Es dauerte vermutlich nicht lange nachdem sich der anatomisch moderne Mensch im südlichen Afrika entwickelt hatte, dass er sich aufmachte, den Rest der Erde zu erobern. Bisherige Funde lassen die erste Auswanderungswelle des Homo sapiens auf einen Zeitpunkt vor rund 60.000 Jahre datieren. Wann diese nach dem Fundort Abri de Cro-Magnon in Frankreich bezeichneten Menschen erstmals europäischen Boden betreten haben, darüber gaben bisher nur wenige Funde Auskunft.

Die bis vor kurzem ältesten Schädelreste eines modernen Menschen in Europa stammen aus der rumänischen Höhle Peștera cu Oase und wurden auf 40.500 Jahre datiert. Zwei Milchzähne aus der Grotta del Cavallo in Apulien sollen sogar rund 43.000 Jahre alt sein. Nun berichten zwei Studien in den Fachjournalen "Nature" und "Nature Ecology and Evolution" über neue Homo-sapiens-Fossilien aus der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien, die Hinweise auf die erste Verbreitung des modernen Menschen in den mittleren Breiten Eurasiens lieferten und wahrscheinlich weiter zurück liegt als bisher angenommen wurde.

Die Wissenschafter hoben in der Bacho-Kiro-Höhle zahlreiche paläontologische Schätze.
Foto: Tsenka Tsanova, MPI-EVA

Reichhaltige Fundschicht

Ein internationales Forschungsteam um Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI EVA) in Leipzig machte in der Bacho-Kiro-Höhle dort weiter, wo Ausgrabungen im Jahr 2015 unterbrochen worden waren. Die spektakulärsten Funde, die dabei ans Licht kamen, stammen aus einer dunklen Erdschicht nahe der Basis der Stätte. Hier entdeckten die Wissenschafter Tausende von Tierknochen, Stein- und Knochenwerkzeugen, Perlen und Anhängern sowie die Überreste von fünf menschlichen Individuen.

Mit Ausnahme eines Zahns waren die menschlichen Fossilien zu zerfallen, um sie aufgrund ihrer äußeren Form einer konkreten Spezies zuordnen zu können. Für die Artenbestimmung griffen die Forscher daher auf die Analyse von Proteinsequenzen aus Proben zurück, die sie den Gebeinen entnehmen konnten. "Die meisten Knochen aus dem Pleistozän sind so fragmentiert, dass man zunächst nicht sagen kann, ob es sich um tierische oder menschliche Gebeine handelt. Die Proteine unterscheiden sich jedoch von Art zu Art geringfügig in ihrer Aminosäuresequenz. Mithilfe der Proteinmassenspektrometrie können wir diese Knochen daher schnell identifizieren", sagt Frido Welker vom MPI EVA.

Womöglich schon vor 47.000 Jahren

Um das Alter dieser Fossilien zu ermitteln, verwendete die Wissenschafter ein Beschleuniger-Massenspektrometer, das eine Datierung mit hoher Präzision ermöglicht. "Die Mehrzahl der Tierknochen weisen menschliche Bearbeitungsspuren auf, die uns zusammen mit den Massenspektrometrie-Daten ein klares Bild über den Zeitpunkt liefern, wann Homo sapiens diese Höhle erstmals bewohnt hat", sagt Helen Fewlass vom MPI EVA, Koautorin einer der beiden Studien. "Unseren Messungen zufolge dürfte das spätesten vor 45.820 bis 43.650 Jahren geschehen sein, möglicherweise sogar bereits vor 46.940 Jahren."

Die Ausgrabungen in der IUP-Schicht I in der Bacho-Kiro-Höhle brachten Überreste der frühesten modernen Menschen Europas ans Licht.
Foto: Tsenka Tsanova, MPI-EVA

Dass es sich bei den menschlichen Überresten tatsächlich um moderne Menschen handelte, erkannten die Wissenschafter an der DNA, die sie aus den fragmentierten fossilen Knochen sequenzierten. "Angesichts des außergewöhnlich guten Konservierungszustandes der DNA im Zahn und in den Knochenfragmenten konnten wir die gewonnenen mitochondrialen DNA-Sequenzen aus allen sieben Proben modernen Menschen zuschreiben", erklärt Mateja Hajdinjak vom MPI EVA. Die Ergebnisse zeigen damit, dass Homo sapiens vor spätestens 45.000 Jahre, wahrscheinlich sogar um rund 2.000 Jahre früher, nach Europa kam und dort auf Neandertaler traf.

Knochenwerkzeuge und Schmuckstücke

Weitere Funde zeigten, dass die Menschen hochwertige Feuersteine aus Fundstellen herbei schafften, die bis zu 180 Kilometer von der Höhle entfernt lagen. Diese verarbeiteten sie zu exzellenten Werkzeugen wie etwa spitzen Klingen, die sie vermutlich für die Jagd nach jenen Tieren einsetzten, deren Überreste die Forscher in der Höhle freilegten. "Die tierischen Fossilien weisen auf eine Mischung aus an kalte und warme Klimata angepasste Arten hin, wobei Bisons und Rotwild am häufigsten vorkommen", sagt der Paläontologe Rosen Spasov von der Neuen Bulgarischen Universität.

Der bemerkenswerteste Aspekt dieser Funde sei die umfangreiche Sammlung von Knochenwerkzeugen und persönlichen Schmuckstücken, so die Forscher. So wurden etwa Höhlenbärenzähne zu Anhängern verarbeitet, von denen einige dem Schmuck, der später von Neandertalern in Westeuropa hergestellt wurde, auffallend glich.

Hochwertige Knochen- und Steinwerkzeuge aus der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien.
Foto: Tsenka Tsanova, MPI-EVA

Homo sapiens ersetzt Neandertaler

Zusammengenommen dokumentieren die Sedimente in der Bacho-Kiro-Höhle die Zeitspanne in Europa, in der die Neandertaler des Mittelpaläolithikums durch den Homo sapiens des Jungpaläolithikums abgelöst wurden, und die ersten Homo sapiens-Assemblagen sind das, was Archäologen als das Initial Upper Paleolithic oder IUP bezeichnen. "Bis jetzt wurde das Aurignacien als Beginn des Jungpaläolithikums in Europa angesehen, aber das IUP der Bacho-Kiro-Höhle fügt sich anderen Stätten in Westeurasien hinzu, an denen es eine noch ältere Präsenz des Homo sapiens gibt", bemerkt Nikolay Sirakov vom Nationalen Institut für Archäologie mit Museum an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften.

"Das IUP in der Bacho-Kiro-Höhle ist das früheste bekannte Jungpaläolithikum in Europa. Es steht für eine neue Art der Herstellung von Steinwerkzeugen und neue Verhaltensweisen, einschließlich der Herstellung von persönlichen Schmuckgegenständen, die sich von dem unterscheiden, was wir von Neandertalern kennen", sagt Tsenka Tsanova, Forscherin in der Abteilung für Humanevolution am MPI-EVA. "Das IUP hat seinen Ursprung wahrscheinlich in Südwestasien und findet sich bald darauf von der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien bis hin zu Stätten in der Mongolei, da sich der Homo sapiens rasch über Eurasien ausbreitete, wo er auf bestehende archaische Populationen von Neandertalern und Denisovanern traf, sie beeinflusste und schließlich ersetzte." (tberg, red, 12.5.2020)