yair Netanyahu fansite".

Netanjahu Junior dementierte bisher, an einer politischen Karriere interessiert zu sein. Auf offiziellen Staatsanlässen und Auslandsreisen zeigt sich sein Vater aber immer wieder mit dem Sohn. Yair Netanjahu darf sich rhetorisch austoben, wird dafür zwar gescholten, aber das Wichtigste ist: er erhält Aufmerksamkeit und er erzeugt sie – zugunsten der gemeinsamen Agenda von Vater und Sohn. Immer wieder kommt es vor, dass der Premierminister, nach heftiger Kritik an einem der vielen Twitter-Ausritte seines Sprößlings, Stunden später eine halbherzige Distanzierung veröffentlicht. Fast immer ist es nur der Ton, den er verurteilt. Die dahinterliegende Botschaft trägt er mit – und den PR-Turbo, den sein Sohn für ihn angeworfen hat, nimmt er dankbar an.

Freund-Feind-Schema

Die politische Agenda, die beide bewegt, ist weniger von Werthaltungen geprägt als von einem Freund-Feind-Lagerdenken. Linke, Künstler, NGOs, Presse, Justiz und unabhängige Wissenschaft: Sie alle werden verdächtigt, einen Putsch gegen Netanjahu zu planen. Immer wieder spricht auch Benjamin Netanjahu von einem ominösen "tiefen Staat", in dessen Zentrum die unabhängige Justiz steht. Dass er selbst sich gerade in einem Strafprozess wegen schwerer Korruption verantworten muss, mag damit in Zusammenhang stehen. Netanjahu bestreitet alle Vorwürfe.

Der jüngsten Zuspruch von AfD-Seite sorgte auch in Israel für Schlagzeilen. Yair Netanjahu ging nicht auf Distanz. Im Gegenteil: Er teilte das AfD-Posting mit seinen 76.000 Twitter-Fans. Im Kampf gegen die vermeintlichen linken Verschwörer ist ihm jede Unterstützung recht. (Maria Sterkl aus Tel Aviv, 9.5.2020)