Die EZB lässt sich von einem deutschen Gerichtsurteil nicht irritieren. In der EU-Kommission ist man vorsichtig, was die Konsequenzen für Deutschland angeht.

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Frankfurt/Karlsruhe – Die Europäische Zentralbank (EZB) wird trotz des jüngsten Urteils des deutschen Bundesverfassungsgerichts ihre umstrittenen Wertpapierkäufe fortsetzen. Dies geschehe im Einklang mit dem Mandat der Notenbank, sagte Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel der italienischen Tageszeitung "La Repubblica".

Schnabel bekräftigte, nur der Europäische Gerichtshof (EuGH) sei auf juristischer Ebene zuständig für die EZB und deren Handeln. "Er entschied 2018, dass das PSPP legal ist", sagte Schnabel mit Blick auf das von Karlsruhe kritisch gesehene Kaufprogramm (Public Sector Purchase Programme). Zuvor hatte bereits EZB-Präsidentin Christine Lagarde deutlich gemacht, dass die EZB an ihrem Kurs festhalten wird.

Verfahren gegen Deutschland nicht ausgeschlossen

Die EU-Kommission wiederum will bei einem möglichen Vorgehen gegen Deutschland wegen des umstrittenen EZB-Urteils Vorsicht walten lassen. Die Folgen eines Vertragsverletzungsverfahren müssten sehr genau abgewogen werden, warnten Rechtsexperten der Kommission am Montag. Ein Sprecher betonte, die Kommission halte sich die Entscheidung über die Einleitung eines derartigen Verfahrens und den Zeitplan dafür offen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte am Wochenende ein Vertragsverletzungsverfahrens nicht ausgeschlossen

Die Deutsche Bundesbank darf sich laut dem Urteil des Verfassungsgerichts künftig nur an den milliardenschweren Käufen beteiligen, wenn der EZB-Rat deren Verhältnismäßigkeit nachvollziehbar darlegt. Das oberste deutsche Gericht gab der Regierung drei Monate Zeit, die EZB zu einer Überprüfung des Programms zu bewegen. Erstmals stellte sich Karlsruhe damit gegen ein Urteil des höchsten EU-Gerichts.

Bundeskanzlerin Merkel zuversichtlich

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hält die Lage für schwierig, äußerte sich aber zuversichtlich hinsichtlich einer Lösung. In einer Videokonferenz des CDU-Präsidiums nannte sie das Urteil laut dpa "heilbar", wenn die EZB ihr Vorgehen beim Ankauf von Staatsanleihen erläutere.

Merkel habe eingeräumt, es sei eine heikle Situation, weil es Beifall für das Urteil von anderen europäischen Staaten gegeben habe. Polen, dessen nationalkonservative PiS-Regierung seit Jahren das Justizwesen des Landes umbaut und deswegen Ärger mit dem EuGH hat, hatte das Urteil gelobt. Merkel nannte Polen in der Videokonferenz den dpa-Informationen zufolge nicht ausdrücklich.

Merkel forderte, der aktuellen Situation müsse von allen Seiten mit Klugheit begegnet werden. Sie habe damit sowohl die deutsche Regierung als auch die EU und die EZB gemeint, hieß es zur Erläuterung. Merkel habe betont, die Unabhängigkeit der EZB sei für Deutschland maßgeblich.

Corona-Notprogramme nicht betroffen

Die aktuellen Notprogramme der EZB in der Corona-Krise hatten die deutschen Verfassungsrichter in ihrem Urteil ausdrücklich ausgeklammert. EZB-Direktorin Schnabel bekräftigte, die Zentralbank sei bereit, den Umfang des Notkaufprogramms bei Bedarf anzupassen. Die EZB will in der Corona-Krise im Rahmen des zusätzlichen Kaufprogramms PEPP für Staats- und Unternehmensanleihen 750 Milliarden Euro in die Hand nehmen. Dieses Kaufprogramm soll bis mindestens Ende 2020 laufen.

Im Zuge der anderen Kaufprogramme investierte die EZB zwischen März 2015 und Ende 2018 rund 2,6 Billionen Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere – den allergrößten Teil über das Programm PSPP, um das es in Karlsruhe ging. Seit dem 1. November 2019 erwirbt die EZB in diesem Rahmen wieder regelmäßig Wertpapiere von Staaten, bisher in relativ geringem Umfang von 20 Milliarden Euro monatlich.

Über Anleihenkäufe kommt viel Geld in Umlauf, das heizt normalerweise die Inflation an. Die EZB strebt mittelfristig für den Euroraum eine Teuerungsrate knapp unter 2,0 Prozent an. Staaten und Unternehmen profitieren zudem davon, dass eine Zentralbank als großer Käufer ihrer Wertpapiere am Markt auftritt, denn sie müssen dann nicht so hohe Zinsen bieten und kommen günstiger an frisches Geld. (APA, 11.5.2020)