Andreas Baader ...

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... und Ulrike Meinhof zählten zu den Mitgründern und führenden Köpfen der Rote-Armee-Fraktion (RAF).

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Der junge Mann habe zwar eine Zigarette nach der anderen geraucht, habe aber grundsätzlich "sehr harmlos" ausgesehen. So erinnerte sich Hans-Joachim Schneider, ein Mitarbeiter des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen in West-Berlin, an einen Gast, der sich am 14. Mai 1970 im Leseraum des Hauses befand. Doch "harmlos" war der 27-jährige Andreas Baader nicht. Er hatte, gemeinsam mit Gudrun Ensslin, im April 1968 in Frankfurt ein Kaufhaus in Brand gesetzt – als Protest gegen den Vietnamkrieg.

Nun saß er eigentlich in Berlin-Tegel in Haft, sollte aber an diesem Tag die Journalistin Ulrike Meinhof im Zentralinstitut für ein Interview treffen. Es kommt anders: Die flüchtige Ensslin und Verbündete dringen gewaltsam ins Gebäude ein, "befreien" Baader und verschwinden. Meinhof schließt sich ihnen spontan an, gemeinsam tauchen sie ab.

Kriegserklärung

Es ist die Geburtsstunde der RAF, der Rote-Armee-Fraktion. Anfangs wird die Gruppe noch "Baader-Meinhof-Bande" genannt, am 5. Juni 1970 meldet sie sich in der Berliner Stadtzeitung Agit 833 aber zu Wort und erklärt: "Um Konflikte auf die Spitze treiben zu können, bauen wir die Rote Armee auf."

Zehn Tage später druckt der Spiegel die Kriegserklärung Meinhofs an den Staat: "Natürlich kann geschossen werden." Die Ausbildung dazu bekommt die erste Generation der RAF in einem Camp der palästinensischen Fatah in Jordanien.

Gegen das "Schweinesystem"

Die Terrorgruppe will für eine gerechtere Welt und gegen das kapitalistische "Schweinesystem" kämpfen, im Visier stehen die Repräsentanten von Staat und Wirtschaft. Zunächst verübt die RAF einige Banküberfälle, doch bald gab es die ersten Toten. 1971 und 1972 sterben drei Polizisten und vier US-Soldaten.

1972 ist auch das Jahr, in dem Baader, Ensslin und Meinhof verhaftet werden. Der Terror aber endet nicht, die zweite Generation steht bereit. Ihre Opfer sind im "Deutschen Herbst" 1977 Generalbundesanwalt Siegfried Buback, Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto, Arbeitgeber-Chef Hanns Martin Schleyer.

"Die RAF steht für die stärkste innenpolitische Herausforderung der alten BRD vor 1990. Drei Jahrzehnte lang waren die Funktionseliten von Politik, Justiz und Banken von Terror bedroht. Die Repräsentanten mussten immer damit rechnen, entführt und ermordet zu werden", sagt der deutsche Politologe und RAF-Experte Wolfgang Kraushaar.

Im Herbst 1977 wird nicht nur Schleyer entführt, ein palästinensisches Terrorkommando kapert zudem die Lufthansa-Maschine Landshut, um die mittlerweile in Stuttgart-Stammheim einsitzenden RAF-Mitglieder der ersten Generation freizupressen.

"Die Arbeit ist getan"

Doch die damalige sozialliberale Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) bleibt hart und verweigert den Austausch. Er schickt die Spezialeinheit GSG 9 ins somalische Mogadischu, diese befreit alle 86 Passagiere der Landshut am 18. Oktober.

"Die Arbeit ist getan", meldet Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski daraufhin lapidar. Schmidt bricht in Tränen aus, auch als er erfährt, dass Schleyer ermordet worden ist. Doch einen Tag später sagte er im Bundestag, ein Staat dürfe sich nicht erpressen lassen: "Zu dieser Verantwortung stehen wir auch in Zukunft. Gott helfe uns!" Nach der gescheiterten Befreiungsaktion töten sich Baader, Ensslin und Jan-Carl Raspe im Gefängnis selbst. Meinhof hatte sich dort schon im Mai 1976 erhängt.

Der Terror aber endet damit nicht. Es sterben insgesamt 34 Personen, darunter der Polizist Hans-Wilhelm Hansen (26), der niederländische Zollbeamte Dionysius de Jong (19), der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen (59), und Treuhand-Chef Detlev Rohwedder (58). Die vielen Morde und Anschläge bringen den deutschen Staat an seine Grenzen, er ergreift drastische Maßnahmen wie das Kontaktsperregesetz oder die Isolationshaft für Inhaftierte, die Rasterfahndung, auch die Rechte von Strafverteidigern werden eingeschränkt.

Mentaler Ausnahmezustand

"Wir haben keinen kühlen Kopf bewahrt, es gab hysterische Überreaktionen, wir schlitterten in einen mentalen Ausnahmezustand", räumte der frühere FDP-Innenminister Gerhart Baum (1978 bis 1982) im Jahr 2007 in einem Interview mit dem STANDARD ein.

Und dann, mit der sogenannten dritten Generation, deren Morde bis heute unaufgeklärt sind, endet das blutige Kapitel deutscher Geschichte. "Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte", heißt es in einem Schreiben, das im März 1998 bei der Deutschen Presse-Agentur eingeht. "Es war ein strategischer Fehler, neben der illegalen, bewaffneten keine politisch-soziale Organisation aufzubauen", schreiben die Verfasser und erinnern an die 26 getöteten RAF-Mitglieder. Über die 34 Opfer der RAF fällt hingegen kein Wort.

Hohe Terrorschwelle

Immer wieder wird danach spekuliert, dass es eines Tages eine Wiederbelebung der RAF geben könnte, zumal die linksextreme Szene vom Verfassungsschutz nicht als harmlos eingestuft wird und die Krawalle beim Hamburger G20-Gipfel 2017 noch in schlechter Erinnerung sind.

Das sei aber "nicht gleichzusetzen mit organisiertem Terror", sagt Politologe Kraushaar. Er hält eine "RAF reloaded" für "ganz unwahrscheinlich". Denn: "Zwar gibt es nach wie vor ein Potenzial auf der linken Seite zur Gewaltbereitschaft, aber die Schwelle zum Terrorismus ist hoch. Zudem ist auch die Geschichte der RAF in der linken Szene abschreckend, es gibt auch keine so ausgeprägte Unterstützerszene wie aufseiten des Rechtsextremismus." (Birgit Baumann aus Berlin, 14.5.2020)