Was ist Öffentlichkeit im Sport? Im Gastkommentar widmet sich der Politologe und "Ballesterer"-Mitherausgeber Georg Spitaler den leeren Tribünen und – damit einhergehend – leeren Vereinskassen im Fußball. Lesen Sie zum Bundesliga-Neustart auch den Kommentar von Fritz Neumann.

Die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung haben bekanntlich auch im Fußball gravierende Folgen: Bis zur nun erteilten Erlaubnis, die Bundesliga ab Juni in leeren Stadien fortzusetzen, stand erstmals in der Zweiten Republik ein Abbruch der Meisterschaft im Raum.

Bislang war der Fußball krisenfest. Selbst im Zweiten Weltkrieg wurde auf Wiens Fußballplätzen bis in die letzten Kriegstage Normalität simuliert, nur wenige Wochen dauerte die Pause im April 1945. Diesmal ist alles anders – nach wie vor erscheint die Zukunft von Liga und Vereinen genauso unsicher wie die Frage, ob Österreich im Herbst eine zweite Corona-Welle erlebt.

Auch im Fernsehen musste der Fußball seinen privilegierten Platz räumen: Mangels erwähnenswerter Ereignisse wurde die aktuelle Sportberichterstattung im ORF im März in den Spartensender ORF+ verbannt. Noch im Februar wäre das – zumindest für Sportfans – unvorstellbar gewesen. Zu eng ist die Symbiose von Fernsehen und Fußball seit Jahrzehnten. Im ORF gehören Sportprogramme seit der Gründung 1955 zu den Quotenbringern.

Die Vorgaben der Regierung musste der Fußball zähneknirschend schlucken: Training zunächst nur in Kleingruppen – und das auch nur für die oberste Liga. Als einziger Weg, wie die Bundesliga-Saison 2019/20 fortgesetzt werden kann, bleiben nun Geisterspiele, ein Spielbetrieb unter Ausschluss der Fans aus den Stadien.

Kein Fehlverhalten, dennoch wird demnächst vor leeren Rängen gekickt. Wann die Fans wieder in die Stadien dürfen, ist ungewiss.
Foto: Imago / Jan Huebner

Sieg der Kulisse?

Wenn Fußball in Europa heute ohnehin vor allem als Fernseh- und Digitalprodukt konsumiert wird, könnten Geisterspiele, die nur für das Publikum daheim stattfinden, als konsequenter letzter Schritt verstanden werden. Bereits ab den 1980er-Jahren, als Privatsender den Sport für den Einstieg in nationale Fernsehmärkte nutzten und dann das Bezahlfernsehen mit dem Kauf von Sportrechten das Monopol der öffentlich-rechtlichen Sender angriff, schrieben Medientheoretiker vom Stadion als Fernsehkulisse, in dem Fans nur noch Staffage seien, die für die nötigen Hintergrundgeräusche und Emotion sorgten.

Der Philosoph Jean Baudrillard sah Fernsehfußball als hyperreales Phänomen, das seine eigene Wirklichkeit kreiert. Heute erleben wir eine Renaissance solcher Ideen. Peter Weibel schrieb im STANDARD (5. 4.) davon, dass Geisterspiele nun eigentlich die Chance böten, die riesigen Stadien der Massenkultur endgültig zu schließen und die "Horden und Herden", die sich dort träfen, in den digitalen Öffentlichkeiten einer schöneren "Ferngesellschaft" neu zu assoziieren.

Aber fehlt da nicht etwas? Schon Baudrillard selbst, der seine Überlegungen zum Fußball nach den Ereignissen im Brüsseler Heysel-Stadion 1985 formulierte, wo englische Fußballfans eine Massenpanik mit 39 Toten verursachten, wies darauf hin, dass die Idee eines von den Zuschauern purifizierten "reinen Events" mit einer zynischen Geringschätzung von Gesellschaft, mit einer "Indifferenz gegenüber dem Sozialen" verbunden sei: "There’s no such thing as society", lautete eine berüchtigte Aussage der konservativen britischen Premierministerin Margaret Thatcher, die auch den Hooligans den Kampf ansagte.

Leere Kassen

Dass die österreichischen Ligaverantwortlichen in der Corona-Krise anfangs keineswegs auf einen Spielbetrieb ohne Publikum setzen wollten, hat auch ökonomische Gründe: Anders als in den großen Ligen, wo die TV-Einnahmen tatsächlich astronomische Beträge erreichten, sind die 34 Millionen Euro, die die Bundesliga seit einem Deal mit dem Bezahlsender Sky ab der Saison 2018/19 erhält, zwar ein wichtiger, aber nicht der höchste Budgetposten der großen Vereine.

Beim SK Rapid, dem Klub mit den höchsten Zuschauerzahlen, kamen die Liga-Umsatzerlöse in der letzten Saison nur zu zwölf Prozent aus Medienrechten, 75 Prozent machten Einnahmen aus Sponsoring, Hospitality-Paketen und Merchandising aus, dazu kamen 13 Prozent aus den Spieltag- und Ticketerlösen. Die TV-Einnahmen beliefen sich gerade einmal auf ein Drittel eines deutschen Zweitligaklubs, in der englischen Zweiten Liga sind die TV-Einnahmen fünfmal so hoch. Ein längerfristig leeres Stadion ist für einen Klub wie Rapid daher existenzbedrohend.

Leere Tribünen

In einem gemeinsamen Statement haben österreichische Fanklubs auf Widersprüche in den Konzepten von Sportministerium und Liga hingewiesen (DER STANDARD, 28. 4.). Sie, für die die Maßnahmen einer raschen Wiederaufnahme der Spiele vordergründig gedacht sind, stellen zu Recht die Frage, wie weit es mit einer Öffentlichkeit des Sports bestellt ist, die nur mehr hinter den Bezahlschranken des Pay-TV stattfindet – und fordern zumindest die kostenlose Ausstrahlung der Spiele für Stadionsaisonkartenbesitzer.

Ähnliche Bedenken formuliert der Chefredakteur des Fan-nahen Fußballmagazins Ballesterer, Jakob Rosenberg: Geisterspiele ohne Fans seien stimmungslos und daher auch nicht fernsehtauglich. Sie könnten den gestressten Klubs "kurzfristig bei der Liquidität helfen, längerfristig beschädigen sie aber das Produkt".

Was bleibt, ist Ratlosigkeit, wie ein Sport, der von der emotionalen Anteilnahme und Zusammenkunft seiner Anhänger und Anhängerinnen, aber auch von Transnationalität und offenen Grenzen lebt, in Zeiten von Corona funktionieren soll. Rettung im Neuanfang bringen neben dem Ausbleiben der zweiten Welle vermutlich am ehesten die Fans, denn auf sie, auf die Macht der vielen, konnten sich die Vereine bisher in allen Krisen verlassen. (Georg Spitaler, 13.5.2020)