Das Treibhaus in Innsbruck probiert schon einmal eine Ein-Meter-Abstandsregel aus: mit 34 Sitzplätzen. Viele Kulturveranstalter können sich solche Einschränkungen nicht leisten.

Foto: Norbert K. Pleifer

Nach zwei Monaten Corona-Shutdown und weit in die Zukunft reichenden Absagen droht der Kultur- und Veranstaltungsbranche der Erstickungstod. Jetzt soll ein Fenster zum Durchatmen geöffnet werden. Nachdem die Museen ab Freitag wieder aufsperren dürfen, will die Regierung in den nächsten Tagen auch den Kinos und darstellenden Künsten, also Theater- und Musikbühnen, einen eingeschränkten Spielbetrieb ermöglichen.

Konkret könnte es ab 29. Mai so weit sein, wie Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) Dienstagabend auf "Oe24" und Puls 4 bekanntgab. Dabei werde es um "kleine und mittlere Theateraufführungen und Ähnliches mehr" gehen – allerdings "unter geschützten Rahmenbedingungen". Das mit Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek (Grüne) abgestimmte Ziel sei, "dass über den Sommer kleine und mittlere Veranstaltungen möglich werden, die im Sitzen stattfinden und wo man einen Abstand schaffen kann. Und daran arbeiten wir. Ich hoffe, dass dann die Kulturschaffenden wieder zufrieden sind", so Anschober, dem nicht entgangen sein dürfte, welcher Unmut den Grünen aus der Kulturbranche mittlerweile entgegenschlägt.

Nicht nur kleine Bühnen

Auf STANDARD-Nachfrage im Büro Lunacek hieß es, dass nur noch an Details gefeilt werde und man noch diesen Freitag oder am Montag die genauen Bestimmungen der Lockerungen bekanntgeben werde. Leicht abweichend von Anschober konkretisierte man, dass es nicht nur um kleine Bühnen, sondern auch um große, etwa die Bundestheater oder Festspiele, gehe. Auch dort sei ein Spielbetrieb ab 29. Mai prinzipiell denkbar, entscheidend sei aber die Größe der Menschenmenge und in welchem Abstand zueinander die Besucher sitzen oder auch stehen können.

Ein Abrücken von der als nicht umsetzbar empfundenen 20-Quadratmeter-pro-Person-Regel scheint jedenfalls sicher zu sein. Regeln sowohl für Indoor als auch Outdoor sollen geschaffen werden. Auch die Frage, ob dem Publikum Masken zugemutet werden sollen, will man beantworten.

Großes Aufatmen dürfte das von Anschober ins Spiel gebrachte Datum 29. Mai aber keines bringen. Denn in der Branche sorgt der Termin wiederum für Irritation – ist man doch davon ausgegangen, dass bis Ende Juni alle Veranstaltungen abgesagt sind. Nun stünde man vor der Herausforderung, einen Betrieb hochfahren zu müssen, bei dem nicht klar ist, ob er sich mit geringer Besucherzahl überhaupt finanzieren lässt. Jene, die aus diesem Grund nicht sofort aufsperren wollen oder können, wären in Erklärungsnot, etwa Vermietern gegenüber, die derzeit noch Mietreduktionen gewähren.

Irritiert über frühere Öffnung

"Warum spricht man nicht mit uns?", kritisiert etwa der Kinobetreiber Michael Stejskal die Vorgehensweise. Bisher habe man stets für die Zeit ab Ende Juni vorgeplant und hätte die Kinos mithin frühestens Juli eröffnet. Nunmehr mit einem derart kurzfristigen, offenbar auf äußeren Druck entstandenen Termin konfrontiert zu werden erfülle nicht einmal ein "Minimum an Planbarkeit". Dies sei für die stufenweise Wiedereröffnung der Kinos jedoch unbedingt erforderlich, schließlich müssen Filmstarts und die Wiederaufnahme eines Repertoirebetriebs mit einem gewissen Vorlauf eingeleitet werden.

Andreas Fuderer, Betreiber der 100-Plätze-Bühne Kabarett Niedermair und der Mittelbühne Wiener Stadtsaal (400 Plätze), sieht hier wie dort kaum Chancen, kostendeckend spielen zu können, zumal man auch keine Subventionen bezieht. Ihm selbst wäre es lieber, erst dann wieder zu öffnen, wenn man in den Vollbetrieb gehen kann, und für die Schließzeit entschädigt zu werden. Voraussetzung sei es, so Fuderer, dass die Regierung den Leuten die aufgebaute Angst auch wieder nehme.

Kritische Situationen

Den Theatern helfen derzeit vor allem individuelle Lösungen. Das Klagenfurter Ensemble beispielsweise hat ein fertig ausgearbeitetes Konzept für ein Auto-Theater am Tisch, das plangemäß ab Juli und bis Anfang September umgesetzt werden könnte. Gespielt werden soll open air am Messeparkplatz direkt vor dem Theater. In Summe sind es 30 Vorstellungen, allesamt "ohne Berührungen" auf der Bühne, so Theaterleiter Gerhard Lehner. Darunter ist etwa die Uraufführung "Hennir" von Antonio Fian oder "Hotel Mordschein" von Werner Kofler. Keinen Rechtfertigungsnotstand hat das Distanztheater hungry sharks, das ebenfalls auftritt. Die Proben sollen nächste Woche starten. Ab 29. Mai zu spielen wäre indes, seriös betrachtet, unrealistisch.

Für das Theater Phönix kommt die 29.-Mai-Ansage ebenfalls "sehr überraschend". Die Linzer Bühne hat sämtliche Vorstellungen bin Saisonende abgesagt und entsprechende Tickets retourniert. Das Haus hält vorläufig keinen Spielbetrieb im Juni für möglich, da die Proben der geplanten Stücke "nicht (oder nur zum Teil) stattgefunden haben und wir keinen Repertoire-Betrieb haben", so Pressesprecherin Sigrid Blauensteiner. Das Schauspielhaus Wien, das sich seinerseits über die Plattform PAKT in vielen Gremien eingebracht hatte, ist genau so überrascht von der Ansage und verwundert über die Annahme, dass man innerhalb von zwei Wochen einen Vorstellungsbetrieb aufnehmen könnte. Und vor allem sei es – bei 53 Mitarbeiter*innen – eine große Kostenfrage: Eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs Ende Mai wurde nach dem Lockdown nicht mehr budgetiert.

Also wieder alles falsch gemacht? Im Gesundheits- wie im Kulturministerium verweist man auf zahlreiche Gespräche mit Branchenvertretern in den letzten Wochen, deren Einschätzung man berücksichtigt habe. Einige hätten gesagt, "mit 50 Leuten können wir schon etwas machen, bei anderen reichen auch 100 Leute nicht aus". Man wolle aber zumindest die Möglichkeit für Öffnungen bieten.

Und manche freut das durchaus. Christoph Huber, Betreiber des Jazzclubs Porgy & Bess, ließ den STANDARD wissen, dass man über jede Lockerung glücklich sei und das Beste daraus machen werde. Was aber ab Herbst passiere, stehe ohnehin in den Sternen. (Stefan Weiss, Margarete Affenzeller, Dominik Kamalzadeh, Ljubiša Tošić, 13.5.2020)