Die Berichterstattung über das online abgehaltene Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union und der sechs Staaten des sogenannten westlichen Balkans (Serbien, Bosnien-Herzegowina, Albanien, Montenegro, Kosovo und Nordazedonien) beschäftigte sich in erster Linie mit dem zugesagten 3,3-Milliarden-Euro-EU-Hilfspaket für diese von der Corona-Krise betroffenen Balkanstaaten. Zu Recht hob die Schlusserklärung hervor, dass "diese Unterstützung weit über das hinausgeht, was andere Partner zur Verfügung gestellt haben. Das verdient öffentliche Anerkennung."

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Der serbische Präsident Aleksandar Vucic.
Foto: REUTERS/Marko Djurica

Diese protokollarisch eher ungewöhnlichen Anmerkungen dürften vor allem auf Serbien und wohl auch auf die Republika Srpska (innerhalb der bosnischen Föderation) gemünzt sein. Die Machthaber in beiden Ländern, der serbische Präsident Aleksandar Vucic und der bosnische Serbenführer Milorad Dodik sind lautstarke Propagandisten für die Hilfe des chinesischen Präsidenten Xi Jinping, den Vucic einen "geliebten Bruder" nennt. Für beide serbischen Politiker gilt der russische Präsident Wladimir Putin als Idol. Der starke Mann Serbiens nimmt das Geld aus Brüssel gerne an, zugleich behauptet er, die europäische Solidarität sei ein Märchen, nur auf China könne man sich verlassen. Kein Wunder, dass die niedrigsten Zustimmungswerte zur EU in Serbien (29 Prozent) gemessen werden, während im Kosovo und auch in Albanien rund 85 Prozent der Befragten positiv eingestellt sind.

Bei dem virtuellen Gipfeltreffen wurde für die Balkanstaaten nur eine "europäische Perspektive", aber auch diesmal nicht die erhoffte EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt. Derzeit wäre freilich keiner der sechs Staaten für einen Beitritt wirklich geeignet. Vor allem der Rückfall Serbiens, des bedeutendsten Balkanstaats, in autoritäre Herrschaftsformen unter Vucic wird mit Sorge beobachtet.

Demokratierückgang

Schon vor der Ausrufung des coronabedingten Ausnahmezustands hat das unabhängige US-Institut Freedom House in Serbien (wie auch in Ungarn) in den vergangenen zehn Jahren den stärksten Demokratierückgang festgestellt. Der Wiener Balkanexperte Vedran Džihic sieht einen Ausweg aus den enormen Folgen der Corona-Krise für den demokratischen Niedergang sogar nur in einer "neuen demokratischen Revolution in Serbien" ("Datum", Mai 2020).

Die EU und auch die USA haben auch in den anderen Ländern der Region, so im Kosovo und in Montenegro, die korrupten politischen Eliten als Partner akzeptiert. Im Streit zwischen Serbien und dem vor elf Jahren von der großen Mehrheit der EU-Staaten als unabhängiger Staat anerkannten Kosovo ist keine Lösung in Sicht. Die brüske öffentliche Einmischung des US-Sonderbeauftragten, des von Donald Trump inzwischen zum Geheimdienstchef beförderten Richard Grenell, in die heikle kosovarische Innen- und Außenpolitik erzwang den Sturz des jugendlichen und die Korruption bekämpfenden Ministerpräsidenten Albin Kurti.

Nur die Einbindung der Zivilgesellschaft als Verhandlungspartner, die Förderung der unabhängigen Medien und das Beharren auf echten Reformen als Bedingung für EU-Hilfen könnten eine Wende in der bisher gescheiterten westlichen Balkanpolitik einleiten. (Paul Lendvai, 11.5.2020)