In der ersten Phase der Corona-Bekämpfung haben Sebastian Kurz und seine Regierung fast alles richtig gemacht. Daher schnellten die Zustimmungsraten in den Umfragen vor allem für den Kanzler hinauf. In der zweiten Phase passierten Patzer, daher: Kurz’ Werte fallen wieder auf ein Normalmaß – wobei das noch immer weit über allen anderen politischen Konkurrenten liegt. So schnell kann es gehen, Politik ist ein kurzfristiges, schnelles Geschäft.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne).
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Diese Interpretation mag, oberflächlich betrachtet, funktionieren. Schaut man ein wenig genauer hin, stellt sich die Sache differenzierter dar. Im März, als der Lockdown beschlossen wurde, war ganz Österreich geprägt von den schrecklichen Bildern aus Italien, wo Menschen in überfüllten Intensivstationen um Atem rangen. Alle hatten Angst, alle verstanden den Lockdown. Auch die Opposition versammelte sich staatstragend hinter den Entscheidungen der Regierung. Als klar wurde, dass die ärgsten Befürchtungen nicht wahr wurden, die Zahl der Neuinfektionen zurückging und sich stattdessen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise abzuzeichnen begannen, wurde Kritik laut: Wirtschaftshilfen, die nicht schnell genug ankommen; Verordnungen, die einander widersprechen oder zu vage sind; das Aufrechterhalten von Beschränkungen, die von vielen als nicht mehr sinnvoll angesehen wurden.

Kritisch hinterfragen

Die Regierung jedoch agierte wie zuvor – mit strammer Verkündungspolitik. Statt Dialog und Auseinandersetzung zu suchen, marschierten die Minister täglich in Pressekonferenzen auf und zeigten eine eher magere Bereitschaft, unangenehme Fragen zu beantworten. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach in ihrer Rede von der "demokratischen Zumutung" des Coronavirus und forderte die Öffentlichkeit direkt auf, die Maßnahmen der Regierung kritisch zu hinterfragen. Die schwedische Regierung entschuldigte sich in aller Form dafür, sich zu Beginn der Krise nicht genügend um den Schutz der Senioren in den Altenheimen gekümmert zu haben. In Österreich entschuldigte sich nur Rudolf Anschober einmal für die verunglückte Oster-Verordnung. Ansonsten tut die Regierung so, als hätte sie in jeder Phase das Richtige getan. Überdies betont Kurz die österreichische "Vorreiterrolle" in der Corona-Bekämpfung – als gäbe es eine EU-interne Konkurrenz, wer den Lockdown am frühesten und am härtesten durchzog.

Gleichzeitig fallen kritische Geister, wie etwa der Public-Health-Experte Martin Sprenger, in Ungnade, weil sie gegensätzlicher Meinung sind und diese auch öffentlich kundtun. Dabei wäre der "weitere Blick", den Sprenger zuletzt auch in einem Interview mit der "Tiroler Tageszeitung" von der Regierung forderte, leicht möglich. Wenn der Kanzler und die Minister tatsächlich ihrem eigenen Erfolg trauen würden. Der liegt vor allem darin begründet, das Allerschlimmste verhindert und vielen die Angst genommen zu haben. Die Menschen wollen wieder hinausgehen, andere Menschen treffen, ihr altes Leben zurückerobern. Mag sein, dass dies in den Städten noch stärker spürbar ist als auf dem Land.

Es wird nicht sofort möglich sein, die alte Normalität zurückzugewinnen. Vorsicht ist weiterhin geboten. Aber ein Wechsel der Regierungslinie wäre in jedem Fall drin – und auch dringend geboten: mehr Dialogbereitschaft, mehr Offenheit und Transparenz, mehr Widerspruch, wie das in einer Demokratie normal ist. (Petra Stuiber, 11.5.2020)