Wer A sagt, muss auch B sagen. Übersetzt man das ins Laufen, bedeutet das, dass, wer über Schuhe spricht, auch über Laufuhren zu reden hat.

Oder eigentlich umgekehrt: Die Frage, was man an der Hand trägt, wie man "trackt", welche App man verwendet und wie beziehungsweise wie genau man die Runde um den Häuserblock auswertet, ist vielen Läuferinnen und Läufern wichtiger als die Frage, womit man tatsächlich läuft – der Schuh nämlich.

Wieso das so ist, ist mir nicht ganz nachvollziehbar. Aber ich habe mittlerweile zur Kenntnis genommen, dass es Menschen gibt, die nicht laufen können, wenn ihr Tracker nicht dabei ist. Die einen Lauf abbrechen, wenn sich die Uhr aufhängt.

Und denen nicht bewusst ist, dass das eigentlich reichlich seltsam ist.

Außerdem: Jetzt, wo so viele Menschen mit dem Laufen begonnen haben (und hoffentlich nicht gleich wieder aufhören), kam von Einsteigerinnen und Einsteigern die Frage nach der "richtigen" Uhr öfter als die nach dem richtigen Schuh. Und während bei Schuhen "schon teuer" normal ist, werden Uhrenpreise nicht infrage gestellt.

Muss man nicht verstehen – ist eben einfach so.

Foto: thomas rottenberg

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich selbst bin auch ein Datenfreak. In einem Ausmaß, das weit über jedes sinnvolle Maß hinausgeht. Ich kann mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern meines Universums stundenlang über Vor- und Nachteile einzelner Uhren oder die angeblich bessere Marke reden oder streiten.

Dennoch:

- Ob man zu Polar, Suunto oder Garmin greift, sich einen Fitbit-Activity-Tracker, eine Apple-Uhr oder sonst eine Smartwatch umschnallt, ist für Hobbysportlerinnen und -sportler Geschmacks- und Prägungssache. So wie die Entscheidung für Rapid oder Austria, BMW oder Audi – aber sagen Sie das mal einem "Gläubigen".

- Um zu wissen, wie weit, lang und schnell man mit welchem Puls gelaufen ist (und um daraus dann 1.001 weiterführende Daten zu errechnen), muss man keine Uhr zwischen 200 oder 800 Euro kaufen. Das kann jedes Handy: Gratis-App und 30-Euro-Bluetooth-Pulsgurt genügen.

Nur: Darum geht es nicht. Es geht ums Haben- und Tragenwollen. Und um die Freude an irgendwelchen Gadgets.

Foto: thomas rottenberg

Deshalb steht hier jetzt ein Testbericht. Subjektiv. Und – im Gegensatz zu den üblichen Gadget-Berichten hier – ausnahmsweise nur über eine Uhr, die vor drei Wochen vorgestellte Polar Grit X.

Wieso? Weil Polar sich mit der Grit – endlich – wieder zurückmeldet. Und zwar mit einem ernstzunehmenden und tatsächlich "fertigen" Wecker. Die Finnen waren es, die vor Jahrzehnten mit der jedermenschtauglichen Sportpulsmessung Maßstäbe setzten. "Polar" wurde zum Synonym für Lauf- und Sportuhren.

Aber dann ging irgendwas schief: Man verschlief Trends (Handgelenkspulsmessung etwa), setzte auf nichtzeitgemäße Protokolle oder ignorierte Apple-User. Und – und das war das echte Problem – brachte Produkte, die halbfertig waren. Oder mit Features auftrumpften, die anderswo längst Standard waren.

Polar verlor viele Marktführerpositionen. Und bekam ein Imageproblem: Ich kenne namhafte Sporthändler, bei denen die Grit X nur auf Nachfrage rausgeholt wird. "Ich hatte bei anderen Polar-Uhren zuletzt zu viele unglückliche Kunden."

Foto: thomas rottenberg

Doch – und das ist ein Vorweg-Fazit – das ist ungerecht. Denn die Grit kann, was eine ausgereifte Lauf-, Outdoor- und Multisportuhr können soll und muss. Auf ein paar Komfort- und Lifestyle-Spielereien verzichtet Polar zwar – aber das schmeckt nicht nach Fehler, sondern ist ein bewusst gesetzter Fokus. Aber dazu später.

Ich habe meine Test-Grit vor zwei Wochen bekommen. Und war skeptisch: Ich war jahrelang Polar-User – und habe die Marke gewechselt. Die Gründe stehen oben. Doch wenn ich mich heute (und ohne Markenprägung) im 400-Euro-Segment (die Grit X kostet derzeit 430 Euro) nach einer Uhr umsehen müsste: Die Grit X wäre im Rennen.

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Denn sie kann sportlich alles, was andere Uhren auch können – und das mit jener Präzision, die heute selbstverständlich ist. Dass GPS & Co (alle Gadgets aller Hersteller) mitunter um Nuancen variieren, ist ein hübsches Debattenthema. Für Normalo-Sportler ist es aber irrelevant, ob man in einer Stunde sieben Meter mehr oder weniger gelaufen ist oder ob die Pulsmessung um eine Viertelsekunde verzögert reagiert.

Wer bis ins Detail gehende Tech-Auswertungen und übereinandergelegte Kurven will oder zu brauchen glaubt, dem empfehle ich den Testbericht von DC Rainmaker.

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Ich bleibe da aber lieber beim Zugang des Durchschnittsusers – und schaue, was die Uhr mir persönlich sagt. Viel. Denn zum umfangreichen Sportarten-Portfolio kommen dann noch Messaging-Funktion, Wetter- und andere Infos, Trainingsempfehlungen und Belastungsauswertungen, Atemübungen, Schlaf- und Bewegungsmessung oder Erinnerungen zu trinken: lauter feine Features – die man so oder ähnlich auch bei Mitbewerbern findet.

Ebenso wie die Schwimmstilerkennung im Pool. Im Freiwasser kann die Grit laut Manual nur Freistil (also Kraulen) dechiffrieren, zählt aber auch da die Züge. Ehrlicherweise: Ich habe bei anderen Uhren noch nie ausprobiert, ob die im Freiwasser auch Brust, Rücken oder das, was ich für Butterfly halte, erkennen.

Also auch hier: Polar liegt hier gleichauf.

Foto: thomas rottenberg

Das Gleiche gilt für die Web- und App-Anbindung. Polar-Flow bietet Trainingspläne, die Seiten sind sauber, übersichtlich und grafisch gut aufbereitet – und auch hier ist die Herstellerwahl dann letztendlich eine Geschmacksfrage.

Ebenso wie die Frage, ob man sich Sportarten und Uhrdisplays lieber auf der Uhr (Garmin etwa) oder am Rechner (Polar) figuriert: Beides hat Vor- und Nachteile.

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Was die Grit X nicht hat, muss aber auch gesagt werden. Obwohl das Features sind, die mit Sport wenig zu tun haben (die für mich aber mittlerweile "Killerfeatures" sind): Meine "private" Garmin (ich verwende den Forerunner 945) etwa kann Musik direkt (also ohne externen MP3-Player oder ein Handy dazwischen) an Bluetooth-Kopfhörer schicken. Und sie hat eine kontaktlose Pay-Funktion. Komfortable Nice-to-Haves – aber doch mehr Lifestyle als Performance.

Was man am Trail, im Gelände oder auf langen Radtouren bei der Grit X tatsächlich vermissen könnte: Die Uhr hat keine eigene Navi-Funktion. Man kann sich zwar über Vektorlinien führen lassen (auch zurück nach Hause), aber für Karten oder Routen braucht man einen Komoot-Account. Der Nachteil ist jedoch nur bedingt einer: Komoot ist mittlerweile fast so verbreitet wie Strava & Co. Und für eine Region der eigenen Wahl auch gratis. Dafür ist die Anwendung idiotensicher.

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Was vielleicht ein Nachteil ist: Die Grit verbindet sich klag- und problemlos mit Sensoren und Messgeräten – also etwa Puls-, Geschwindigkeits- oder Trittfrequenzsensoren, Rad-Rollentrainern, externen Lauf-Leistungsmessern oder Rad-Wattmesssystemen (auch) anderer Hersteller, "spricht" dabei allerdings nur Bluetooth – und nicht Ant+, die andere, gängige Sprache der Sport-Messtools. Beim Radfahren, besonders daheim auf der Rolle oder beim "Zwiften", kann es da eventuell passieren, dass das eine oder andere Gerät nicht verbunden werden kann. Allerdings sind viele Dongles und Sensoren heute ohnehin bluetoothfähig oder zweisprachig.

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Das gilt auch für Pulsgurte. Und obwohl natürlich auch Polar (so wie jeder Hersteller) größten Wert auf die Feststellung legt, dass die in der Uhr implementierten optischen Handgelenks-Pulsmesssensoren (Polar misst mit zwei unterschiedlichen Farben, was die Genauigkeit angeblich maßgeblich erhöht) eh voll super zuverlässige Ergebnisse liefern. Die Grit misst, sagen die Hersteller, den Puls auch im Wasser.

Mag sein – allerdings bin ich seit der "Erfindung" der optischen Sensoren der lebende Gegenbeweis der Messung am Knöchel. Bisher noch bei jeder Uhr jedes Herstellers – im Wasser, zu Lande und wohl auch in der Luft: Es gibt Menschen, bei denen Handgelenksmessung nie stimmt.

Foto: thomas rottenberg

In Summe – am Ende einer gleichmäßigen Trainingseinheit – geht es sich zwar meistens mit Abweichungen um etwa zehn Prozent zur Brustgurtmessung aus, aber unterwegs erlebt man oft Abweichungswelten. Und was bei Intervallen oder wirklich intensiven Belastungen gemessen wird …

Egal: Ich kenne auch Leute, bei denen Handgelenksmessungen fast medizinisch genau sind. Beim Alltagsdauerlaufen hören erfahrene Läufer ohnehin mehr auf ihre innere Stimme als auf das, was der Wecker sagt – und dort, wo es wirklich wichtig ist, exakte Werte zu haben, raten alle Hersteller zum Brustgurt.

Foto: thomas rottenberg

Ein Feature hat die Grit aber, das ihre Kolleginnen in dieser Form nicht aufweisen: Sie zählt Steigungen – und zwar ohne dass man da irgendwas Besonderes einstellen müsste. Das ist beim Laufen bei Hügelintervallen (zum Beispiel: zehnmal in Schönbrunn volle Pulle rauf zur Gloriette – aber "voll" so, dass der erste und der letzte Versuch gleich schnell sind) ein Hit – und im Laufalltag danach, beim Datenanhimmeln, auch fein.

Foto: thomas rottenberg

Im Training super ist diese Funktion für mich aber am Rad – obwohl man natürlich bei Übungen wie "dreimal Hadersfeld" (also dreimal die fast autofreie Strecke von Greifenstein zur Feuerwache) natürlich auch einfach eine neue Runde nehmen könnte.

Was diese Funktion ausdrücklich nicht ist, muss auch gesagt werden: Andere Hersteller zeigen bei ihren Kletterfunktionen oft, wie lange ein Anstieg noch dauert – und wie steil es noch wird. Auf langen Touren ist mir das zum Kräfteeinteilen (und Fluchen) wichtiger – ich kenne aber auch Menschen, die das gar nicht wissen wollen: "Wir fahren, bis wir oben sind. Fertig."

Foto: thomas rottenberg

Und der Akku? Hält. Für Sie und mich unter Garantie lange genug. Laut Handbuch sogar 100 Stunden bei gleichzeitiger Puls- und GPS-Messung – wobei man bei solchen Angaben dann immer aufs Kleingedruckte, also die Genauigkeit der Messung und die Anzahl der zu- oder weggeschalteten Funktionen, schauen sollte.

Mein Fazit über die 64 Gramm leichte Uhr, die angeblich Robustheits-Militärstandards erfüllt? Polar meldet sich laut und deutlich zurück am Spielfeld der "großen" Sportuhren. Die Uhr wirkt, soweit man das nach einer Handvoll Testläufen sagen kann, ausgereift und "fertig". Das Handling erklärt sich auch Menschen, die Polar-Abläufe nicht (mehr) intus haben, rasch und von selbst – so wie die App- und Webfunktionen.

Was mir persönlich fehlt, sind vor allem zwei Lifestyle-Features meiner eigenen (teureren) Uhr – die mir, bevor ich sie verwendete, aber nie abgegangen sind.

Mit (derzeit) 429,90 Euro ist die Grit X kein Schnäppchen – aber das hat auch niemand behauptet oder verlangt: Wäre ich gerade auf der Suche nach einer neuen Uhr, käme die Grit X in die engere Wahl – und das habe ich über eine Polar-Uhr schon lange nicht gesagt. (Thomas Rottenberg, 13.5.2020)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Uhr wurde von Polar Österreich für den Test zur Verfügung gestellt.

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