Indische Wanderarbeiter, die in Kerala gestrandet waren, konnten mit Sonderzügen Richtung Heimat aufbrechen. Der Bundesstaat stellte in den letzten Wochen die Versorgung für 300.000 von ihnen bereit.

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Als die ersten Symptome einsetzten, war sie erst einige Tage im Land. Eine 20-jährige Austauschstudentin stellte Ende Jänner nach ihrer Rückkehr aus Wuhan Husten und Fieber fest. Die Medizinstudentin begab sich in Selbstisolation und ließ sich untersuchen. Wenige Tage später wurde sie Indiens "Patient Zero". Auch die folgenden zwei bestätigten Infektionsfälle waren Studenten, die aus Wuhan in ihre Heimat Kerala evakuiert worden waren. Der Bundesstaat im Süden Indiens gilt als mobil und relativ wohlhabend; ein Großteil der Einnahmen kommt vom Tourismus. Dass genau dort die ersten Infektionen auftauchten, kam also nicht von ungefähr. Innerhalb der nächsten Wochen stieg die Zahl auf über hundert, im März waren das noch mehr als ein Fünftel aller bestätigten Fälle in Indien.

Doch zwei Monate später sieht die Welt in Kerala ganz anders aus: Während Indien am Wochenende den bisher höchsten Anstieg innerhalb von 24 Stunden und gesamt über 67.000 Infektionen vermeldete, steht die Zahl der Infektionen in Kerala mit Stand Montag bei 512. Davon gelten 489 als genesen, gerade einmal drei Menschen sind an der Krankheit verstorben. Das ist die niedrigste Todesrate im ganzen Land. Der Bundesstaat Kerala hat das geschafft, wofür ihn andere beneiden: die Corona-Kurve abzuflachen.

Kommunistische Regierung

Kerala gilt als Musterschüler auf dem indischen Subkontinent – und als Kuriosum. Denn seit den 1950ern sitzen dort kommunistische Parteien fest im Sattel, immer wieder bilden sie auch die Regierung des Bundesstaates. Aktuell steht Chief Minister Pinarayi Vijaya von der Communist Party of India (Marxist) (CPM) der Lokalregierung vor und kann viele indische "bests" verwalten: höchste Alphabetisierungsrate, niedrigste Säuglingssterblichkeitsrate, auf 1000 Einwohner kommen 2,9 Spitalsbetten, bundesweit sind es bloß 0,5.

Vor allem was das Gesundheitswesen betrifft, reicht die Vorreiterrolle weit in die koloniale Vergangenheit zurück. Schon im 19. Jahrhundert ließ sich die Maharadscha-Familie impfen. Seit der Unabhängigkeit setzt der Bundesstaat auf ein starkes Gemeinwesen in Sachen Bildung und Gesundheit. Vor allem in den vergangenen Jahren wurde der öffentliche Gesundheitssektor nach einigen Jahren der Privatisierung wieder gestärkt.

Ausschlaggebend für den Erfolg gegen Corona in Kerala ist aber vor allem der Fakt, dass der Bundesstaat erst vor zwei Jahren ein ähnliches Szenario lösen musste. 2018 bekämpfte die gleiche Regierung, die jetzt an den Hebeln sitzt, erfolgreich Nipah: ein von Fledermäusen auf den Menschen übertragenes Virus.

Hunderte Covid-19-Zentren

An vorderster Front stand schon vor zwei Jahren Gesundheitsministerin K. K. Shailaja. Nun wird sie medial als "Corona-Slayer" gefeiert. Bereits eine Woche bevor "Patient Zero" bestätigt war, hatte sie ein Rapid-Response-Team eingerichtet. Während Mitte Jänner gerade einmal der Lockdown in Wuhan begonnen hatte, machte sich in Kerala ein Stab an Bürokraten und medizinischem Personal an die Arbeit: Über 600 lokale Covid-19-Zentren wurden aufgebaut, Beamte folgten der Devise: Übertragungsketten nachspüren. Eine funktionierende Kommunikation bis an die Basis hielt das Personal auf gleichem Stand. Medizinisches Personal wurde breit geschult, auf seinen Schutz ein Fokus gelegt. Risikogruppen mussten in Quarantäne.

Das aggressive Vorgehen zeigte auch rasch Erfolge. Nach den ersten Fällen von Ende Jänner war erst einmal Ruhe. Erst Ende Februar kam es zu einer zweiten Ansteckungswelle, nachdem eine aus Italien zurückgekehrte Familie am Flughafen übersehen worden war. Durch die eiserne Lockdown-Politik bekam der Bundesstaat aber auch diese in den Griff. Unter dem Schlagwort "Break the Chain" wurde bis auf unterste lokale Ebene gegen das Virus kampagnisiert. Callcenter wurden eingerichtet, um Menschen nachzutelefonieren, ob sie ihre Zwangsquarantäne einhielten – und zwar täglich. "Die Polizei, die Steuerbehörden und die Dorfräte waren allzeit bereit zu handeln", sagte ein Bürokrat gegenüber "MIT Technology Review".

So ließ auch Kritik an den Maßnahmen nicht lange auf sich warten. Ging die kommunistische Regierung zu weit? Ängste vor einem Überwachungsstaat wuchsen. Die Fallzahlen sprechen aber für sich: Bis vergangene Woche konnte Chief Minister Vijaya fast täglich "keine Neuansteckungen" vermelden. Erst seit letzter Woche kam es zu einigen neuen Fällen. Das Land hat nämlich begonnen, Wanderarbeiter von der arabischen Halbinsel zurückzufliegen – in einer der größten Rückholaktionen der Welt. Wer am Flughafen Symptome zeigt, wird nun getestet. Wer positiv ist, muss 14 Tage in Quarantäne. Für Binnenwanderarbeiter hatte Kerala bereits zuvor fast 20.000 Camps errichtet. (Anna Sawerthal, 12.5.2020)