Bundeskanzler Sebastian Kurz ist also den Meinungen renommierter Experten im nationalen Krisenstab (SKKM) und in der Taskforce Corona nicht gefolgt. Das bringt die Opposition zum Schäumen, ist aber eigentlich beruhigend. Denn – noch – leben wir nicht in einer Expertokratie, in der die von der jeweiligen Fachperspektive geprägten Analysen zwingende Handlungsvorgaben sind. Es ist vielmehr die Aufgabe jeder Regierung, im vielstimmigen Chor der Expertenstimmen auszuwählen und sich dann auf einen auch für die Bevölkerung akzeptablen und gangbaren Weg zu einigen.

Genau das ist passiert: Kurz handelte zwar anders, als sich das Vertreter in SKKM und Taskforce vorgestellt hatten, Input dafür holte er sich aber von Experten abseits der nationalen Gremien, die auch ihre Meriten haben – zum Beispiel von Virologen der Medizinischen Universität Wien.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne).
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Wenn man im "Falter" nachliest, was in den Krisenstäben denn vorgeschlagen wurde, kann man nur froh sein, dass Kurz anders gehandelt hat. Im Extremfall sollten nämlich wie in Wuhan "Quarantäne-Unterkünfte" kreiert werden, in denen Infizierte versammelt werden. Welche Vergleiche der Opposition bei dieser Maßnahme eingefallen wären, will man sich gar nicht vorstellen.

Nicht ganz Österreich müsse in eskalierter Lage sein, befanden die Experten des Krisenstabs laut "Falter" Anfang März. Eine Zahl von täglich 50 Neuinfektionen in einem Gebiet könnte etwa für die Quarantäne der betroffenen Region sorgen. Auch solche Sätze sorgen im Nachhinein eher dafür, Kurz’ Weg zuzuneigen. Denn nach den Ausgangsbeschränkungen explodierte die Zahl der Fälle wegen der langen Inkubationszeit, sie war teilweise sogar vierstellig. Danach pendelte sie sich auf sehr niedrigem Niveau ein.

Todesstatistiken

In New York City kennt laut Umfragen mittlerweile jeder zweite Bewohner jemanden, der an Covid-19 gestorben ist. Während in Österreich und Deutschland, das etwas verzögert ähnlich handelte, nur ein wenig mehr Todesfälle als im langjährigen Durchschnitt zu beklagen sind, weisen Todesstatistiken etwa auch von Schweden steile Kurven auf – auch wenn man ein endgültiges Resümee wohl erst in einigen Monaten ziehen kann. Es ist also unbestritten, dass die Politik von Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) dafür gesorgt hat, dass nur wenige Österreicher aufgrund von Covid-19 sterben. Nach der Gesundheits- gewinnt nun allerdings die Wirtschaftskrise an Brisanz. Hier muss Kurz erneut beweisen, dass er den richtigen Experten vertraut.

Das soll natürlich nicht heißen, dass der Regierung in Phase 1 keine Fehler passiert sind. Kritische Fragen muss sich Kurz nach dem "Falter"-Bericht etwa dazu stellen lassen, ob bestimmte Maßnahmen eher PR-Zwecken dienten als sinnvoll waren. Überraschen würde das nicht, speziell nicht bei Türkis, aber prinzipiell wohl bei keiner Partei. Außerdem bleiben der Umgang mit dem Corona-Hotspot Ischgl und die Frage, ob auf die drohende Pandemie zu spät reagiert wurde, als offene Punkte, die politisch geklärt werden müssen.

Zu raten wären der gesamten Regierung, viel mehr auf Transparenz zu setzen. Erst wenn Protokolle von Taskforce und Krisenstab, interne Berichte und andere Dokumente frei zugänglich sind, kann sich jeder Bürger selbst ein Bild davon machen. Es wäre schade, wenn ein U-Ausschuss hier die Informationsfreiheit ersetzen müsste. (Fabian Schmid, 13.5.2020)