Natürliche Selektion, Selbstorganisation und Maximierung der Entropie: Aus diesen evolutionären Grundsätzen lässt sich die globale Vegetationsdynamik besser erfassen als durch eine Kombination vieler Details.

Foto: APA/PHILIPPE LOPEZ

Was mit der Pflanzenwelt im Klimawandel passiert, ist schwer vorherzusagen. Dabei sollte man sich nicht in Detailrechnungen verstricken, sondern mit drei Evolutions-Grundsätzen ihre optimale Anpassung an die veränderten Umstände ermitteln: Natürliche Selektion, Selbstorganisation und Maximierung der Entropie (physikalischen Unordnung), empfiehlt ein internationales Forscherteam im Fachmagazin "Nature Plants".

Bei den Pflanzen gibt es Myriaden komplexer Zusammenhänge, wie verschachtelte chemische Prozesse und Signale, erklärt Studien-Erstautor Oskar Franklin vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien. Es sei unmöglich, all dies zu verstehen. Wo es gelingt, würden sich bei den Messungen und detaillierten Modellen unzählige kleine Fehler ansammeln, die sich im Gesamtbild zu großer Unschärfe summieren.

Optimale Strategien

"Besser ist es, man geht einfach davon aus, dass die Pflanzen die Evolution nur überlebt haben, weil sie solche Sachen auf optimale Weise erledigen", so Franklin: Man betrachte nur das Resultat, und nehme schlichtweg an, dass es nach den Grundsätzen optimiert ist, die alle Lebewesen auf der Erde formten – eben natürliche Selektion, Selbstorganisation und Maximierung der Entropie.

Die natürliche Selektion sorge zum Beispiel dafür, dass die Pflanzen die vorhandenen Grundelemente Kohlenstoff und Stickstoff optimal verwerten. Wenn sie durch den vom Menschen verursachten CO2-Ausstoß vermehrt Kohlenstoff aus der Luft bekommen, könne man annehmen, dass sie ihn vermehrt in Wurzelwachstum investieren, damit sie auch an mehr Stickstoff gelangen, und das Gleichgewicht wieder stimmt. Das Gesamtbild zu betrachten heiße aber nicht, dass Faktenwissen obsolet sei, sagt Franklin: "Man muss dazu auch wissen, wie viel davon überhaupt verfügbar ist, und wie viel es die Pflanzen kostet, Wurzeln zu bilden".

Zufällige Zustände

Mithilfe der Selbstorganisation bilden zum Beispiel die Bäume der Tropenwälder ein abgeschlossenes Blätterdach. Bei Modellen mit Detailrechnungen und -messungen würde man oft Lücken darin kreieren, die man in der Natur nie sieht, schreiben die Wissenschafter. Bei Optimierungs-Modellen käme dies nicht vor.

Anhand der Maximierung der Entropie könne man wiederum die Wahrscheinlichkeit verschiedener Zustände ausrechnen. Damit bekomme man vom Zufall getriebene (stochastische) Prozesse besser in den Griff – und könne etwa bessere Vorhersagen über pflanzliche Reaktionen auf den Klimawandel machen. Bei herkömmlichen Vegetationsdynamik-Modellen müssen alle Zufallsmöglichkeiten gleichzeitig berücksichtigt werden, bei Optimierungs-Modellen zähle hingegen nur das Ziel, nicht der Weg dorthin. (red, APA, 19.5.2020)