Küssen konnte bereits vor Covid-19 eine Schreckensangelegenheit sein, etwa in "Klein Zaches", Volkstheater.

APA / Herbert Neubauer

Sechs der insgesamt acht Vertreter in der österreichischen IntendantInnengruppe: Stephanie Gräve, Hermann Schneider, Johannes Reitmeier, Iris Laufenberg, Marie Rötzer, Carl Philip von Maldeghem (v. li.).

Anna-Maria Löffelberger

Marie Rötzer, Intendantin am Landestheater Niederösterreich und Sprecherin der IntendantInnengruppe.

Alexi Pelekanos

Der Theaterbetrieb soll wiederaufgenommen werden. Das fordern in einem aktuellen offenen Brief die österreichischen Sommerfestivals und die Landestheater. Die Interessenvereinigung der österreichischen Landestheater, eine aus allen acht Direktoren bestehende IntendantInnengruppe, hat einen Appell an die Politik gerichtet, der eine schrittweise Öffnung für den Betrieb hinter der Bühne sowie für Vorstellungen ab August fordert. Wie soll das gehen? Marie Rötzer, Intendantin in St. Pölten und Sprecherin der Gruppe, gibt einen Einblick.

STANDARD: Die Verordnungen der Regierung betreffen alle Theater des Landes – warum gehen die Bundesländer alleine vor?

Rötzer: Weil die Landestheater andere Aufgaben und Bedürfnisse haben als die Wiener Bühnen oder freie Gruppen. Es sind meist Dreispartenhäuser, die neben Sprechtheater auch Tanz- und Opernproduktionen stemmen müssen. Zudem ist die Ensemblesituation ganz individuell. Manche haben kein eigenes Solistenensemble, wie etwa das Stadttheater Klagenfurt, sie arbeiten vermehrt mit Gästen, andere haben ein großes festes Ensemble. Diese völlig unterschiedlichen Strukturen bedeuten andere Verträge und erfordern andere Lösungen.

STANDARD: In Ihrem offenen Brief schreiben Sie von "belastbaren Regeln", die Sie alle zum Produzieren benötigen. Was meinen Sie damit?

Rötzer: Es geht darum, mit der Politik übereinstimmende Voraussetzungen für die Wiederaufnahme der Arbeit zu schaffen. Die Ein-Meter-Abstandsregel ist sicher in einigen Bereichen umsetzbar, aber zum Beispiel für größere Chöre auf der Bühne oder für die MusikerInnen im Orchestergraben nicht ohne weiteres machbar. Hier fordern wir differenzierte Lösungen, um die Probenarbeit aufnehmen zu können, analog etwa zu Referenzbereichen wie beim Sport. Es geht jetzt um ein klares Bekenntnis zu Kunst und Kultur seitens der Politik. Unsere Vorschläge liegen vor. Für die Eröffnungspremieren im Herbst muss die Probenarbeit jetzt beginnen, deshalb brauchen wir die Richtlinien schnellstmöglich.

STANDARD: Welche gelockerten Maßnahmen wären das?

Rötzer: Die Gesundheit der MitarbeiterInnen und des Publikums steht für uns an erster Stelle. Aber man kann untersuchen, in welchen Bereichen im Theater, in den Werkstätten, in den Probenräumen und im Zuschauerraum, Sicherheitsvorkehrungen tatsächlich nötig sind. Dort, wo es möglich ist, etwa in den Büroräumen, schlagen wir Trennwände vor oder Plastikschutz bei den MaskenbildnerInnen, das wäre dann wie bei Friseurbetrieben zu werten. Aber welche Maßnahmen im Detail ergriffen werden müssen, muss jedes Haus diskutieren, am besten in Abstimmung mit dem Betriebsarzt und der Behörde.

STANDARD: Und das Publikum? Soll es rund um einen Zuschauer freie Sitzplätze geben müssen?

Rötzer: In Nordrhein-Westfalen öffnen die Theater am 30. Mai unter der 1,5-Meter-Distanzvorgabe. Da beobachten wir noch, wie sich das dort entwickelt. In Berlin wird daran gedacht, nur die großen Säle zu öffnen. Es gibt Ideen zur Sitzplatzvergabe im Rautensystem bis hin zu abmontierten Stuhlreihen. Da bleibt aber die Frage, inwieweit die ökonomischen Ausfälle kompensiert werden können.

STANDARD: Und wie soll die Arbeit auf der Bühne ablaufen?

Rötzer: Hier geht es um künstlerische Fragestellungen. Am Theater hat der Körper eine zentrale Rolle. Ich könnte mir vorstellen, dass RegisseurInnen Einschränkungen als kreative Herausforderung nehmen und daraus neue ästhetische Formen entstehen. Das Theater als soziale Kunstform wird auf die Welt draußen reagieren müssen und kann nicht so tun, als wäre alles gleich geblieben.

STANDARD: Wird es keinen Normalspielplan geben?

Rötzer: Theater sind gesellschaftliche Resonanzräume, in denen die Verwerfungen der Welt abgebildet und diskutiert werden. Das ist der Ursprung des Theaters, schon in den antiken Stücken. Insofern bin ich davon überzeugt, dass die Aspekte der Corona-Krise auch auf den Bühnen verhandelt werden müssen. Durch die Pandemie sind viele Themen wieder sichtbarer geworden, etwa soziale Ungerechtigkeit, häusliche Gewalt, die Risiken von Selbstständigen. Auch die Übermacht der sozialen Medien, darüber müssen wir dringend diskutieren.

STANDARD: Wie hat die Politik auf den Maßnahmenkatalog reagiert?

Rötzer: Sehr positiv, es gab bereits Vorgespräche. (Margarete Affenzeller, 12.5.2020)